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Der Eingang der Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen in Oranienburg.

© imago images/Jürgen Ritter

Unverständnis in der Gedenkstätte Sachsenhausen: Berliner Gericht stellt Volksverhetzungs-Verfahren ein

Der Vertrieb von Schriften, die den Einsatz von Gaskammern im KZ Sachsenhausen leugnen, soll in einem konkreten Fall keine Straftat sein. Die vom Gericht vorgetragene Begründung irritiert.

„Der Mann, der Berlin blamiert“: So hat der „Spiegel“ vor mehr als 15 Jahren über Gustav Rust geschrieben. Der damals 67-jährige Rust galt als fester Bestandteil des Regierungsviertels. Auf einem Weg im Tiergarten zwischen Brandenburger Tor und Bundestagsgebäude hielt der ehemalige DDR-Häftling eine Dauermahnwache an einer Reihe von weißen Kreuzen ab, die an die Opfer der Mauer erinnern sollen.

Soweit so harmlos. Doch mit der Zeit tauchten von Rust angebrachte Flyer im Nazi-Jargon auf. Immer wieder kam es zu verbalen und sogar körperlichen Aggressionen gegenüber Passanten. In einem Fall legte sich Rust mit einem polnischen Diplomaten an. Der Mann wurde zum Problem für Bezirk und Stadt, wirkte peinlich inmitten des repräsentativen Regierungsviertels. Schon damals betrieb der Dauer-Protestierer eine Website, die zu Werken von Holocaustleugnern wie Horst Mahler weiterleitete.

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Mitte Mai 2023, Rust ist mittlerweile 83 Jahre alt, wird in einem Rollstuhl durch die engen Gänge des Amtsgerichts Tiergarten geschoben. Er hat offenbar nichts an seiner stets vorhandenen Überzeugung eingebüßt, grundsätzlich im Recht zu sein. Rust ist angeklagt wegen Volksverhetzung. Der gelernte Schweißer hatte zuvor Post von der Staatsanwaltschaft in sein Schöneberger Pflegeheim bekommen. Ein Strafbefehl wegen Volksverhetzung – natürlich legte der 83-jährige Einspruch ein. Und so entsteht bis zum Ende der zähen Gerichtsverhandlung der Eindruck, dass Gustav Rust eigentlich gar nicht weiß, wieso er überhaupt angeklagt ist.

Gustav Rust im Jahr 2006 an den weißen Kreuzen im Tiergarten.
Gustav Rust im Jahr 2006 an den weißen Kreuzen im Tiergarten.

© IMAGO / Lindenthaler

Den Stein hatte ein Historiker der Gedenkstätte Sachsenhausen ins Rollen gebracht. Bei Recherchen stieß der Mann, der von der Vorsitzenden auch als Zeuge angehört wird, auf die chaotische Homepage von Gustav Rust und eine bis dato unbekannte englische Fassung eines Erinnerungsberichts von Gerhart Schirmer, der im Zweiten Weltkrieg als Luftwaffenoffizier für die Wehrmacht kämpfte. Das deutsche Originalwerk, das im rechtsextremen Grabert-Verlag erschienen ist, wurde 2002 vom Amtsgericht Tübingen eingezogen und der Vertrieb in Deutschland verboten.

„Na, wegen der Gaskammern“

In der Schrift wird unter anderem die Existenz von Gaskammern im Konzentrationslager Sachsenhausen im Dritten Reich angezweifelt. Diese wären, so die Behauptung, durch die Alliierten nach der Befreiung eingebaut worden. Auch wäre die Zahl der während der Shoa ermordeten Juden viel geringer als angegeben, erklärt Schirmer.

Warum hat Gustav Rust dieses Buch über seine Website verkauft? „Na, wegen der Gaskammern“, sagt er vor Gericht. Und: „Ausländische Historiker wollen uns unsere Geschichte erklären, als wären wir dumme Kinder“. Wie es um die Freiheit in der Bundesrepublik bestellt sei, sehe man schließlich am Volksverhetzung-Paragrafen, erklärt der 83-Jährige seelenruhig der Vorsitzenden. Dabei wirkt er abgeklärt und souverän.

Schirmer gilt vor allem, was die „Gaskammer-Thematik“ angeht, in der Szene internationaler Holocaustleugner als Kronzeuge. Vor Gericht gibt Rust zu, über das Verbot des Werkes Bescheid gewusst zu haben. Er selbst habe es schließlich ins Englische übersetzen lassen, berichtet Rust, als wäre der Vorgang eine Lappalie. Dabei habe zweimal telefonischer Kontakt zu Schirmer bestanden. Am 15. Mai vertagt die Richterin die Urteilsverkündung nach mehreren Stunden Verhandlungsdauer.

Irritierende Begründung: „Sowieso überall erhältlich“

Ende Juni teilt das Berliner Amtsgericht schließlich der Gedenkstätte Sachsenhausen telefonisch mit, dass sich das Gericht ohne weiteren Verhandlungstag dazu entschieden hätte, das Verfahren einzustellen. Auf Anfrage heißt es, der Angeklagte befände sich in einem schlechten körperlichen Zustand. Zum anderen seien die betreffenden Schriften von seiner Homepage genommen worden, würden also offenbar nicht mehr vertrieben. Außerdem wird die Einstellung des Verfahrens damit begründet, dass die betreffenden Schriften, „sowieso überall erhältlich“ seien. Dem Angeklagten sei es daher schwer nachzuweisen gewesen, dass er vom Verbot der Schriften wusste.

Die Begründung irritiert in Sachsenhausen. Zwar sei es „zu begrüßen“, dass der Vertrieb der Schrift durch Rust offenbar eingestellt wurde. Doch weitere Ausführungen des Gerichts seien „teilweise nicht nachvollziehbar“, so der Sprecher der Gedenkstätte, Horst Seferens. Gustav Rust selbst habe im Gerichtssaal zugegeben, vom Verbot der Schrift gewusst zu haben.

Absurd wirkt die Begründung des Gerichts für die Einstellung auch, weil Rust noch während des Verfahrens auf seiner Website für die englische Version des Buches geworben hatte. Dort war zu lesen: „The publishing of the book in German is banned. A version in English is available only from me!“ (Deutsch: Der Vertrieb des Buches in Deutschland ist verboten. Eine englische Version ist nur bei mir erhältlich.“ )

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