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Kevin Hönicke (SPD) hat Hausverbot bei der eigenen Behörde.

© Bezirksamt Lichtenberg

Update

„Vorwürfe sexueller Belästigung nicht bestätigt“: Bezirksamt Lichtenberg watscht Kevin Hönicke ab

Trotz Ermittlungen kandidiert Kevin Hönicke für den SPD-Landesvorstand. Dafür befeuert er auch erledigte Belästigungsvorwürfe. Jetzt widerspricht das Bezirksamt.

| Update:

Der Lichtenberger Bezirksstadtrat Kevin Hönicke will stellvertretender SPD-Landeschef in Berlin werden. Am Dienstag erklärte er seine Kandidatur für den Parteiposten – „nach gründlicher Überlegung, tiefer Überzeugung, großer Freude und einem tiefen Verantwortungsbewusstsein“. Nach „intensiven, aber dankbaren acht Jahren als Beisitzer im Landesvorstand“ wolle er seine Erfahrungen und seine „leidenschaftliche Hingabe an die sozialdemokratischen Ideale auf eine neue Ebene heben“.

In der SPD hat die Nachricht teils Kopfschütteln ausgelöst. Hönicke soll gewissermaßen als Einzelkämpfer und ohne Absprache mit den verschiedenen Parteiflügeln seinen Hut in den Ring werfen. Hinter vorgehaltener Hand heißt es bei Genossen schon, Hönicke schade inzwischen der Partei.

Denn der SPD-Politiker steht als Bezirksstadtrat in Lichtenberg derzeit unter Druck – gegen ihn wird ermittelt, zudem verstrickt er sich immer mehr in Widersprüche: Vorwürfe der sexuellen Belästigung, die er vor Monaten noch als erledigt erklärt hatte, nutzt er nun, um Aufmerksamkeit zu bekommen.

Bezirksbürgermeister Martin Schaefer (CDU) hat ihm im Oktober die Ausübung der Dienstgeschäfte untersagt. Er musste die Diensttechnik und Schlüssel abgeben, darf sein Büro nicht betreten. Der Grund: Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen ihn wegen Geheimnisverrats. Für Hönicke gilt die Unschuldsvermutung.

Bis heute konnten diese Vorwürfe nicht bestätigt werden, trotz intensiver Prüfungen.

Kevin Hönicke am 2. Oktober 2023

Bei den Dienstgeheimnissen geht es um einen Fall, den Hönicke seit einigen Tagen für sich politisch nutzen will. Ausgelöst wurden die Ermittlungen durch ein anonymes Schreiben, das vor der Februar-Wahl 2023 den Tagesspiegel erreichte. Darin befanden sich Ausdrucke interner E-Mails, in denen Lichtenberger Beamte über ein angebliches Sexualdelikt eines Kollegen im Gesundheitsamt spekulieren.

Ein Tagesspiegel-Mitarbeiter hatte ein Foto vom Briefkuvert in sozialen Medien gepostet. Über die Briefmarke kamen die Ermittler Hönicke auf die Spur: Die Frankierung ist über Hönickes Account beim Postdienstleister DHL bezahlt und ausgedruckt worden.

Kevin Hönicke und der frankierte Brief

© Montage: Tagesspiegel/Schneider | imago images, TSP

Enthalten sind im anonymen Brief 13 Seiten, davon größtenteils interne E-Mail-Korrespondenz und Gesprächsvermerke aus dem ersten Quartal 2022. Im Anschreiben erhebt eine „Mitarbeiterin“ den Vorwurf, dass ein Mitarbeiter Frauen im Bezirksamt sexuell belästigt haben soll. Zudem wurde dem damaligen Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke) wenige Wochen vor der Wiederholungswahl vom Februar vorgeworfen, er und ihm unterstehende leitende Mitarbeiter hätten die Vorfälle gedeckelt und nichts unternommen.

Stadträtin vermutet Diffamierungskampagne

Doch aus den Unterlagen geht hervor, dass die internen Ermittlungen schon im März 2022 eingestellt wurden. Für die Bezirksstadträtin Camilla Schuler (Linke) war „nicht zu erkennen, dass sich die Vorwürfe (…) bestätigen“. Sie kam zum Ergebnis, „dass hier auf eine etwas simple Art versucht wird, einen Kollegen zu diffamieren“. Zwei Frauen, die die Vorwürfe erhoben haben, wollten keine Strafanzeige stellen. Eine dritte widersprach sogar dem von den anderen beiden Mitarbeiterinnen verbreiteten Vorwurf, sie sei belästigt worden.

Auch Hönicke selbst erklärte Anfang Oktober 2023, als er noch im Dienst war, dem Tagesspiegel und anderen Bezirksamtsmitgliedern per E-Mail zu der angeblichen sexuellen Belästigung: „Bis heute konnten diese Vorwürfe nicht bestätigt werden, trotz intensiver Prüfungen.“ Hönicke stellte sich sogar vor den Mitarbeiter und warnte: „Das ist hier deutlicher Rufmord und üble Nachrede.“

Doch seitdem er sein Amt wegen der Ermittlungen gegen ihn nicht mehr ausüben darf, sieht Hönicke den Fall offenbar ganz anders. Dazu dient ihm auch ein überaus langer Bericht in der „Berliner Zeitung“ vom Wochenende. Einer der Titel: „SPD-Stadtrat Hönicke: Wurden MeToo-Vorwürfe im Rathaus Berlin-Lichtenberg vertuscht?“ Ein anderer lautete: „Machtmissbrauch in Lichtenberg: Wie Stadtrat Hönicke aus dem Amt gejagt wurde.“ Und ein weiterer: „MeToo und Machtmissbrauch in Berlin-Lichtenberg.“ Der „Berliner Kurier“ aus demselben Verlag schrieb: „Polit-Chaos: Steckt ein despotischer Waffenbesitzer hinter dem Fall Kevin Hönicke?“

In allen Berichten wurde der Mitarbeiter nicht nur namentlich genannt, sondern auch mit Foto gezeigt. Zudem wurde der Eindruck erweckt, der Mitarbeiter hätte entgegen der amtlichen Untersuchungsergebnisse doch Frauen im Bezirksamt sexuell belästigt. Ebenso, dass er die Untersuchung der Belästigungsvorwürfe gegen ihn beeinflusst und Frauen „zum Schweigen“ gebracht haben könnte.

Renommierter Medienrechtsanwalt schaltet sich ein

Ja sogar, dass er im Auftrag des Bezirksbürgermeisters zu dem geheimnisvollen Briefumschlag wegen Geheimnisverrats ermittelt habe – und damit angeblich in eigener Sache. Obendrein wurde der Eindruck erweckt, er sei eine „möglicherweise sogar gefährliche Person“, ein „Waffennarr und Trump-Verehrer“ und „eine zwielichtige Figur“.

Ein renommierter Medienrechtsanwalt wurde inzwischen mit dem Fall betraut. Auch ohne diesen Umstand fanden die Berichte über den angeblichen „Berliner Verwaltungs-Krimi“ in anderen Medien kaum Resonanz. Am Dienstag befasste sich das Bezirksamt mit dem Bericht.

Ein Schreiben, unterzeichnet von Bezirksbürgermeister Schaefer und Stadträtin Schuler, ging am Mittwochmorgen an die Belegschaft – wegen „der aktuellen Medienberichterstattung und vieler Beiträge und Kommentare in den sozialen Medien“. Es sei bedauerlich, „dass durch öffentliche Äußerungen“ auch von Bezirksamtsmitgliedern das Ansehen der Verwaltung und einzelner Mitarbeiter beschädigt worden sei. Opfern von sexuellen Übergriffen, Diskriminierung und Gewalt sei versichert, dass allen bekannten Vorkommnissen entschieden nachgegangen werde.

Die „Berliner Zeitung“ erwecke den Eindruck, dass diese Maxime Anfang 2022 „nicht entschieden umgesetzt wurde“. Aber: „Dies ist nicht der Fall“. Die Anschuldigungen gegen den Mitarbeiter seien sehr ernst genommen und gründlich untersucht worden – im Einvernehmen mit den beteiligten Personen. „Das Ergebnis nach verschiedenen Gesprächen war, dass sich in diesem konkreten Fall die Vorwürfe sexueller Belästigung nicht bestätigt haben“, schreiben Schaefer und Schuler.

Hönicke fordert unabhängige Aufklärung eines abgeschlossenen Falls

Hönicke dagegen hatte in den vergangenen Tagen weithin für die Recherchen des Blattes geworben, in den sozialen Netzwerken, bei anderen Medien. Nun sei „vieles aufgedeckt“, schrieb er in E-Mails an Journalisten. „Ich habe nun viele Fragen und werde diese (sic!) nun nachgehen. Ich denke, Sie werden kaum glauben, was sie da lesen.“ Es sei „ein Artikel mit den erschütternden Berichten aus dem Bezirksamt Lichtenberg“.

Bei Facebook schrieb er über den Fall, den er noch im Oktober ganz anders sah: „Es braucht hier eine unabhängige Aufklärung der Vorwürfe zur sexuellen Belästigung.“ Von „ganzen verbrecherischen Vorgängen“ ist die Rede. Zu den Frauen erklärte er: „Anscheinend wurden sie bedroht und eingeschüchtert.“ Und er schrieb: „Mit dem Artikel habe ich nichts zu tun.“ Dabei ist er darin die zentrale Figur.

Zum Bericht entstand auch ein Video, das bei Youtube veröffentlicht wurde. Darin erhebt Hönicke den Vorwurf, dass die Unschuldsvermutung als Grundprinzip des Rechtsstaats für ihn offenbar nicht mehr gelte. Also jene Unschuldsvermutung, die beim Bezirksamtsmitarbeiter mit den Berichten über MeToo-Vorwürfe nun eingerissen wird.

Hönicke bestreitet, dass er den Brief abgeschickt hat. Er wisse nicht, ob „die Briefmarke irgendjemand gefälscht hat, mein Konto vielleicht jemand gehackt hat“. Das Verwaltungsgericht sah das anders: Es wies Hönickes Eilantrag gegen die Freistellung ab, die sei nach Lage der Dinge rechtmäßig. Es lägen ausreichende Indizien für den Verdacht vor, dass Hönicke seine beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht verletzt hat.

Hönicke bezeichnet sich als „beide Politiker Kevins“

Einem Bezirksstadtrat „dürften ausreichende Mittel zur Verfügung und Wege offenstehen, wirksam, gleichwohl intern gegen Missstände vorzugehen“, etwa gegen das befremdliche Agieren eines Mitarbeiters, heißt es im Gerichtsbeschluss. Aber längst aus der Welt geräumte Belästigungsvorwürfe „ohne neue Tatsachen (…) wieder in die Welt gebracht zu haben, steigert das Misstrauen“ des Dienstherrn. Hönicke hat gegen den Beschluss Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg eingelegt, entschieden hat es noch nicht.

Für ihn gebe es „zwei sehr schlimme Sachen, Gewalt gegen Frauen und Gewalt gegen Kinder“, sagte er im Video. Nie im Leben würde er „eventuelle Gewalt gegen eine Frau oder mehrere Frauen nutzen“, um einem politischen Konkurrenten zu schaden oder „um irgendjemanden loszuwerden oder jemanden in eine Bredouille zu bringen“, erst „recht nicht oder vor allem nicht und niemals nicht, wenn dabei sexuelle Belästigung von Frauen“ im Spiel sei.

Im Fall des Mitarbeiters, den Hönicke nun befeuert, geht es aber um sexuelle Belästigung, obwohl es keine Beweise für die Vorwürfe gibt, interne Ermittlungen sogar eingestellt wurden. Entgegen seinen früheren Aussagen behauptet Hönicke, dass im Bezirksamt „seit zwei Jahren vieles vertuscht wird“.

Nun werde er alles dafür tun, dass alles aufgeklärt wird. Er werde „bis zum bitteren Ende kämpfen“. Und „beide Politiker Kevins (sic!), der, der gegangen ist, und der, der wiederkommen wird, sind sich sicher, dass er wiederkommt“. Er wolle einen Neuanfang wagen, „der nicht auf Rache aus ist“. Hönickes Argumentation ist schlicht: Im Verfahren gegen ihn sei etwas nicht sauber gelaufen, deshalb muss auch bei den Untersuchungen zu den Belästigungsvorwürfen etwas nicht sauber gelaufen sein.

Das ist das anonyme Schreiben zu den Belästigungsvorwürfen

Anonymer Brief aus dem Bezirksamt Lichtenberg

© Tsp

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