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Yvonne von Langsdorff hat sich für das Vorkaufsrecht in der Zossener Straße 48 eingesetzt.

© Kitty Kleist-Heinrich

Vorkaufsrecht für Berliner Stiftung: Wie Kreuzberger Mieter ihr Haus zurückkaufen

Friedrichshain-Kreuzberg hat erstmals das Vorkaufsrecht zugunsten einer Stiftung ausgeübt. Über einen Verein werden die Mieter der Zossener Straße 48 selbst Eigentümer. Ein Modell für andere?

Yvonne von Langsdorff blickt auf viel Arbeit zurück. Die 48-Jährige schrieb über 1000 E-Mails, führte hunderte Telefonate, gab für mehrere Monate sogar ihren Job als Designerin auf, wie sie sagt. Ihr Projekt: das Haus, in dem sie wohnt, die Zossener Straße 48 in Kreuzberg, vor dem Verkauf an einen Investor zu retten. Was im vergangenen Dezember gelang, als der Bezirk sein Vorkaufsrecht ausübte, wird in diesen Tagen mit einem Erbbauvertrag abgeschlossen.

„Das Haus kauft sich selber, damit es niemand anderem gehören kann“, sagt von Langsdorff. 20 Menschen im Alter bis 60 Jahre, Familien und Alleinstehende, vom Feuerwehrmann bis zum Orgelbauer, wohnen darin. Hinter von Langsdorffs Fenstern kleben kreisrunde, rote Schilder, ein Zeichen für unverkäufliche Schnittmuster. „Wir sind nicht auf dem Markt“, erklärt sie.

In der Regel sind es städtische Wohnungsbauunternehmen oder Genossenschaften, die Immobilien aufkaufen. Erstmals hat der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg das Instrument zugunsten einer Stiftung angewandt. Der Erbbauvertrag soll dafür sorgen, dass das Haus praktisch nicht an Investoren verkauft werden kann. Ein Modell für andere Häuser?

Post vom Investor: „Wir waren ein reines Spekulationsobjekt“

Als im Dezember 2016 erstmals Post eines Investors in den Briefkästen der Mieter lag, begannen von Langsdorff und ihre Nachbarn zu recherchieren. Post von der Trusthouse Group, ein geplanter Verkauf an die „Zossener Straße 48 GmbH“. „Wir waren ein reines Spekulationsobjekt“, sagt von Langsdorff.

Sie dachte an das bezirkliche Vorkaufsrecht. Doch städtische Wohnungsbauunternehmen und Genossenschaften seien ebenfalls profitorientiert oder man höre von horrenden Mieterhöhungen nach energetischen Sanierungen. Die gemeinnützige Stiftung Nord-Süd-Brücken wurde ihr „Volltreffer“, wie sie sagt.

Der Plan, den die Mieter entwarfen: Die Stiftung kauft Haus und Grundstück von der Stadt. Während das Grundstück bei der Stiftung verbleibt, kaufen die Mieter ihr das Haus ab. Dafür gründen sie einen Verein und treten zusammen mit dem Mietshäuser Syndikat, einer nicht-kommerziell orientierten Beteiligungsgesellschaft, in eine GmbH ein.

„Ziel und Vorteil ist, langfristig bezahlbares Wohnen zu sichern, in Selbstverwaltung der Menschen, die im Haus wohnen“, sagt Julian Benz vom Mietshäuser Syndikat. In Berlin betreut die Gesellschaft bereits 17 selbst organisierte Hausprojekte. Das Haus in der Zossener Straße wird das erste, das über das Vorkaufsrecht hinzustößt. „Es gibt immer noch viele Häuser, wo das Modell funktionieren würde. Es geht nur mit starker Initiative aus dem Haus.“ Die Nachfrage nach dem Modell sei nach wie vor groß. „Bei Anwendung des Vorkaufsrechts muss es allerdings zügig zugehen. Der Markt ist sehr schnell.“ Oft fehle schlicht die Zeit oder Mieter meldeten sich zu spät.

„Natürlich kann ein solches Projekt auch insolvent gehen“

„Auf den ersten Blick wirkt das Konstrukt kompliziert“, sagt von Langsdorff. „Doch Mieter müssen kein Geld mitbringen. Für von Verdrängung Bedrohte ist das eine riesige Chance. Im Grunde zahlen wir einfach unsere Miete weiter“, sagt sie. Mit der Stiftung wurde eine Rückzahlung des Kredits über 40 Jahre vereinbart. „Wir mussten uns nur damit abfinden, kurz in einer bettelnden Rolle zu sein.“

Denn ein wenig Kapital ist doch nötig: „Wir suchen 300 Schultern, die unser Haus mittragen“, sagt sie. Gemeint sind Kredite bis 5000 Euro mit einem Zins bis zu zwei Prozent. Dass der Vertrag noch immer nicht unterschrieben ist, führt von Langsdorff auch auf die Klagen von Verkäufer und Investor nach Anwendung des Vorkaufsrechts im März 2017 zurück.

Immerhin hatte Bezirksstadtrat Florian Schmidt eine Abwendungsvereinbarung ausgeschlossen, die der Käufer selbst bereits unterschrieben hatte. Erst im vergangenen Dezember, als Käufer und Verkäufer ihre Klagen zurückzogen, endete für die Mieter die Ungewissheit. Doch hat das Modell auch Nachteile und Risiken?

„Natürlich kann ein solches Projekt auch insolvent gehen“, sagt Benz. Der investierte Eigenanteil, auch die Kleinkredite, seien dann eine nachrangige Sicherheit, die Bank werde als Erstes bedient. Doch die Mieter müssten im Insolvenzfall nicht ausziehen. Eine andere Herausforderung könne auch die Selbstverwaltung durch die Mieter sein, so Benz.

Dass sich die Mieter der Zossener 48 in ihrer neuen Rolle noch finden müssen, berichtet auch von Langsdorff. Wie löst man etwa Probleme untereinander, wenn es vorher eine Hausverwaltung gab? „Wir sind nun alle damit konfrontiert, wie der Einzelne sich und die Gemeinschaft begreift“, sagt von Langsdorff.

Drei Mieter wurden in den Vereinsvorstand gewählt. „Wenn einer von ihnen nun bei der Stiftung neue schallisolierte Fenster bestellt, für sich anstatt für alle, ist das natürlich schwierig“, sagt sie. „Wenn ein anderer nun einen Gewerbemieter im Erdgeschoss loswerden möchte, der Gerüche und Geräusche wegen, aber es für andere Mieter noch Zeit hat“, setzt sie nach. „Das Miteinander muss noch wachsen“. Von Langsdorff ist aber zuversichtlich, die Gemeinschaft finde sich gerade.

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