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Berlin: Viccos Verdi-Variationen

Loriots Erläuterungen zu hitverdächtigen Arien sind Kult bei den Stammgästen der Aids-Gala

Von Elisabeth Binder

Schlaganfall. Brustkrebs. Mukoviszidose. Alles Krankheiten, deren Erforschung noch viel Geld kosten wird, das unter anderem auf Benefizveranstaltungen aufgetrieben wird. Die Aids-Gala hat also reichlich Konkurrenz bekommen in den letzten Jahren, besitzt aber immer noch einen entscheidenden Vorsprung – und der heißt Loriot. Dessen „Notwendige Bemerkungen zu dramatischen Musikbeispielen“ sind Kult unter den Stammgästen. Wer hätte es denn je geschafft, schon vor seinem Auftritt eine stehende Ovation vor ausverkauftem Haus zu bekommen? „Das Land des Lächelns ist keine Umschreibung der Bundesrepublik“, eine wahrhaft dringliche Klarstellung in einer nicht enden wollenden Periode schlechter Nachrichten.

Auch den Schwerpunkt des Arien-Programms begründete Vicco von Bülow schlüssig: „Seit die vereinten Dienstleistungsgewerkschaften sich unter dem Namen Verdi vereinigt haben, hat der Name auch in Deutschland einen gewissen Bekanntheitsgrad – jedenfalls unter Gewerkschaftern. Um den gleichnamigen italienischen Komponisten nun auch ein bisschen bekannter zu machen…“ Gebet der Desdemona. Bravos für Stars wie Montserrat Caballé, Alberto Cupido und Thomas Quasthof.

Wie ein Vorab-Akt zu Loriot wirkte Opernintendant Udo Zimmermann bei der Aufzählung der Ehrengäste: Roman Herzog, Richard von Weizsäcker, Wolfgang Thierse, Klaus Wowereit, Ulla Schmidt, Guido Westerwelle, sie alle und noch viel mehr, jeweils mit vollständigem Titel. Nur Boris Becker, der als Abgesandter der Schickeria-Fraktion zwischen Herzogs Frau Alexandra von Berlichingen und Rita Süssmuth saß, blieb unerwähnt.

Ob es demnächst auf dem Benefiz-Markt noch enger wird, wenn für die finanzkranken Opern selbst Geld aufgetrieben werden muss? Es gab schon ein paar Ketzer, die im Anschluss an das hitparadenverdächtige Arienprogramm von „Wolframs Lied an den Abendstern“ über das Duett der Perlenfischer bis zur Arie der Wally in solchen Zusammenstellungen einen möglichen Rettungsanker für die bedrohten Opernhäuser sehen wollten. Andere fragten sich, ob das, was da am Ende einer höchst ernüchternden Woche bis zum Morgen wild steppend über die Bühne ging, schon der Tanz auf der untergehenden Titanic war.

Wie immer gab es elegante und ausladend glitzernde Roben, etwas weniger protzig als früher vielleicht. Eindeutig dominierte schwarze Spitze bei den Damen, womöglich deshalb, weil sich davon die Solidaritätsschleife so gut abhebt. Nach den eingängigen Musikbeispielen war die mit Kerzen geschmückte Opernbühne für alle geöffnet. Abgeordnetenhaus-Präsident Walter Momper und Schulsenator Klaus Böger studierten mit ihren Frauen genüsslich das Spreizgehabe auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, die jüngeren Gäste rockten, bis sich die Balken bogen, und die wilde Malerin Elvira Bach durfte sich mit dem Gewinn eines VW Polo über den Verlust ihres Führerscheins hinweg trösten.

Die Initiatoren waren vollauf zufrieden mit dem Ablauf des Abends, auch Irina Pabst, die in ihrem Engagement für die Kranken bekanntermaßen keine Grenzen kennt und sich bei den Ovationen glatt den Finger brach. Eine bemerkenswert gute Rede hielt Daimler-Chrysler-Chef Jürgen Schrempp, Präsident der Global Business Coalition on Aids, in der sich große Unternehmen zusammengeschlossen haben, um die Krankheit in den Entwicklungsländern zu bekämpfen.

Gut zehn Minuten sprach er über den Vernichtungszug von Aids unter den Hoffnungsträgern von heute und den Leistungsträgern von morgen, dann schloss er mit den Worten: „Während meiner Rede haben sich hundert Menschen infiziert und siebzig sind an Aids gestorben.“

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