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Geschichten: Beruf: Lebenskünstler

Zwischen St. Petersburg und Berlin: Michael S. Schacht-Dolgoruky führte ein Leben wie im Roman. Er scheffelte Millionen und gab sie aus. Heute erzählt er im Rathaus Schöneberg von seinen Abenteuern.

Die Karriere als Fotomodell für klassische Herrenmode, vor drei Jahren gestartet, ist etwas ins Stocken geraten. Und die Enthüllung der Boulevard-Presse, er sei (nach drei gescheiterten Ehen) wieder auf Brautschau, verpuffte folgenlos. Gleichwohl, Michael S. Schacht-Dolgoruky, 86 Jahre alt (eigentlich 88, aber dazu später), Spross des russischen Hochadels, Verfolgter des NS-Regimes, Vertrauter afrikanischer Ex-Potentaten, Millionär (jetzt nicht mehr), Filou (immer noch), sucht nach wie vor die große Bühne. Heute ist er im Rathaus Schöneberg zu erleben, als Rezitator und Geschichtenerzähler in einem Benefizkonzert. „Das wird sensationell.“

Der Oberlippenbart hat aristokratischen Schwung, die Nase wirkt wie geschnitzt, die Augen blicken schalkhaft. Wenn Schacht-Dolgoruky aus seiner Vergangenheit erzählt, hört es sich an wie die Lebensbeichte des Hochstaplers Felix Krull. Er selbst krümmt sich darüber vor Lachen. Seine Erlebnisse klingen fantastisch, sind aber beglaubigt durchs gedruckte Wort, die Memoiren, mindestens 3000 Manuskriptseiten schwer, unveröffentlicht. Es soll eine Trilogie werden und anschließend ein Film. So weit der Plan.

Geboren wird Schacht-Dolgoruky zweimal: 1919 in Petrograd (heute St. Petersburg) und 1921 in Charlottenburg. Die zweite Geburt ist eine Täuschung, aber durch eine Urkunde belegt. Sein Vater, der begüterte Fürst Simeon Michailowitsch Dolgoruky, zieht nach der russischen Revolution in den Kampf gegen die Bolschewiki und gibt seinen Sohn in die Obhut eines Freundes, des deutschen Offiziers Franz Eugen Schacht, ehemals in Diensten des Zaren, nun auf dem Weg nach Berlin. Schacht meldet das Kind auf dem Standesamt als sein eigenes an.

Schacht junior erhält eine standesgemäße Adelserziehung. „Mit vier Jahren wurde ich schon auf ein Pferd gesetzt. Mit fünf begann der Klavierunterricht.“ Von der (Stief-)Mutter lernt er die höheren Umgangsformen, Französisch und Bridge, vom (Stief-)Vater die Finessen im Geschäftsverkehr. Frau Schacht ist Jüdin, die Familie kann ihre religiöse Herkunft jedoch verschleiern. Bei Kriegsbeginn meldet sich Schacht junior zur Marine, wird im Hafen von Pillau, Ostpreußen, zur Flugabwehr eingesetzt. Nach dem Fall von Stalingrad geht er zu seinem Vorgesetzten und meldet, er habe herausgefunden, dass seine Mutter Jüdin sei. Daraufhin wird er aus der Wehrmacht entlassen.

Nun beginnt eine Irrfahrt durchs Land. Schacht arbeitet auf Gütern, flieht vor den Häschern der SS nach Berlin, wird wegen Schwarzmarkthandels verhaftet, nach München verschleppt, kann bei einem Bombenangriff fliehen. Im Zirkus Krone findet er Unterschlupf, der Direktor besorgt ihm einen argentinischen Pass.

Für die Amerikaner habe er zunächst als Feind gegolten, sagt Schacht-Dolgoruky, Argentinien sei mit dem NS-Regime verbündet gewesen. Das stimmt nicht ganz, das südamerikanische Land war im Krieg neutral. Wie auch immer, der falsche Argentinier wird interniert, erst nach drei Jahren bestätigt ein Gewährsmann seine wahre Identität. Weil Schacht gut Englisch, Französisch und Russisch spricht, werden Handelsfirmen auf ihn aufmerksam. In Istanbul macht er mit dem Zement-Kontrakt das Geschäft seines Lebens. In Kuwait wiederholt er den Deal, hat nun genug Geld zusammen, um in die Stadt zu ziehen, in der elegante Männer von Welt ihr Glück suchen: Tanger.

Nach einiger Zeit zieht er weiter durch Nordafrika, das sich erst langsam aus dem Griff der Kolonialmächte löst. Da gibt es für eloquente Geschäftsleute wie Schacht viel zu tun. Nach einer gescheiterten Ehe geht er als Fondsverkäufer nach Venezuela, mietet sich in ein Luxushotel in Caracas ein und betreibt sein gewinnträchtiges (nicht ganz legales) Geschäft vorwiegend an der Bar. Die Millionen rinnen ihm durch die Hände. Sein nächster Coup ist eine „Enzyklopädie der Handelskorrespondenz“, ein Standardwerk für Geschäftsbrief-Übersetzungen in acht Sprachen. Eine US-Computerfirma wird aufmerksam und lockt den Autor in die Staaten. Seine Idee wird zur erfolgreichen Unternehmenssoftware ausgebaut. 1970 trifft er seine leibliche Mutter in London, per Zufall, wie er erzählt. Er habe ihr Parfum auf der Straße wiedererkannt, ein Geruch, der ihn seit Jahren im Traum verfolgte. Die Dolgorukys waren ins Exil gegangen und hatten nicht versucht, Kontakt zum Sohn aufzunehmen. Ihre Güter wurden von Stalin enteignet.

Schacht nimmt seinen russischen Namen an, bleibt aber deutscher Staatsbürger. Um eine Rente als NS-Verfolgter zu beantragen, kam er vor sechs Jahren nach Berlin. Er wohnt – nicht ganz standesgemäß – auf zwei Zimmern zur Miete. Aber Rosenthaler Porzellan, weiße Ausgehanzüge, eine Sammlung russischer Ikonen, die leistet er sich schon noch.

Das „20. klassisch-romantische Benefizkonzert“ zugunsten der Hilfsaktion „Menschen für Menschen“ beginnt heute, 17 Uhr, im Rathaus Schöneberg, WillyBrandt-Saal. Eintritt (Spende): 10 Euro

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