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Berlin: Walforschung im Botschaftsviertel

Hunderte bestaunten das Tier, das Greenpeace-Aktivisten für einige Stunden vor die Japanische Vertretung gebracht hatten

Stadtrundfahrt gebucht, Whale Watching gratis dazubekommen: Die Touristen in den Doppeldeckerbussen haben den besten Blick auf den toten Finnwal in der Tiergartenstraße. Am Mittwochabend hat die Umweltschutzorganisation Greenpeace den Anhänger mit dem 17 Meter langen Tier vor die Japanische Botschaft gestellt. Am Donnerstagmorgen drängen sich Hunderte auf dem Gehweg, um den Meeressäuger zu bestaunen. Der war am Sonnabend an der Ostsee gestrandet und sollte nach der Bergung von Rostock zum Meereskundemuseum nach Stralsund gebracht werden. Doch Greenpeace machte den Sattelzug zum Protestzug – gegen die Walfangaktivitäten und das japanische Forschungsministerium, unter dessen Regie in diesem Jahr nach Angaben der Umweltschützer hunderte Tiere getötet werden sollen, darunter zehn der äußerst seltenen Finnwale.

Der Koloss riecht ein wenig nach altem Fisch, wie er da so liegt, unten beige, oben dunkelgrau, die Schwanzflosse fast so breit wie der Lkw. Eine Frau drückt vorsichtig einen Finger auf den Körper. „Glatt, bisschen ölig, sehr fest“, resümiert sie. „Wie prall gefülltes Leder.“ Neben ihr ruft ein Steppke: „Guck mal, der Hai ist tot!“ Ein anderer findet den 20-Tonner „ziemlich klein dafür, dass Wale doch die größten Tiere sind“. Ein Polizist klaubt die Menschen vom Botschaftszaun, die von oben das Gedränge überblicken wollen. „Voll relaxed“ sei der Morgen gewesen, trotz Staus und Gedränge.

Die Japanische Botschaft hatte sich an die Polizei gewandt, um das Spektakel zu verhindern. Vergeblich: Der Anhänger parkt ordnungsgemäß am Straßenrand. „Es ist eine sehr unangenehme Situation, wenn ein toter Wal vor der Botschaft liegt“, sagt Botschaftssekretär Kazuya Otsuka später. Sein Land halte sich ans internationale Walfangabkommen, die Forschung diene dem Schutz der Bestände.

Inzwischen sind zwei zehnte Klassen der Gottfried-Keller-Oberschule aus Jungfernheide eingetroffen. Ihre Religionslehrerin Frau Siegert sei mit ihnen hergefahren, berichten die Schüler. Frau Siegert, eine nachdenkliche Frau mit grauen Haaren, sagt: „Die Gelegenheit ist einmalig. Außerdem ist es nicht nur ein biologisches Problem, sondern auch ein ethisch-moralisches, wenn eine Art ausstirbt.“ Die Aktion solle den Schülern zeigen, dass sich Protest lohne. Zwei Greenpeace-Leute verteilen Flugblätter, während vier andere den Wal in Plastikfolien wickeln: Am Mittag wird er abtransportiert Richtung Stralsund, wo er ab heute seziert werden soll. Harald Benke, Museumsdirektor und selbst Walforscher, war zuerst wenig begeistert von dem Umweg über Berlin. Später lobt er die Aktion: Die Japaner würden hunderte Großwale Jahr für Jahr töten – unter dem Deckmantel der Wissenschaft, aber in Wahrheit zu kommerziellen Zwecken. „Dieser Finnwal hat in Berlin mehr gegen den Walfang getan als viele Worte“, sagt der Direktor. Er wolle dem Tier – oder wenigstens dessen Skelett – einen Ehrenplatz im Museum gönnen. Auch die Greenpeace- Leute freuen sich über die „klasse“ Resonanz auf ihre Aktion. Und sie sind froh, dass es so kalt ist. Sonst hätte es vor der Japanischen Botschaft nicht nur ein bisschen nach Fisch gerochen.

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