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Der Chirurg Ernst von Bergmann mit grauem Bart steht im Operationssaal am Kopfende einer liegenden Patientin. Der Arzt ist umgeben von Assistenzärzten, Pflegern und Krankenschwestern.

© Berliner Leben

Fraktur! Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Vom Schlachtfeld der Medizin

Der Chirurg Ernst von Bergmann gehört in der Kaiserzeit zu den Medizinern von Weltrang. Sein Handwerk lernt er als Militärarzt an den Kriegsschauplätzen Europas.

Der alte Herr kann vom Skalpell nicht lassen. Am Operationstisch steht der ergraute Chirurg Ernst von Bergmann, umringt von Assistenzärzten, Operationsschwestern und Praktikanten, in der ersten Reihe des Saals sitzen Medizinstudenten, um das ärztliche Handwerk aus nächster Nähe zu beobachten. Für das Foto der Zeitschrift "Berliner Leben" im Juli 1906 legt der Professor seiner Patientin fürsorglich die Hand auf die Schulter. Kurz darauf wird sie anästhesiert, der Direktor der Berliner Universitätsklinik geht an die Arbeit.

Die Frau ist in guten Händen. Generalarzt von Bergmann, geboren 1836 in Riga, ist eine Koryphäe seines Fachs, einer der "größten Gelehrten und Operationskünstler", wie das "Berliner Leben" schreibt. Als Verfasser "epochemachender Werke" wie "Die Behandlung der Schusswunden des Kniegelenkes im Kriege" (1878), "Die Lehre von den Kopfverletzungen" (1880) und "Die chirurgische Behandlung der Hirnkrankheiten" (1888) ist er weltbekannt. Der Pastorensohn studiert Medizin an der Universität im baltischen Dorpat (heute Tartu in Estland). Nach der Promotion wird er Assistenzarzt an der dortigen Klinik, 1864 Professor.

Als Militärarzt amputiert Ernst von Bergmann Gliedmaßen im Akkord

Aber die höchste Schule der Chirurgie wird für Bergmann der Krieg. Als Militärarzt nimmt er 1866 an der Schlacht bei Königgrätz im Deutsch-Österreichischen Krieg teil. Die Verwundeten werden auf Leiterwagen, teils "schichtweise übereinander gelagert", in die Lazarettstationen gebracht. Selbst das Mittagsmahl wird den Ärzten "auf dem Operationstisch" serviert, schreibt von Bergmann in seinen Erinnerungen, sie kämpfen pausenlos gegen die "verheerende Seuche" der Wundinfektionen, die sich durch unsaubere Verbände und mangelnde Hygiene in den Quartieren ungehindert ausbreiten. Massenhaft werden Gliedmaßen amputiert.

Weitere Einsätze als Truppenarzt folgen 1870/71 im Deutsch-Französischen Krieg und 1877 im Russisch-Türkischen Krieg. Bergmann entwickelt neue Methoden der Wundversorgung. Er erprobt Verfahren der Antisepsis, zunächst mit chemisch behandelten, später mit dampfsterilisierten Verbandsmaterialien. Die Zahl tödlicher Infektionen geht drastisch zurück, dank Bergmanns Methoden, die zum medizinischen Standard werden, überleben zigtausende verletzte Soldaten.

Als der Chirurg 1882 zum Direktor der Berliner Universitätsklinik berufen wird, ist er ein berühmter Mann, gilt als Pionier der "Hirn- und Kriegschirurgie". Zu seinen prominenten Patienten zählt Kronprinz Friedrich Wilhelm. Der älteste Sohn von Kaiser Wilhelm I. leidet 1887 unter zunehmender Heiserkeit, Professor Bergmann diagnostiziert bei dem starken Raucher ein Kehlkopfkarzinom und empfiehlt eine Spaltung des Kehlkopfes, um das Geschwür zu entfernen. Retten kann er den 99-Tage-Kaiser nicht, der bei der Thronbesteigung im März 1888 schon nicht mehr sprechen kann.

Bergmann wird danach noch viele Patienten operieren und Studenten ausbilden. Aber auch der beste Arzt hat am Ende keine Medizin gegen die ihm gesetzte Stunde. Am 25. März 1907, wenige Monate nach dem Fototermin im Operationssaal der Universitätsklinik in der Ziegelstraße, stirbt Ernst von Bergmann in Berlin im Alter von 70 Jahren. Er selbst war zuvor lange davon überzeugt, an Krebs erkrankt zu sein. Eine Fehldiagnose. Die Sektion des Kollegen Dr. Guleke erbringt als Todesursache den Befund: "Verengung des Dickdarms, Pankreasnekrose und diffuse Bauchfellentzündung".

Alle Beiträge unserer Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit lesen Sie unter www.tagesspiegel.de/fraktur

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