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Abgesagtes Konzert in der Waldbühne: Nassgeregnet und von Ordnern bedrängt

Alles Gute kommt von oben? Nicht an diesem Wochenende. Durch den starken Wind kam der Regen sogar von der Seite - und verdarb das Abschlusskonzert der Philharmoniker. Ein Stimmungsbericht nach der Konzertabsage in der Waldbühne.

Berlin - Waren vorhin auch so viele Ordner da, als die Menschen im Dauerregen im Trichter der Waldbühne ihre Plätze suchten? Jetzt jedenfalls sind sie überall. Junge Damen und Herren, ältere Herren, in schwarzen Jacken, drüber transparente Regencapes, einen Schirm in der Hand. Sie alle haben ein Ziel: Die verhinderten Konzertbesucher sollen gehen. Sofort. Schließlich hat der Maestro schon vor einer halben Stunde den italienisch sommerlichen Saisonabschluss der Berliner Philharmoniker an diesem Samstagabend abgeblasen. „Sie sollten jetzt mal nach Hause fahren“, kommt eine Dame von links. „Anweisung von oben.“ Oben, erfahren die verdutzten Verbliebenen, oben das ist „Patrick“, der Chef der Ordner der Best GmbH, „wir nennen uns alle beim Vornamen“. Schon nähert sich ein älterer Herr mit weißem Haar von rechts hinten: „Sie müssen jetzt gehen.“

Warum haben sie es bitte bloß so eilig? Die meisten der rund 20 000 Menschen, die trotz Regens und Kälte in die Waldbühne gekommen waren, sind ohnehin schon weg. Mancher hatte gleich den Picknickkorb geschnappt und war zum Ausgang gestrebt, als das Ensemble in Mänteln, viele mit Schirmen, einige mit geschulterten und verpackten Instrumenten auf der Bühne erschienen. Jedem war spätestens jetzt klar: Hier spielt heute keiner. Erfahrene Besucher wissen, welches Gedränge nach jedem Konzert herrscht. Die meisten aber wollen doch aus dem Mund des Intendanten und des Dirigenten hören, wie die schon einige Minuten vorher angekündigte wohl überlegte Entscheidung der Musiker ausgefallen ist. Unverzagt haben einige Zuschauer längst „Zugabe, Zugabe“ gebrüllt, um die Geiger, Trompeter und all die anderen zu animieren, endlich loszulegen. Viele Besucher sind trotz des Wetters schon seit kurz nach 17 Uhr da. So wie sonst auch. Und sie wissen genau, was es heißt, heute Stunden unter freiem Himmel auszuharren.

Ein bisschen gewunden kommen die Musiker und ihre Chefs schließlich gegen 20.20 Uhr vorne unter dem weißen Zipfelzelt zur Sache. Der Regen, der Wind, sagen sie. Die Stühle sind nass, die teuren Instrumente in Gefahr. Allenfalls in den hinteren Reihen könnten Musiker wohl spielen. Das Ensemble wolle ja spielen, aber es gehe nun mal nicht, hören sie auf den Rängen. Der italienische Maestro Riccardo Chailly vom Leipziger Gewandhausorchester berichtet im Regenvorhang mit seiner warmen Stimme noch von dem wunderbaren Erlebnis, eine Woche lang mit den Berliner Philharmonikern geprobt zu haben. Bei der Generalprobe hätten sie bis hin zur traditionellen Zugabe „Berliner Luft“ alles gespielt. Aber nicht einmal die bekommen die Besucher heute zu hören. Immerhin haben die Organisatoren schon einen Ausweichtermin ausgeguckt: am 23. August soll es so weit sein. Dann mitten in der Woche und dazu in einer, in der auch andere Klassiker unter freiem Himmel geboten werden.

Das durchnässte Publikum nimmt es gelassen hin. Langsam wälzen sich Massen aus tropfenden Regencapes und Schirmen, Outdoorjacken, Regenhosen und Rucksäcken Richtung Ausgänge. Eine ganze Reihe von Menschen aber macht sich nicht sofort auf den Weg. Viele sind irgendwie fassungslos. Haben sie wirklich so lange warten müssen mit der Absage? Ulrike Wolf, Rentnerin mit schwarzem Regenmantel und weißem Hütchen, findet dieses Vorgehen „eine Sauerei“. Bei Dauerregen den ganzen Tag und 95 Prozent Regenwahrscheinlichkeit für den Abend, hätten die Organisatoren aus ihrer Sicht das Konzert schon nachmittags übers Radio absagen können. So ähnlich sieht das auch Nikolaus Basedow, ein kräftiger Mann mit blauer Regenjacke. Er hat zwar Verständnis für die Absage, aber die hätte früher kommen können, findet er. Schließlich regnet es schon den ganzen Tag.

Einige Gruppen denken gar nicht daran, sofort zu gehen. Selbst unten direkt vor der Bühne, dort wo es keine Bänke gibt, haben sich einige Besucher erstmal zwischen großen Pfützen im Matsch auf ihren Folien niedergelassen. Warum haben die Veranstalter dort nicht wenigstens ein paar Holzpaletten aufgebaut? Oben in Block G hat sich eine Gruppe unter Malerplanen eingerichtet, die Seiten mit Schirmen abgedichtet. Im Schein flackernder Teelichte beenden sie ihr Picknick in aller Ruhe. Zwei Damen mit roter und schwarzer Kopfbedeckung zurren ihre Plane fester, schenken sich Rotwein nach und holen sogar die Wunderkerzen raus, die sie zur „Berliner Luft“ schwenken wollten. Dann eben ohne Musik.

Für Gudrun und Gerhard Bisinger aus Heiligenzimmern bei Balingen in Süddeutschland ist die Absage besonders bitter. Seit Jahren wollten sie schon herkommen. „Wir haben das Konzert immer im Fernsehen gesehen“, erzählt der Finanzbeamte. Nie hätten sie Karten gekriegt, ergänzt seine Frau, eine Kindergärtnerin. Diesmal nun waren sie erfolgreich, haben sich extra Urlaub genommen und sind schon Donnerstag angereist. Das Waldbühnenkonzert sollte der Höhepunkt sein. Jetzt stehen sie etwas traurig da in ihren extralangen leuchtend roten McKinley-Regenumhängen. Sie haben schon nachgerechnet: Am 23. August können sie nicht wiederkommen, da haben sie keinen Urlaub.

Sie werden jetzt mal an den Veranstalter schreiben, sagen sie tropfend – und folgen der Aufforderung der schwarzen Ordnergarden.

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