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Ein hochbegehrter Goldjunge. Zum 89. Mal wird an diesem Sonntag der Oscar verliehen. Den ersten als „Bester Hauptdarsteller“ hatte 1929 der in Berlin auch nicht ganz unbekannte Emil Jannings erhalten.

© Nicolas Armer/dpa

Filmpreisverleihung: Und der Oscar geht an: Berlin

Hollywood ist von der Heimatstadt des Berlinale-Bären gar nicht so weit entfernt. Eine Spurensuche.

Man darf davon ausgehen, dass Lion Feuchtwanger nicht nur dicke Romane schrieb, sondern auch Zeit für Kinobesuche fand. So schildert er in „Erfolg“ die Aufführung von Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ in einem Berliner Kino. Der heißt bei ihm zwar „Panzerkreuzer Orlow“, aber die entfesselte Begeisterung, die das vom revolutionären Schwung angesteckte Publikum nach der Premiere am 29. April 1926 im „Apollo-Theater“ in der Friedrichstraße ergriff, hat er packend beschrieben. Er dürfte sie selbst erlebt haben: Im Vorjahr war er aus München nach Berlin gezogen, lebte hier mit seiner Frau Marta bis zu seinem Exil 1933, woran eine Gedenktafel in der Regerstraße 8 in Grunewald erinnert.

Feuchtwanger wird auch den Trubel um die Oscar-Verleihung gekannt haben, schließlich wohnte er ab 1943 in Pacific Palisades, im Westen von Los Angeles. Aber keinesfalls hätte er sich träumen lassen, dass die von ihm gekaufte Villa Aurora, die er bis zu seinem Tod 1958 bewohnte, einmal zu einem Hot Spot der Oscar-Feiern aufsteigen würde.

Jedenfalls für die deutschen Teilnehmer, für die dort traditionell am Vortag der Preisgala ein Empfang stattfindet, ausgerichtet von German Films, dem in München ansässigen Informations- und Beratungszentrum für den deutschen Filmexport, und eben der Villa Aurora. Einst Wohnsitz des Exil-Berliners Feuchtwanger, ist sie nun – nicht zuletzt dank der Initiative des früheren Tagesspiegel-Geschäftsführers Lothar C. Poll – zugleich Kulturdenkmal des Exils wie Künstlerresidenz mit internationalen Stipendiaten, unterstützt vom Auswärtigen Amt und Kulturstaatsministerin Monika Grütters.

Eine ganze Menge Berlin

Am frühen Samstagnachmittag fand dort wieder der Oscar-Empfang statt, diesmal zu Ehren des Teams um „Toni Erdmann“-Regisseurin Maren Ade, deren schon vielfach prämiertes Werk nun auch noch für eine Auszeichnung als „Bester fremdsprachiger Film“ nominiert ist. Und sollte tatsächlich aus Toni ein Oscar werden, würde dieser tatsächlich an der Spree landen. Schließlich wohnt die Regisseurin in Berlin und hat den Film auch produziert, gemeinsam mit Janine Jackowski und Jonas Dornbach, wie sie Geschäftsführer der in Kreuzberg ansässigen Produktionsfirma Komplizen Film.

In der Villa Aurora - hier ein Foto vom Oscar-Empfang 2016 - wird von den Deutschen traditionell vorgefeiert.
In der Villa Aurora - hier ein Foto vom Oscar-Empfang 2016 - wird von den Deutschen traditionell vorgefeiert.

© Barbara Munker/dpa

Es steckt eine ganze Menge Berlin in der diesjährigen Oscar-Gala, cineastische Kreuz- und Querverbindungen zwischen der Heimatstadt des Berlinale-Bären und der des noch heftiger begehrten Goldjungen, ein Gespinst aus mal dickeren, mal dünneren, mal kaum noch zu erahnenden Fäden. „Toni Erdmann“ nimmt da sicher die Spitzenposition ein, aber der Mitbewerber „Unter dem Sand“ von Regisseur Martin Zandvliet kommt gleich danach. Ein dänischer Film um junge deutsche Kriegsgefangene, die 1945 dänische Strände von deutschen Minen räumen müssen. Einen spielt der 19-jährige Wahlberliner Louis Hofmann, der sich seit 2014 mit einem Freund eine Wohnung in Prenzlauer Berg teilt. Gerade erst war er einer der European Shooting Stars der Berlinale, steht derzeit in Berlin und Umgebung für „Dark“, die erste deutsche Netflix-Serie, vor der Kamera, aber der Oscar geht an diesem Wochenende vor. Am Samstagmorgen flog er nach L. A., seine erste USA-Reise überhaupt, samt Teilnahme an der Preiszeremonie. Zeit für Sightseeing hat er da kaum: Am Dienstag geht es bereits wieder nach Berlin, zurück ins Team der Mystery-Serie „Dark“.

Preise auf der Berlinale

European Shooting Star – das war auch Ruth Negga, die aus Äthiopien stammt, aber schon als Vierjährige mit ihrer Familie nach Irland zog. Auf der Berlinale 2006 war sie in Neil Jordans „Breakfast on Pluto“ zu sehen, damals wurde sie noch als europäischer Filmnachwuchs gefeiert, und nun hat sie sogar Aussichten, als „Beste Hauptdarstellerin“ einen Oscar zu erlangen – für ihren Auftritt in dem Film „Loving“, der die wahre Geschichte des gleichnamigen Ehepaars erzählt, das 1967 erfolgreich gegen das in Virginia geltende Verbot von Mischehen aufbegehrte. Ebenfalls unter den nominierten Hauptdarstellerinnen: Isabelle Huppert („Elle“), seit langem Stammgast der Berlinale, Natalie Portman („Jackie“), die dort unter anderem die teilweise in Potsdam-Babelsberg gedrehte Comic-Verfilmung „V for Vendetta“ vorstellte, und schließlich Meryl Streep („Florence Foster Jenkins“). Sie erhielt 1999 eine Berlinale-Kamera, durfte 2003 für „The Hours“ einen Silbernen Bären, neun Jahre später einen Goldenen Ehrenbären herzen, und 2016 war sie die gefeierte Jury-Präsidentin des Festivals.

Hoffnung auf Gold. Das „Toni Erdmann“-Team jubelte 2016 gleich fünffach über den Europäischer Filmpreis.
Hoffnung auf Gold. Das „Toni Erdmann“-Team jubelte 2016 gleich fünffach über den Europäischer Filmpreis.

© Maciej Kulczynski/dpa

Bestens bekannt in Berlin ist auch Denzel Washington, der gleich doppelt auf den Oscar für „Fences“ hoffen darf, als Hauptdarsteller und als einer der Produzenten. Wiederholt war er schon in Berlin, stellte Filme wie den CIA-Thriller „Safe House“ vor, war auch auf der Berlinale präsent. 1990 ärgerte er sich gemeinsam mit Morgan Freeman über die kritischen Fragen zu Edward Zwicks allzu pathetisch geratenem Bürgerkriegs-Drama „Glory“, 1993 wurde er als Bester Darsteller für die Titelrolle in „Malcom X“ ausgezeichnet und sieben Jahre später gleich noch einmal als Boxer Rubin Carter in „The Hurricane“.

Auch für den Oscar nominierte Filme haben in Berlin schon Preise errungen. Der Dokumentarfilm „Seefeuer“ von Regisseur Gianfranco Rosi über die Flüchtlingsinsel Lampedusa war im Vorjahr als bester Film mit dem Goldenen Bären der Berlinale ausgezeichnet worden. Und der ebenfalls nominierte Film „I Am Not Your Negro“ von Raoul Peck hatte erst jüngst auf der Berlinale den Panorama-Publikumspreis als beste Dokumentation errungen.

Offenbar eine Art Kohlhaas-Geschichte

Bleiben Consolata Boyle („Florence Foster Jenkins“) und Colleen Atwood („Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“), die beide auf einen Oscar für das beste Kostümdesign hoffen. Erstere hatte mitgeholfen, dass Helen Mirren für die Titelrolle in „The Queen“ 2007 in Berlin mit dem Europäischen Filmpreis als Beste Darstellerin ausgezeichnet wurde. Die Beziehung der Oscar-Kandidatin Atwood zu Berlin ist lockerer, aber nachweisbar: 1981, ganz zu Beginn ihrer Karriere, wirkte sie als Assistentin der hauptamtlichen Kostümdesignerin an „Ragtime“ mit, Miloš Formans Verfilmung des gleichnamigen Romans von E. L. Doctorow. I

m Mittelpunkt der in den USA des frühen 20. Jahrhunderts spielenden Geschichte steht ein junger Schwarzer, dessen Auto von weißen Rassisten mit Fäkalien beschmiert und demoliert wird. Seine vergeblichen Versuche, Genugtuung zu erhalten, schlagen bald in einen maßlosen Rachefeldzug um. Das kommt einem gerade in Berlin, der Wirkungs- und Todesstätte Heinrich von Kleists, bekannt vor: Offenbar eine Art Kohlhaas-Geschichte. Und wie heißt auch tatsächlich der junge Schwarze? Coalhouse Walker Jr.

Zur Verleihung sendet Pro7 heute ab 23.20 Uhr live, die eigentliche Zeremonie beginnt um 2.30 Uhr. Bei freiem Eintritt ist sie auch im City Kino Wedding, Müllerstraße 74, zu sehen.

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