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Fahrten des guten Willens. Noch bevor das Wort Inklusion geläufig war, bot die Fürst Donnersmarck-Stiftung Urlaubsreisen für Menschen mit Behinderung an. Hier 1961 bei einem Ausflug auf einen Flugplatz in der Nähe von Oerlinghausen bei Bielefeld.

© Fürst Donnersmarck-Stiftung

Fürst Donnersmarck-Stiftung: Sie brachten etwas ins Rollen

Weiterdenken, Beispiele schaffen, die Gesellschaft ein Stück voranbringen: Vor 100 Jahren war die Fürst-Donnersmarck-Stiftung noch ein Vorreiter in Sachen Inklusion.

Mitten im Ersten Weltkrieg begann ihr Wirken in Berlin, als sich Helferinnen und Helfer in einem Lazarett in Frohnau um Kriegsverletzte kümmerten. Heute ist die Stiftung mit vielen Projekten in der ganzen Stadt vertreten, 600 Mitarbeiter sorgen dafür, dass körperlich und mehrfach behinderte Menschen möglichst selbstbestimmt leben können. Im Mai begann die Stiftung die Feierlichkeiten zum hundertsten Jahrestag ihrer Gründung.

Im Ersten Weltkrieg litten Soldaten an bis dahin unbekannten Verletzungen. Guido Henckel Fürst von Donnersmarck wollte ihnen den Weg zurück in die Gesellschaft ebnen. Am 5. Mai 1916 gründete er dafür im Blücher-Palais nahe dem Brandenburger Tor die nach ihm benannte Stiftung; genau da, wo heute die amerikanische Botschaft steht.

In der Aufbauzeit zwischen den beiden Weltkriegen konnte von Stiftungsarbeit allerdings nicht die Rede sein. Erst 1954 wurde der erste Sozialpädagoge eingestellt. Er unterstützte körperlich behinderte Menschen, damals vor allem in Frohnau. Aber die nicht vorhandene Barrierefreiheit war ein Problem. Also kaufte die Stiftung die heutige Villa Donnersmarck in Zehlendorf.

Nah dran an den Betroffenen

Heute treffen sich dort mehr als 30 Selbsthilfegruppen für Menschen mit Behinderungen. Sie arbeiten selbstständig und eigenverantwortlich, haben nichts mit der Stiftungsarbeit zu tun, sagt Wolfgang Schrödter, der seit 1997 Geschäftsführer der Donnersmarck-Stiftung ist. „Durch diesen engen Kontakt zu Menschen mit Behinderungen wissen wir immer, was die Betroffenen brauchen“, sagt Schrödter, „ich glaube, deshalb sind wir so innovativ.“ Schrödter sieht die Aufgabe einer Stiftung ganz klar darin, Dinge voranzubringen und die Diskussion in der Gesellschaft anzuregen: „Dafür gibt es Stiftungen, deshalb sind sie steuerbefreit. Das Vordenken ist unsere Aufgabe.“ Unter diesem Motto habe die Fürst Donnersmarck-Stiftung oft Pionierarbeit auf dem Gebiet der Inklusion geleistet.

Unter dem Namen „Fahrten des guten Willens“ gab es schon in den 1950er Jahren Reisen für körperlich eingeschränkte Menschen nach Oerlinghausen bei Bielefeld. Aber dort war die Situation nicht optimal, die Gästehäuser waren nicht rollstuhlgerecht. Deshalb eröffnete die Stiftung 1971 ein barrierefreies Gästehaus in Bad Bevensen in Niedersachsen. Seit 2001 betreibt sie Deutschlands größtes vollständig barrierefreies Hotel im brandenburgischen Rheinsberg. Auch nach einem Schlaganfall, mit der Diagnose Multiple Sklerose oder sonstigen körperlichen Einschränkungen soll Reisen möglich gemacht werden.

Langzeitförderung im P.A.N. Zentrum

Das derzeit wichtigste Projekt der Stiftung ist das P.A.N. Zentrum in Frohnau, eine Einrichtung für post-akute Neurorehabilitation. Hier werden junge Patienten mit Schädel-Hirn-Trauma umfangreich therapiert, und zwar über die sechsmonatige Standard-Rehabilitation nach dem Krankenhausaufenthalt hinaus. Ein Beispiel: Ein Patient hat einen Fahrradunfall mit Kopfverletzung, kommt ins Krankenhaus, anschließend in die Früh-Reha, und dann ist erst mal Schluss. Obwohl er noch nicht wieder richtig laufen kann. Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Entweder die Familie pflegt den Patienten oder er kommt in ein Heim, das aber in der Regel auf die Pflege alter Menschen spezialisiert ist. Für einen jungen Schädel-Hirn- Trauma-Patienten bedeutet das Stagnation, er kann nicht ausreichend gefördert werden. Das P.A.N. Zentrum schließt diese Lücke. Mit umfangreicher Therapie lernen die Patienten, ihren Alltag wieder selbstständig zu meistern. Innerhalb von anderthalb bis zwei Jahren können die meisten Patienten in eine eigene Wohnung ziehen. „Unsere Erfolgsquote liegt bei 60 bis 70 Prozent“, sagt Schrödter.

Das P.A.N. Zentrum gibt es schon seit den 1980er Jahren. Damals hieß es noch Fürst Donnersmarck-Haus. Es wurde in den vergangenen zehn Jahren für 35 Millionen Euro renoviert, umgebaut und vergangenes Jahr neu eröffnet. Sogar das Gebäude selbst erfüllt hier nun Therapiezwecke: Es wurde von Architekten und Neurowissenschaftlern entworfen und ist so gestaltet, dass sich Patienten mit Orientierungsschwierigkeiten nicht verlaufen können.

Das Haus ist das einzige seiner Art in ganz Deutschland. Dennoch kommen die meisten Patienten aus der Umgebung, sie werden von ihren Therapeuten an die Donnersmarck-Stiftung vermittelt. Wenn zum Beispiel die rechte Hand noch nicht wieder richtig funktioniert, aber für die Arbeit dringend gebraucht wird. „Die P.A.N. soll zur Regelversorgung in der Bundesrepublik werden“, wünscht sich Schrödter. Dafür führt die Stiftung Gespräche mit den Krankenkassen, will die neuen Therapieform etablieren.

Alltags- und kieznahes Wohnen

Viele der Stiftungsprojekte werden von der Alice Salomon Hochschule wissenschaftlich betreut. Zusammen mit der Hochschule werden neue Konzepte entwickelt. Zusätzlich verleiht die Stiftung seit 2009 alle drei Jahre einen Forschungspreis zur Neurorehabilitation. Er ist mit 30 000 Euro dotiert und zeichnet aktuelle wissenschaftliche Forschungsarbeit aus, deren Schwerpunkt auf der nachklinischen Langzeitrehabilitation liegt.

Wer nach solch einer Reha noch nicht selbstständig leben kann, findet in betreuten Wohnungen der Fürst Donnersmarck-Stiftung Platz. Schon 1979 gründete die Stiftung die erste Wohngemeinschaft mit ambulanter Betreuung in Berlin. Zwei Jahre später wurde eine ganze Wohnanlage gebaut, die als frühes Modell für inklusives Mehrgenerationenwohnen gilt. Seit 2010 können Menschen mit schweren Behinderungen, die eine Intensivbetreuung benötigen, in Tempelhof und Pankow in Appartements der Donnersmarck-Stiftung leben. Tagsüber sind Mitarbeiter der Stiftung in der Wohnanlage, um den Bewohnern zu assistieren, nachts können ambulante Pflegedienste in Anspruch genommen werden. Alltags- und kieznahes Wohnen wird so möglich. Barrierefreiheit auf ganzer Ebene also.

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