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Von Hönow zum Hauptbahnhof in 41 Minuten: Was zwei Berliner Bürgermeister über die U5 denken

Eine belebtere Stadtmitte und mehr Touristen in Lichtenberg: Die Erwartungen an die neue U-Bahnlinie 5 sind hoch.

„Unter den Linden heißt unter den Palmen“, hat Peter Fox gesungen und kann damit nur die Topfpflanzen in den Autohäusern gemeint haben. An den Süden erinnert Preußens alte Prachtstraße nun wirklich nicht. Und in den vergangenen Jahren stand man vor allem auf einer Baustelle. Die Staatsbibliothek, die Staatsoper, das Stadtschloss und natürlich die neue U-Bahn – wer Unter den Linden entlangfuhr, quälte sich durch einen Parcours von Gerüsten, Zäunen und Pressholzwänden.

Doch nun liegt der Boulevard wieder frei. Am 4. Dezember wird zum ersten Mal die U5 dort halten und von Hönow in 41 Minuten bis zum Hauptbahnhof fahren. Es ist ein Durchbruch für die ganze Stadt. Aber insbesondere für Berlins historisches Zentrum.

Mittes Bürgermeister Stephan von Dassel fällt an der Kreuzung Unter den Linden/Friedrichstraße kurz vor der Eröffnung aber als Erstes auf, was noch nicht stimmt. „Da fehlen einfach Bäume“, sagt der Grünen-Politiker, während er an einem grauen Novembermorgen auf den neuen U-Bahn-Eingang und das im Dunst liegende Brandenburger Tor blickt. „Wer will denn jetzt da langgehen? Bei dem Lärm und dem Verkehr.“

Die Mittelpromenade vor ihm ist fertig, mit einem Metallzaun abgesperrt. Der Bauherr, die BVG Projekt GmbH, wird die Fläche in den kommenden Tagen an den Bezirk zurückgeben, der im Anschluss Bäume pflanzen wird. „Ich weiß nicht, ob wir das in dieser Pflanzperiode noch schaffen“, sagt von Dassel. „Die Bäume müssen ja wurzeln, bevor es friert.“

Nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht – von Dassel ist froh, dass die U-Bahn hier nun endlich fährt. Der darbenden Friedrichstraße könnte es einen Schub geben, hofft er, wenn man nun von Hellersdorf ohne Umstieg vorbeischauen kann. „Viele sagen ja, dass der Niedergang der Friedrichstraße mit dieser Dauerbaustelle zu tun hat“, meint von Dassel. Unter den Linden müsse dringend wieder zu einer Flanierzone werden.

Der darbenden Friedrichstraße könnte die U-Bahn einen Schub geben, hofft Mittes Bezirksbürgermeister

Aber dafür wird sich die Straße weiter verändern müssen. Zwei Autospuren und eine Busspur gibt es derzeit in jeder Richtung, sie wurden gerade frisch markiert. Von Dassel hätte gern weniger motorisierten Verkehr. Er kann sich eine breite Spur für Radfahrer und E-Scooter vorstellen.

Wenn man sich auf den Mittelinseln ohne zu schreien unterhalten könne, werden sich die Berliner und Gäste diesen Raum wieder aneignen, ist er überzeugt. Dann kehrten dorthin Cafés zurück. Vielleicht helfen Konzerte und Lesungen, meint von Dassel, um den Ort lebendig zu halten. Für den Bezirk jedenfalls „bleibt Unter den Linden auch nach der Baustelle eine Baustelle“, sagt der Bürgermeister.

Hat sich der langwierige U-Bahn-Bau überhaupt gelohnt? „Dass die U5 jetzt hier drunter fährt, ist natürlich toll“, sagt von Dassel und zögert. „Aber bei dem Geld – ich hätte mir hier auch eine Straßenbahn vorstellen können. Das wäre sehr urban gewesen.“

Wie von Dassel sahen es lange viele Berliner. „Kanzlerlinie“ wurde die Strecke nicht ohne Grund genannt. Helmut Kohl hatte Berlin den Bau regelrecht aufgedrängt und ließ die U5 in den Hauptstadtvertrag aufnehmen.

[Wenn die U5 vom Alexanderplatz zum Hauptbahnhof in Betrieb geht, schließt der Bahnhof Französische Straße. Er hat eine bewegte Vergangenheit. Lesen Sie den Nachruf auf Tagesspiegel Plus.]

Und der Senat? Stoppte das Projekt zwischenzeitlich und hätte am liebsten alles im Rohbau belassen. Es entstand dann die Stummellinie U55. Seit 2010 wurde die Lücke zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor mit drei neuen Stationen für etwa 525 Millionen Euro doch noch geschlossen. Eine gute Investition?

Die BVG liefert dazu Zahlen. Wer von Hellersdorf zum Brandenburger Tor will, braucht 34 statt 38 Minuten und spart sich zwei Umstiege. An den Bahnhöfen Unter den Linden und Brandenburger Tor entstehen Verbindungen zur U6 und zur S-Bahn. Die U5 soll täglich 155.000 Fahrgäste transportieren und der Autoverkehr auf Unter den Linden könnte um 20 Prozent zurückgehen.

„Ohne Umstieg zum Brandenburger Tor fahren – das hat schon was“, findet Lichtenbergs Bezirksbürgermeister

Wer aber Begeisterung für die Verlängerung spüren will, muss der Linie nach Osten folgen – zum U-Bahnhof Frankfurter Allee und von dort zum Rathaus Lichtenberg. „Ohne Umstieg zum Brandenburger Tor fahren – das hat schon was“, sagt Bürgermeister Michael Grunst. Dass viele die Verlängerung unnötig finden, weil die neue Linie parallel zur Stadtbahn und zur U2 verläuft, ficht den Linken-Politiker nicht an.

Gegenüber der Kanzler-U-Bahn seien ja viele in seiner Partei skeptisch gewesen, aber „die U5 wird das Zentrum und die östlichen Bezirke einander näherbringen“, meint Grunst. „Die U5 knistert vor Geschichte“, sagt er und verweist auf die Museumsinsel und die ehemalige Stasi-Zentrale.

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Lichtenbergs Bürgermeister hofft, dass Touristen dieser Geschichtslinie auch in seinen Bezirk folgen werden. Am 4. Dezember wird er im Bahnhof Lichtenberg eine entsprechende Kampagne vorstellen. Doch er verbindet mit der U5 nicht nur Stadtmarketing. „Mit ihr kann man die Herzen und Köpfe der Menschen gewinnen“, sagt er – „anders als mit der City-Maut.“ Jetzt, wo man mit dem ÖPNV besser in die Innenstadt kommt, kann sich Grunst auch vorstellen, den Autos auf der Frankfurter Allee Platz wegzunehmen, um einen Fahrradschnellweg zu bauen.

Mehr zum Thema: Die heilige Barbara und die U5 in Zahlen

  • Das Eröffnungsdatum 4. Dezember der neuen U-Bahn-Linie ist der Gedenktag der hl. Barbara von Nikomedien, Schutzpatronin der Bergleute. Sie galt als Beschützerin vor Sprengunfällen. Gesprengt wurde im Berliner Untergrund jedoch nicht: Der Tunnel wurde von „Bärlinde“ gegraben, einer Maschine, die auch gleich den Rohbau der Röhre erledigt hat.
  • Mehr als 500 Menschen waren am Bau der 2,2-Kilometer-Strecke zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor beteiligt. 1,6 Kilometer Tunnel wurden seit 2010 gegraben, 600 Meter verlaufen in einem bereits vorher zum Wenden von Zügen benutzten Tunnel zwischen dem Roten Rathaus und dem Alexanderplatz.
  • Mit 155.000 Fahrgästen am Tag rechnet die BVG für die Linie nach der Pandemie. Allein am Bahnhof Unter den Linden sollen täglich 50.000 Menschen zwischen der U5 und der U6 wechseln.
  • Der Bahnhof Französische Straße wird künftig nicht mehr bedient, er liegt nur wenige Meter vom neuen Umsteigebahnhof entfernt. Der Bahnhof selbst soll erhalten bleiben, die Zugänge werden aber verschlossen und Züge fahren ohne Halt durch. (Enrico Bellin)

War es das also wert? Der Blick geht noch einmal nach Mitte, zu jenen, die die Baustelle erdulden mussten. „Dieser Verhau von Bauzäunen war fürchterlich“, sagt Andreas Scholl, Direktor des Alten Museums. Aber die neue Linie findet er großartig. „Das ist ein Bauwerk für hundert Jahre – visionär.“ Das Alte Museum werde von der Anbindung an den Hauptbahnhof profitieren – „die meisten unserer Gäste sind Touristen“.

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Scholl stört es dabei nicht, dass ausgerechnet die Station Museumsinsel erst im Sommer öffnet. „Gerade ist ja eh nichts los“, sagt er. Außerdem werde die Museumsinsel allein durch den Stationsnamen bei vielen Berlinern auf dem Radar auftauchen. Und das sagt vielleicht am meisten über die Bedeutung der neuen Linie aus.

Die Museumsinsel mag Weltkulturerbe sein, aber zu einer Berliner Institution wird sie erst durch eine eigene U-Bahn-Station.

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