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Gertraude Pohl fertigte das Relief 1973 mit einer Kollegin an. Die DDR-Staatsführung wollte etwas Besonderes für das Interhotel.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Berlin-Alexanderplatz: Vergessenes Wandbild im Hotel ParkInn entdeckt

Bei Arbeiten im Hotel am Alexanderplatz ist ein altes Wandbild aufgetaucht – selbst die Künstlerin hatte es vergessen.

Frau Pohl ist gekommen, um ihr Kind zu besuchen. Es war mal ganz oben zu Hause, in der Panorama-Etage, 37. Stock, gleich unterm Himmel, aber seit ein paar Wochen wohnt es im Keller. Also rein in den Fahrstuhl! Die Kabine ist mit Spanholzplatten ausgekleidet, denn oben wird gerade saniert, dabei haben sie ja auch das Kind entdeckt. Vorbei an riesigen Säcken mit Pfandflaschen, die Klimaanlage brummt, Arbeiter grüßen. Dann scharf nach links und da liegt es auch schon. Übereinandergeschichtet auf drei Paletten. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so groß ist“, sagt Frau Pohl. „Und so schön bunt… Na ja, ist ja auch schon eine Weile her“, fast ein halbes Jahrhundert. „Ich hab’ ja alle meine Kinder mal wieder besucht, aber ich muss so ehrlich sein: Dieses eine hatte ich vergessen.“

Gertraude Pohl ist bildende Künstlerin, ihre Werke nennt sie zärtlich „meine Kinder“. Das im Keller des Hotel Park Inn am Alexanderplatz war eine ihrer ersten Arbeiten. Ein riesiges Wandbild, zehn mal drei Meter, Keramik und Glas auf Stahl. Angefertigt im Jahr 1973 für den Roten Salon, eine Art sozialistischen Night Club im höchsten Hotel der Stadt, das zu DDR-Zeiten Interhotel Stadt Berlin hieß. Noch im Wendejahr 1989 hing es im 37. Stock. Dann wurde der Rote Salon zu einem Spielcasino, das Bild verschwand hinter einer Rigipswand und aus der öffentlichen Wahrnehmung, auch aus der von Gertraude Pohl. Bis dann im Winter ein Bautrupp anrückte, um den 37. Stock zu entkernen, und Jürgen Gangl einen Anruf von ganz oben bekam: „Wir haben da was gefunden, das sollten Sie sich mal anschauen!“

Die Suche nach der Künstlerin gestaltete sich schwierig

Der Hoteldirektor Gangl weiß noch, dass es der 18. Januar war, „hier, schauen Sie, ich habe sofort ein Foto mit dem Handy gemacht“. Schön für Frau Pohl und ihr Kind, dass Gangl so begeistert war von der riesigen Collage in leuchtenden Farben. Hinter Bergen von Bauschutt und allerlei Kabeln, von denen man heute lieber nicht so genau wissen will, wofür sie in einem hoheitlichen Gebäude der DDR mal benutzt wurden. „Bloß nichts kaputt machen!“, hat er den Arbeitern gesagt und gleich einen Spezialisten gerufen. Behutsam haben sie die farbenfrohe Keramikwand demontiert, in neun Einzelteile zerlegt und in den Keller geschafft. Dort lagert sie jetzt auf drei Holzpaletten und harrt ihrer Restaurierung.

Die Suche nach den Künstlern gestaltete sich schwierig. Die einzige Spur war eine Signatur unten in der Ecke, „Walk Pohl“. Gangl stellte ein paar Fotos des Überraschungsfundes ins Internet und schon ein paar Tage später klingelte im Atelier bei Gertraude Pohl in Prenzlauer Berg das Telefon. Es meldete sich ein Architekt aus Cottbus, „er hat gesagt: Stellen Sie sich mal vor, Ihr Bild ist wieder da!“ Ja doch, sie war ein bisschen verwirrt. „Was meinen Sie? Welches Bild?“– „Na das aus den Interhotel!“ Dann ist sie auch schon zum Alexanderplatz gefahren, mit dem Fahrstuhl in den Keller, vorbei an den riesigen Säcken mit Pfandflaschen zu den drei Holzpaletten. Und die Erinnerungen kamen zurück.

Kleinbürgerlich, aber nicht geschmacklos

Gertraude Pohl hat in den Sechziger Jahren als Designerin gearbeitet, das Interhotel Stadt Berlin war einer ihrer ersten Auftraggeber. Sie war erst für die Gestaltung der Außenfassade zuständig, ein Unternehmen von beträchtlichem Ausmaß bei einem 125 Meter hohem Gebäude. „Wir haben uns für Blautöne entschieden, dem Himmel entgegen, das hatte alles schon seinen Sinn“, aber davon ist heute nichts mehr zu sehen. Im dritten Jahrtausend hat sich das Hotel eine gläserne Haut verpasst. Frau Pohl sagt, damit könne sie leben, sehr viel besser als mit der Inneneinrichtung, denn auch dafür war sie damals zuständig. Kurzes, aber nicht zu überhörendes Seufzen. „Schauen Sie sich das doch mal an, dieses Durcheinander der Stile!“ Vorn der Gang aus Marmor-Imitat, hier die Sitzecke mit den dunklen Sesseln, da die Kordeln vor der Rezeption. Passt ganz gut zum wirren Alexanderplatz mit seinem wahllos herumgekleckerten Beton. Frau Pohl sagt, auch die DDR sei kleinbürgerlich gewesen, aber nicht ganz so geschmacklos.

Hingucker. Noch lagert das Werk im Keller, soll aber wieder in den 37. Stock.
Hingucker. Noch lagert das Werk im Keller, soll aber wieder in den 37. Stock.

© promo

Das riesige Wandbild war eine Anschlussarbeit nach der Einweihung des Hotels am 7. Oktober 1970, dem 21. Geburtstag der DDR. Wie genau lautete der Auftrag? „Da war nichts Politisches, wir sollten auch keine Geschichte erzählen, wie das ja so oft bei großen Wandbildern der Fall ist. Es ging einfach nur um eine künstlerische Aufwertung dieses besonderen Ortes“, mit seinem großartigen Ausblick und den riesigen Fenstern von der Decke bis zum Boden. Also hat sie sich mit ihrer Kollegin Gunda Walk in deren Weißenseer Werkstatt Gedanken gemacht. Bunt sollte das Bild sein und von besonderen Formen leben, „es sollte eine Brillanz und Eleganz ausstrahlen, wie es sie im Alltag nicht gab“. Die beiden Frauen entschieden sich für helle Gelb-, Grün- und Blautöne, für rechteckige Kacheln und runde Glaselemente, deren Formen sie beim einem sächsischen Handwerker gießen ließen. „So was konnten sie ja in der DDR nicht irgendwo kaufen“, sagt Gertraude Pohl. Und: „Ja, der Mangel regte schon die Kreativität an.“

Das Wandbild wird restauriert

Die Arbeiten zogen sich über ein Jahr lang hin, dann wurde der in aufwändiger Relieffliesen-Technik gefertigte Wandschmuck aus Weißensee an den Alex verfrachtet. Wie? „Auch daran kann ich mich leider nicht mehr erinnern, aber wir zwei Frauen haben das Bild ganz bestimmt nicht getragen, dafür war es viel zu schwer.“ Zur offiziellen Einweihung ist sie mit dem Auto in die hoteleigene Tiefgarage gefahren. Im Roten Salon gab es einen kleinen Empfang, wohlwollende Reden und ein paar Gläser Sekt. Frau Pohl weiß noch, dass sie ein bisschen beschwipst war und gleich vor dem Hotel eine Abordnung von Volkspolizisten wartete, „aber die haben nur nett gegrüßt und mir den Weg gezeigt“.

Gertraude Pohl hat später den Palast der Republik mit eingerichtet und überall in der östlichen Halbstadt ihre Spuren hinterlassen. Heute steht sie im 78. Lebensjahr, eine zierliche Frau mit wachen Augen, sie stellt weiterhin aus und arbeitet immer noch als Künstlerin. Die unverhoffte Begegnung mit dem verschollenen Kind hat ihr gleich einen neuen Auftrag beschert. Sie wird im Auftrag des Park Inn das Wandbild restaurieren. Hier fehlt eine Ecke in der Keramik, dort ist eine gläserne Rundung eingedellt, „keine große Sache, das wird nicht so furchtbar viel Zeit in Anspruch nehmen“.

Manche Kinder sind gegangen, aber dieses ist geblieben

Ende des Jahres, wenn die Sanierungsarbeiten beendet und die neuen Suiten fertig sind, soll das Kind wieder eine Wand im 37. Stock zieren. In einem Frühstücksraum, ungefähr dort, wo sich früher der Rote Salon befand. Gertraude Pohl freut sich schon darauf und ganz allgemein darüber, „wie viel Respekt meiner Arbeit entgegengebracht wird, besonders von Herrn Gangl. Das ist ja keinesfalls selbstverständlich. Andere hätten das Bild wahrscheinlich sofort entsorgt.“ Einigen ihrer Werke ist es nach der Wende so ergangen. Etwa den großflächigen Fassadenbildern ein Stück weiter östlich in der Allee der Kosmonauten, „die hat der neue Besitzer sofort beseitigen lassen“. Eine andere Arbeit in der Friedrichswerderschen Kirche wurde noch zu DDR-Zeiten entfernt, weil ein Parteibonze im Hintergrund eine Andeutung Stars and Stripes entdeckt haben wollte. Ein anderes Mal intervenierte die sowjetische Botschaft, die bei einer Installation Unter den Linden zu viele Farben in Richtung Westen beanstandete.

Manche Kinder sind gegangen, aber dieses eine im Park Inn ist geblieben. Wie heißt es eigentlich? „Gute Frage“, sagt Gertraude Pohl, sie ist jetzt doch ein bisschen überrascht. „Lassen Sie mich mal überlegen. Hmm... Nein, ich glaube, wir haben dem Kind damals gar keinen Namen gegeben.“

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