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Nabu-Mitarbeiter bitten alle Bürger, das Auffinden kranker und toter Meisen unbedingt zu melden.

© promo/Bert Schreck

Mysteriöses Meisensterben: Social Distancing könnte Singvögeln das Leben retten

Eine tödliche Krankheit sucht Blaumeisen heim. Sie wirken apathisch, scheinen Atemprobleme zu haben. Gefährlich wird es, wenn Vögel sich eine Tränke teilen.

Von Sandra Dassler

Die Mitarbeiter beim Naturschutzbund (Nabu) in Brandenburg und Berlin sind besorgt. Seit einigen Tagen mehren sich auch hier die Meldungen über tote Singvögel in Gärten und auf Terrassen.

„Fast immer handelt es sich um Blaumeisen, vereinzelt auch um Kohlmeisen und andere kleine Singvögel“, sagt die Potsdamer Nabu-Naturschutzreferentin Manuela Brecht: „In anderen Bundesländern, besonders in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz, ist es zwar noch viel schlimmer, bundesweit wurden bereits mehr als 8000 Fälle registriert, aber auch in Brandenburg waren es allein seit Gründonnerstag 111 und in Berlin 85 Meldungen über tote Meisen.“

Ein Zusammenhang mit der Corona-Epidemie sei unwahrscheinlich

Die Naturschützer gehen davon aus, dass die Dunkelziffer erkrankter und verendeter Tiere weitaus höher ist. Die Ursache für das Meisensterben ist bislang noch nicht bekannt – ein Zusammenhang mit der Corona-Epidemie sei aber unwahrscheinlich, heißt es.

In der Vergangenheit waren eher Amseln betroffen. Seit 2011 starben in Deutschland pro Jahr schätzungsweise 160.000 von ihnen am neuartigen Usutu-Virus, das durch Stechmücken übertragen wird und seit 2018 flächendeckend in der Bundesrepublik auftritt.

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Einige Symptome stimmen mit denen der jetzt betroffenen Meisen überein – etwa, dass die erkrankten Tiere apathisch wirken. Vogelfreunde aus der Region berichten, dass die Meisen aufgeplustert auf dem Boden säßen und auch nicht versuchten, zu fliehen, wenn sich Menschen nähern. „Oft wirkt es, als hätten die Vögel Atemprobleme“, heißt es in einer Mitteilung des Nabu Brandenburg: „Augen, Schnabel und Teile des Federkleids sind verklebt.“

Tiere wirken apathisch, Augen und Schnabel sind verklebt

Da die Tiere oft in größerer Zahl gefunden werden, vermute man, dass der Erreger der Krankheit hochansteckend sei. Wissenschaftler arbeiteten daran, die offenbar neuartige Infektionskrankheit geografisch zuzuordnen und mögliche Ursachen zu identifizieren.

Deshalb bitten die Nabu-Mitarbeiter alle Bürger, das Auffinden kranker und toter Meisen unbedingt zu melden. Über das Online-Formular www.NABU.de/meisensterben werden Daten und Fotos gesammelt, die der Forschung zur Verfügung gestellt werden sollen.

„Wer einen kürzlich, also nicht schon vor drei Tagen verstorbenen Vogel findet, kann ihn unter Einhaltung der auf der Nabu-Website beschriebenen Hygienemaßnahmen luftdicht verpacken und zur Untersuchung an das zuständige örtliche Veterinäramt schicken“, sagt Manuela Brecht.

Bürger sollen erkrankte oder tote Meisen online melden

Die Empfehlung, die Vögel an das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin zu senden, beruhe auf einer Fehlinformation. Das sagte eine Sprecherin des Hamburger Instituts am Donnerstag dem Tagesspiegel.

„Wir sind dafür nicht zuständig, haben einige Meisen zugeschickt bekommen, aber noch keine Untersuchungsergebnisse vorliegen.“ Die Vögel sollten an die Veterinärämter oder an das Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems geschickt werden, sagte die Sprecherin weiter: „Wir nehmen keine Blaumeisen an.“

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Auch am Friedrich-Loeffler-Institut kann man derzeit noch nichts über die Ursachen des Meisensterbens sagen. „Wir rechnen frühestens in der nächsten Woche mit ersten Untersuchungsergebnissen“, sagte eine Sprecherin. Bis dahin sollten Brandenburger und Berliner das Bereitstellen von Futter und Wasser sofort einstellen, wenn sie mehr als einen kranken Vogel an einer Futterstelle oder Tränke beobachten. Das empfiehlt zumindest der Nabu.

Friedrich-Loeffler-Institut: Ursachen für das Meisensterben unbekannt

„Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust“, sagt Naturschutzreferentin Manuela Brecht: „Zum einen weiß ich, dass viele Vögel jetzt noch zum Futterhäuschen kommen, zum anderen müsste man aber eigentlich sofort mit dem Zufüttern aufhören, um sie nicht zu gefährden. Zumal viele Meisen bereits ihre Jungen füttern und somit bei einer Ansteckung auch die neue Brut vernichtet werden könnte.“

Letztlich müsse das jeder selbst entscheiden, sagt Brecht. Zu empfehlen seien besondere Sauberkeit, täglich frisches Wasser und die Verwendung einer Futtersäule statt eines Häuschens. Was man aber in jedem Fall für den künftig besseren Schutz der kleinen gefiederten Freunde tun könne, sei die naturnahe Gestaltung des Gartens oder Balkons.

„Wer etwa Leinsamen, Disteln und Sonnenblumen pflanzt und stehen lässt, sorgt dafür, dass sich die Vögel das ganze Jahr über gut versorgen können.“ Im Netz hat der Naturschutzbund Hinweise für richtige und hygienische Vogelfütterung zusammengestellt.

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