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S-Bahn-Chaos: "Ich könnt mich nur noch aufregen"

Mehr als zwei Wochen herrscht in Berlin nun schon das S-Bahn-Chaos. Die Züge sind voll, die Stimmung gereizt: Wie Fahrgäste mit der angespannten Situation umgehen.

Der Mann mit dem Blindenstock steht einfach nur da. An einem Ende des Bahnsteigs unter der Glaskuppel des Bahnhofs Friedrichstraße. Um ihn herum wuseln jede Menge Menschen, rein und raus aus den Zügen. Es ist Donnerstagnachmittag und es herrscht das ganz alltägliche S-Bahn-Chaos. „Können Sie mir vielleicht helfen?“, fragt der Mann mit dem Stock. Er sei aus Hohenschönhausen und möchte nach Grunewald. „Die Durchsagen sind wirklich undurchsichtig“, sagt er. Sie haben ihn dazu verleitet aus der S-Bahn auszusteigen. Und jetzt – jetzt weiß er nicht mehr weiter.

Hunderttausende Fahrgäste quälen sich Tag für Tag mit der S-Bahn durch die Stadt. Die Züge haben Verspätung, kommen mal gar nicht, sind überfüllt, aufgeheizt, es stinkt. Und ab Montag fahren sie zwischen den S-Bahnhöfen Zoo und Ostbahnhof gar nicht mehr.

Immerhin, so weit ist es an diesem Nachmittag noch nicht, der Mann mit dem langen weißen Stock am S-Bahnhof Friedrichstraße findet mithilfe einer Passantin einen Schaffner. „Nach Grunewald?“, fragt der entsetzt. „Das ist eine ganz schlechte Verbindung.“ Schienenersatzverkehr, zwei Mal umsteigen. Der Schaffner hat einen Streckenplan in der Hand und muss selbst immer wieder nachsehen. „Sie sehen dann ja schon, welchen Bus sie nehmen müssen“, sagt er und wendet sich dem nächsten Ratlosen zu, davon stehen einige Schlange. „Ich lasse mich von dem Chaos einfach nicht einschüchtern“, sagt der blinde S-Bahn-Reisende und steigt in den Zug.

Am anderen Gleis wartet ein junger Mann ganz in Olivgrün auf eine Bahn in die entgegengesetzte Richtung. Er hat schon gehört, dass immer weniger Züge fahren werden – aus erster Hand, denn der 24-Jährige ist Praktikant bei der Bahn am Potsdamer Platz. Morgen will er deshalb nicht die S-Bahn nehmen, sondern einen Bus und die U-Bahn. Für den Weg aus Köpenick zur Arbeit brauche er dann zwar 20 Minuten länger als in chaosfreien Zeiten mit der S-Bahn. Aber neulich habe er in Köpenick sogar 40 Minuten auf den Zug gewartet. „Zum Glück gibt es bei der Bahn Gleitzeit.“

Zwei Stockwerke tiefer wartet Jörg Reetz auf die S-Bahn in Richtung Bernau. „Zur Not muss ich morgen eben von unterwegs bei der Arbeit Bescheid sagen, dass ich später komme“, sagt er. Der 42-Jährige arbeitet als Hausmeister im Roten Rathaus und hat ein Abo für die S-Bahn. Deshalb will er nicht sein Auto für den Weg aus Zepernick nach Mitte nehmen. Schließlich habe er ja schon für die Fahrt im Voraus gezahlt. „Aber fragen sie mich morgen noch mal, wie ich das dann finde. Wenn es zu schlimm wird, dann bin ick hier keen Kunde mehr.“ Wie wird das erst am Montag sein, wenn gar nichts mehr fährt auf der Stadtbahn? Alle sich in Busse drängen müssen oder in die U-Bahn? Oder eben doch in die Autos steigen und dann alle gemeinsam im Stau stehen?

Der Hausmeister aus dem Roten Rathaus gerät in Rage. „Ich könnt’ mich uffregen, aber das bringt ja nichts“, schimpft er. „Die von der Bahn müssten bestraft werden. Wir kleinen Leute müssen ja auch unsere Aufgaben erfüllen.“ Eine Studentin aus Oranienburg sieht es gelassen. Dann steige sie eben in die Regionalbahn und fahre zur Uni. „Zum Kotzen“, findet dagegen ein 54-Jähriger das S-Bahnfahren zurzeit, der am Gleis wartet. Trotzdem will er am nächsten Morgen um 5.12 Uhr auf dem Bahnsteig in Hermsdorf stehen und wie immer mit der S-Bahn zur Arbeit fahren. Autofahren sei ja noch stressiger. „Man staunt, dass die Leute so ruhig bleiben.“ Daniela Martens

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