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Berlin: Trotz Gesetz: Freibrief für Nackte im Park

Umso höher die Temperaturen, desto öfter fallen die Hüllen in den Parks von Berlin - und mit ihnen der Respekt vor dem Paragraphen 118 des bundesdeutschen Ordnungswidrigkeitengesetzes. Denn darin steht klipp und klar, was alle Leute falsch machen, die ihren Busen entblößen oder sich gar vollkommen textilfrei auf den Wiesen räkeln.

Umso höher die Temperaturen, desto öfter fallen die Hüllen in den Parks von Berlin - und mit ihnen der Respekt vor dem Paragraphen 118 des bundesdeutschen Ordnungswidrigkeitengesetzes. Denn darin steht klipp und klar, was alle Leute falsch machen, die ihren Busen entblößen oder sich gar vollkommen textilfrei auf den Wiesen räkeln. Sie verhalten sich "grob ungehörig".Nackte stören die öffentliche Ordnung, meint der Gesetzgeber. Doch wer pocht auf solche Paragraphen an heißen Tagen in Berlin? Offenbar niemand, wie der Tagesspiegel bei einer Umfrage in den Bezirksämtern erfuhr. Was ist erlaubt oder verboten, wenn uns die Hitze umtreibt und verwegen macht? Sonnenbaden ohne alles? Planschen im Brunnen? Das wollten wir wissen - und fanden heraus: Kommt der Sommer in die City, lockt Berlin mit echten Großstadtreizen. "Wir sind doch tolerant" heißt es nahezu unisono in den Rathäusern. Etwa in Kreuzberg, dessen stellvertretende Gartenamtsleiterin Dagmar Elbrandt kein Problem mit den Nackten hat. Wieso? Ganz einfach: "Die schaden ja nicht dem Park."Und offenbar auch keinem Menschen. Seit Jahren hat sich in ihrer Behörde niemand über die textilfreien Besucher des Viktoriaparks beklagt, obwohl sie sonntags in Scharen kommen. Sollte allerdings ein Kreuzberger irgendwann Anstoß nehmen, müßte Dagmar Elbrandt wegen wegen des Ordnungswidrigkeitengesetzes und außerdem wegen des Berliner Grünanlagengesetzes aktiv werden, in dem es heißt: " . . . andere Parkbenutzer dürfen nicht unzumutbar gestört werden".Stören Nackte unzumutbar? Das ist "eine Frage der Interpretation", sagt die Behördenchefin und freut sich über den Spielraum für Toleranz im Gesetz. Bußgelder werde es deshalb auch in Zukunft für keine Blöße im Park geben, versichert sie. Schon gar nicht im Görlitzer Park, wo Verhüllte ohnehin dominieren. Dagmar Elbrandt: "Da gibt es wegen der vielen Türken kaum freie Haut."Fehlanzeige auch im Friedrichshain, im Humboldthain, im Charlottenburger Schloßpark oder im Tiergarten. Die Parkwächter sollten nach freilaufenden Hunden Ausschau halten, aber bei Nackten ein Auge zudrücken, heißt es überall. Der Tiergartener Stadtrat Horst Porath (SPD) ärgert sich sogar über "die künstliche Aufregung". Nein, auch die Nähe der Regierenden werde den Tiergarten nicht von einer Toleranzzone in eine Zone strenger Sittsamkeit verwandeln. Porath: "Bei mir hat sich noch kein Bonner über freie Pos oder Busen beschwert".Großzügigkeit auch gegenüber Brunnenplanschern. Ob am "Wasserklops" vor dem Europa-Center, im Märchenbrunnen in Friedrichshain oder an den Viktoria-Wasserfällen in Kreuzberg - nirgendwo will ihnen eine Behörde das Vergnügen vermiesen. Eine Brunnenverordnung gibt es sowieso nicht und folglich auch keinen Anti-Plansch-Paragraphen. "Die Leute müssen nur wissen, sie baden dort auf eigene Gefahr", heißt es. "Die Hosen anlassen für die Regierung? Niemals" Im Tiergarten liegen Angezogene und Nackte friedlich nebeneinanderAuf den Wiesen im Tiergarten ist nackt oder angezogen nicht die Frage. Südlich der Siegessäule jedenfalls. Die dortigen Grünflächen werden seit einigen Jahren von Sonnenanbetern aufgesucht, die weiße Streifen auf ihrer Haut nicht schätzen und daher vom Tragen jeglicher Textilien absehen. Aber auch mancher Badeanzug und manche Badehose werden zwischen den Nackten im Tiergarten gesichtet."Uns stört es überhaupt nicht, wenn jemand alle Hüllen fallen läßt", meinen zwei junge Damen im Bikini. Es gebe hier eine friedliche Koexistenz zwischen Angezogenen und Nackten. Ein paar Meter weiter berichtet ein dreißigjähriger Amerikaner über andere Erlebnisse. Er sonne sich am liebsten ohne Badehose und das gefalle hier nicht allen. "Schämst du dich nicht", sei er erst neulich von einer Frau angemacht worden. Von wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses: "Ich errege mich als Nackter öffentlich, daß es so viele dumme Leute gibt." Trotzdem, im Tiergarten gebe es vergleichsweise wenig Ärger, sagt der schon seit Jahren in Berlin wohnende Amerikaner. "In den USA wirst du als Nackter sofort angezeigt."Zwei unverhüllte Herren Anfang dreißig haben bislang keine Negativerlebnisse gehabt. "Wir sind oft hier im Tiergarten. Natürlich gibt es ab und zu ein paar Spanner oder auch Leute, die dich blöd anglotzen. Aber das muß man halt in Kauf nehmen." Denn schließlich sei das "Feeling" beim Nacktsonnen ein ganz besonders. "Da bist du einfach viel relaxter."Angst, daß nackte Haut unweit des neuen Regierungssitzes künftig nicht mehr so gern gesehen werden könnte, hat das Gros der Sonnenfreunde nicht. "Wir brauchen wohl Rheinländer, um unsere Toleranz zu verlieren", scherzt eine Dame jüngeren Alters. Sie selbst hat sich allerdings nicht ihrer Badehose entledigt: "Wenn man sich einmal den Hintern verbrannt hat, dann macht man das nie wieder."Eine Wiese weiter nimmt ein 35jähriger Mann das Thema ernster. Die Hose anlassen für die Regierung? Niemals, sagt er, "es reicht doch schon, daß beim Torjubel im Fußballstadion keine nackten Oberkörper mehr erlaubt sind." Im Englischen Garten in München zum Beispiel, da würde Nacktheit schon seit etlichen Jahren keinen Stoff für Diskussionen mehr liefern. "Wenn das bei den katholischen Bayern kein Problem ist, dann kann es in Berlin doch erst recht keines sein." Allerdings, und das sei ihm besonders wichtig, gehe es nur um Nacktheit am richtigen Ort. Und der sei zum Beispiel im Tiergarten. "Nackt am Kiosk, das stört mich auch." CLAUS VETTER

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