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Senior-Aktivisten. John Sprange (links) und Gerd Leipold erzählen von ihrer Heldentat für den Umweltschutz. 1983 stiegen sie in einen Heißluftballon Richtung Schönefeld. Sprange wickelte eine 10-Dollar-Note um seine Zahnbürste – „für alle Fälle“.

© Andreas Schoelzel

Vor 30 Jahren: Greenpeace-Protest in Berlin: Mit dem Ballon über den Todesstreifen

Vor 30 Jahren stiegen zwei Greenpeace-Aktivisten mit einem Ballon in den Berliner Himmel auf, um gegen Atomwaffentests zu protestieren. Sie überquerten den Todesstreifen und landeten in Großziethen. Die Stasi wusste schon Bescheid - und schickte hinterher eine saftige Rechnung.

Am 28. August 1983, ein Sonntag, treibt sich ein einsamer Fußballer auf einem Bolzplatz am Stadion Wilmersdorf herum. Es ist kurz vor sechs Uhr morgens, viel zu früh für Fußball. Er kickt den Ball lustlos ins Tor und wartet. Wenig später prescht ein Transporter auf den Platz, ein Dutzend Männer wuchten Ballonplane, Gondel und Brenner heraus, Presse und Fotografen erscheinen, acht Minuten später hebt der Heißluftballon ab, und der Fußballer, der keiner ist, spurtet zur nächsten Telefonzelle. Er soll die Behörden in Ost und West über eine bevorstehende Protestaktion gegen Atomwaffentests informieren. Schauplatz der Aktion: der Luftraum über Berlin.

So begann die streng konspirativ vorbereitete Ballonfahrt zweier Greenpeace-Aktivisten vor genau 30 Jahren. Der Brite John Sprange und der Deutsche Gerd Leipold hatten wenig Ahnung vom Ballonfahren, aber eine Menge Abenteuerlust und Idealismus. Die Männer, inzwischen 56 und 62 Jahre alt, braungebrannt und guter Dinge, sind gute Freunde geworden und treffen sich regelmäßig. Greenpeace haben sie längst hinter sich gelassen, aber die Erinnerung an die Heldentat für den Umweltschutz macht sie bis heute stolz.

Sprange und Leipold hatten Trainingsfahrten in einem Ballon bei Aachen absolviert. In Berlin warteten sie auf den richtigen Wind, der sie zum Alexanderplatz bringen sollte. Die Berliner Greenpeace-Gruppe wurde nicht eingeweiht, weil man Spitzel fürchtete. Der Fußballer im Stadion Wilmersdorf war ein enger Vertrauter. „Es herrschte ein hohes Maß an Paranoia“, erzählt Sprange mit einem breiten Grinsen. Der richtige Wind kam nicht, also wurde nun Schönefeld angepeilt. Sprange übernahm das Kommando in der Gondel, Leipold kümmerte sich um die Kommunikation mit der Luftüberwachung am Schönefelder Flughafen.

Die Männer fuhren über den Steglitzer Kreisel hinweg, in rund 300 Metern Höhe. Kurz bevor sie die Grenzanlagen bei Lichtenrade passierten, ließ Sprange den Ballon noch einmal höher steigen. „Wir befürchteten, sie könnten auf uns schießen“, aber alles blieb ruhig. Die Grenzer waren informiert und beobachteten den Ballon mit dem Fernglas. Einen Kilometer hinter der Grenze landeten sie auf einem Feld. Zwei Anwohner hielten sie für „Republikflüchtlinge“, die sich verirrt hatten, riefen und ruderten mit den Armen, dass sie doch wieder aufsteigen sollten.

Wenig später hielten Grenzsoldaten ihre Waffen auf die Eindringlinge, forderten sie auf, die Gondel zu verlassen, aber Leipold konnte sie überzeugen, dass der Ballon dann wegfliegen würde, also durften sie noch ein wenig bleiben. Volkspolizisten nahmen sie schließlich mit auf die nächste Wache, dort wurden sie von der Stasi abgeholt und in Königs Wusterhausen verhört. Angst vor einer Haftstrafe in der DDR hatten die Aktivisten nicht. „Mit einer großen Organisation wie Greenpeace im Rücken fühlten wir uns stark“, erzählt Leipold.

Presse und Fernsehen verfolgten die Ballonfahrt quasi in Echtzeit. Die DDR hatte kein Interesse, an den internationalen Pranger gestellt zu werden. Sechs Stunden später wurden die Umweltschützer nach West-Berlin abgeschoben. Erich Honecker erhielt erst am nächsten Tag einen Bericht über den Vorfall.

Der Ballon wurde konfisziert. Zwei Jahre später rückte die DDR ihn wieder heraus. Greenpeace hatte in einem Schreiben an Honecker und Gorbatschow darum gebeten. Für Lagerhaltung und Transport stellte die „Staatliche Luftfahrtinspektion“ der DDR 8523 Westmark in Rechnung.

Rübergemacht.
Rübergemacht.

© TSP

Greenpeace war in Deutschland 1980 gegründet worden. Der Ballonflug drei Jahre später war ein wichtiger PR-Erfolg der Organisation. Im Luftraum über der geteilten Stadt hatten die vier Siegermächte das Sagen, nur hier konnten mit einer einzigen Protestaktion gleich vier Atomteststaaten erreicht werden. Ob die Aktion den Kampf gegen die Atomtestversuche wirklich befördert hat, kann niemand sagen. Die Versenkung des Greenpeace-Schiffs „Rainbow Warrior“ zwei Jahre später ist im Gedächtnis der Weltöffentlichkeit weit stärker verhaftet, weil sie einen politischen Skandal auslöste. Das Schiff war vom französischen Geheimdienst im Hafen von Auckland, Neuseeland, versenkt worden, ein Besatzungsmitglied kam ums Leben.

„Damals gab es weltweit 70 000 Atomwaffen, heute sind es 17 000“, bilanziert Wolfgang Lohbeck, ehemaliger Leiter der Greenpeace-Friedenskampagne, das sei fast 25 Jahre nach Ende des Kalten Krieges eher enttäuschend. Die Atommächte hätten die Chance einer konsequenten Abrüstung vertan.

Leipold hat lange als Geschäftsführer von Greenpeace International gearbeitet, heute ist er als selbständiger Berater unterwegs und schreibt Bücher. Sprange machte noch einige Ballonfahrten gegen sauren Regen und das Atomwaffentestgebiet in Nevada, USA, bevor er Greenpeace in den 90er Jahren verließ. Heute kümmert sich der Londoner um seinen dementen Vater und designt Möbel.

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