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Berlin: Straffrei – aber nicht schuldlos

Tempodrom: Gericht attestiert Strieder und Sarrazin Fehlverhalten, weist Anklage aber ab

In der Kanzlei der Verteidiger von Peter Strieder und Thilo Sarrazin knallten am Mittwochvormittag die Sektkorken. „Wir sind sehr erleichtert“, freute sich Strieders Rechtsanwalt Alexander Ignor und stieß mit seinen Kollegen an, um zu feiern, dass das Landgericht einen Prozess gegen seine Mandanten abgelehnt hat. Der Verteidiger war von der Entscheidung ebenso überrascht worden wie alle anderen Beteiligten. „Wir sehen uns darin bestätigt, dass Strieder und Sarrazin keine Straftat begangen und das Land nicht geschädigt haben.“ Auch Ex-Senator Strieder (SPD), derzeit auf Reisen, habe den Beschluss „sehr erleichtert“ aufgenommen.

Für Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) bestätigt der Beschluss seine bisherige Position, ließ er seinen Sprecher Matthias Kolbeck mitteilen: „Ich habe nicht strafbar gehandelt und keinen finanziellen Schaden für das Land verursacht.“ Dass das Gericht dennoch die Millionenhilfe für das Tempodrom kritisiert und Sarrazin und Strieder vorwirft, ihre Vermögensbetreuungspflicht verletzt zu haben, kann der Finanzsenator in dieser Situation gut verschmerzen. Kolbeck: „Das ist nicht strafrechtlich relevant.“

Bei den Staatsanwälten war gestern hingegen niemandem nach Luftsprüngen zumute. Die Wirtschaftsabteilung tröstete sich damit, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen sei: Die Ermittler haben noch am Mittwoch Beschwerde gegen den Landgerichtsbeschluss eingelegt. „Die Staatsanwaltschaft Berlin hält an ihrer eigenen Rechtsauffassung fest“, sagte Justizsprecher Michael Grunwald.

Nun muss also das Kammergericht entscheiden, ob es doch noch zum Prozess kommt – was Monate dauern kann. Davon, dass es sich bei dem Beschluss um eine peinliche Niederlage für die Staatsanwaltschaft handele, will man in Moabit nichts hören. Auch, wenn sich niemand an eine vergleichbare Schlappe erinnern kann. Justizsprecher Michael Grunwald übt sich im Pragmatismus: „Es gehört zum System, dass man unterschiedlicher Rechtsauffassung sein kann.“

Kein Kommentar – das war alles, was aus dem Hause der Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) zu hören war. Schubert war im August von der Opposition vorgeworfen worden, Druck auf die Ermittler auszuüben. Ihre Verwaltung hatte in einem Schreiben die Vorwürfe der Ermittler als nicht tragfähig kritisiert.

Die Staatsanwaltschaft fühlte sich allerdings eher von anderer Seite unter Druck gesetzt. Generalstaatsanwalt Dieter Neumann klagte, seine Kollegen seien einem „Sammelsurium“ von Angriffen – auch durch den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit – ausgesetzt, die das Ziel hätten, „die Staatsanwaltschaft dazu zu bringen, dass eine Anklage gegen Finanzsenator Sarrazin vermieden wird“. Die Grenzen der Gewaltentrennung seien überschritten, sagte Neumann. „Unbefangen sind wir nicht mehr.“

Dass unter dem politischen Druck die Arbeit der Staatsanwaltschaft gelitten haben könnte, gilt indes als unwahrscheinlich. Schließlich hätten die Ermittler vorher genau gewusst, worauf sie sich mit der Anklage einließen. „Es war klar, dass das ein heißes politisches Eisen ist“, sagt Volker Ratzmann, selbst Jurist und Fraktionsvorsitzender der Grünen.

Die Opposition zeigte sich enttäuscht, hielt aber an ihrer Kritik an Strieders und Sarrazins Engagement für das Tempodrom fest. „Durch Entscheidungen an Parlament und Gesamtsenat vorbei haben beide einen erheblichen finanziellen Schaden für das Land angerichtet“, sagte der Grünen-Haushälter Oliver Schruoffeneger. Der FDP-Politiker Christoph Meyer findet „den politisch am schwersten wiegenden Vorwurf“ gegen Strieder und Sarrazin durch das Gericht bestätigt, nämlich, dass sie gegen die Haushaltsordnung verstoßen hätten. Der CDU-Politiker Michael Braun forderte Sarrazin auf, Konsequenzen daraus zu ziehen, „dass ihm ein Gericht bestätigt, gegen die Haushaltsordnung und wesentliche Verfassungsgrundsätze verstoßen zu haben“.

Die Ermittlungen gegen Peter Strieder und Thilo Sarrazin wegen Untreue in Zusammenhang mit dem Tempodrom-Bau wurden Ende 2003 durch eine Anzeige der CDU ausgelöst.

Der Neubau des von Irene Moessinger und Norbert Waehl betriebenen Kulturzelts in den Jahren 2000-2001 war vor allem von Strieder von Anfang an politisch unterstützt worden.

Die Kosten stiegen von anfangs 16 Millionen Euro auf rund 33 Millionen Euro – größtenteils öffentliche Gelder.

Die Verantwortung für die Kostenexplosion zu klären, ist eine der Aufgaben des Tempodrom-Untersuchungsausschusses, der seit Frühling 2004 arbeitet.

Im April trat Peter Strieder wegen der Tempodrom-Affäre als Vorsitzender der Berliner SPD und Stadtentwicklungssenator zurück.

In zwei weiteren Verfahren untersucht die Staatsanwaltschaft unter anderem, welche Rolle Strieder bei der Tempodrom-Planung spielte. Diese Verfahren stehen erst am Anfang und wurden unter anderem ausgelöst durch die vom Tagesspiegel dargelegte Verflechtung politischer und wirtschaftlicher Interessen rund um das Tempodrom. lvt

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