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Was nun?: 2500 Tage nach der BER-Nichteröffnung

Vor 2500 Tagen platzte die Eröffnung des neuen Hauptstadt-Airports. Nun wird auch der BER-Start im Oktober 2020 unwahrscheinlich.

Viele rätseln, was los ist. Nur die Aufsichtsräte am unvollendeten Hauptstadt-Airport sind intern vorgewarnt, dass am BER ein sogenannter Meilenstein des Zeitplans nicht gehalten werden konnte – wieder mal. Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup informierte sie jüngst über den mit Hochspannung erwarteten jüngsten „Patchday“ der Brandmeldeanlage im Terminal. Es ging um einen wichtigen Reset, ein weiteres Software-Update, mit dem Spezialisten der Errichterfirma Bosch Ende März alle möglichen Störungen in den Griff bekommen wollten. Rechtzeitig, bevor am 29. März 2019 die sanktionierte Vertragsfrist für Bosch ablief, alle Mängel beseitigt zu haben. Eigentlich sollte das schon seit Anfang 2018 soweit sein.

Am 28. März schrieb Lütke Daldrup, das Update sei „erfolgreich“ eingespielt worden. Nach dem Patchday habe Bosch am 25. März „bereits“ 80 Prozent der Mängel „abgemeldet“. Eine Aussage zu den fehlenden 20 Prozent machte er nicht, dafür aber diese Ankündigung: Nämlich, dass im April nun „in einem nachlaufenden Prozess Anpassungen der Brandschutzplanung in die Brandmeldeanlage eingepflegt“ werden sollen – also noch ein Update. Und statt im April soll der Abschlussbericht, dass die Anlage freigabebereit für die Tests ist, „Ende Mai“ vorliegen.

Offiziell antwortet die Flughafengesellschaft (FBB) auf die Frage zum Bosch-Termin so: „Die Firma Bosch hatte die Erledigung der vertraglich vereinbarten Leistungen bis einschließlich zum 29. März 2019 zugesichert. Zur Zeit wird der Status der Abarbeitung geprüft.“ Bosch selbst, vor zwei Wochen noch sehr optimistisch, verweist auf die FBB. In Aufsichtsrats- und Gesellschafterkreisen wird kolportiert, dass es keine dramatische Verzögerung sei.

Zwischen Patchday und Mayday. Ja, so steht es aktuell um den BER, der vor 2 500 Tagen am 3. Juni 2012 nicht an den Start ging. Die Tage, Monate, Jahre gehen seitdem ins Land. In Brandenburg wird zum zweiten Mal ein neuer Landtag gewählt. Und in Berlin untersucht ein zweiter BER-Untersuchungsausschuss inzwischen, warum 2017 der Start im selben Jahr abgeblasen und auf den Oktober 2020 verlegt wurde. Das ist der gültige Eröffnungstermin. Alle Verantwortlichen halten daran fest. In 573 Tagen soll es soweit sein.

TÜV mit Überprüfung frühestens im Oktober fertig

Es wäre ein Wunder. Denn wieder einmal läuft es darauf hinaus, dass auch dieser Abflug wohl verschoben werden muss. Nach Tagesspiegel-Recherchen ist das inzwischen wahrscheinlicher, als dass es vielleicht doch irgendwie klappt. Um 2020 zu halten, müssten spätestens im Juli 2019, also in ein paar Wochen, alle Arbeiten abgeschlossen sein.

Zwar konnten viele Probleme, die 2016, 2017, 2018 für Rückschläge und Rückstände sorgten, unter dem konzentrierten, systematischen Management Lütke Daldrups entschärft werden, der die Firmen wie kein Chef zuvor in die Pflicht nahm, bei Sprinkleranlage, Automatiktüren und Steuerung der Entrauchung. Aber just die Brandmeldeanlage (Bosch) und die damit untrennbar verbundene Sicherheitsstromversorgung (ROM) sind weiterhin auf auf dem berüchtigten „kritischen Pfad“.

Es geht nicht um Kleinkram. Die Brandmeldeanlage ist quasi das Zentralhirn im BER, das das Brandschutzsystem steuert. Von rund 23 000 Brandmeldern laufen die Signale zu fünf Brandmeldezentralen. Und die sind nicht jeweils nur für einen Terminalabschnitt zuständig, sondern alle miteinander vernetzt für das Gesamtterminal, was es kompliziert macht: Die Zentralen müssen vollautomatisch die Feuerwehr alarmieren, die Evakuierung über das Elektroakustische Notfallwarnsystem, kurz EANWS, mit 13 000 Lautsprechern, die Ansteuerung der Fluchttüren und auch der Entrauchungsanlage von Siemens sichern – und das hundertprozentig, für jedes Szenario. Die Sicherheitsstromkabel zwischen Brandmeldern und Meldezentralen dürfen deshalb selbst im Brandfall nicht ausfallen, müssen also entsprechend „mit Funktionserhalt“ verlegt sein.

Bei Brandmeldeanlage und Sicherheitskabeln darf es deshalb keine „wesentlichen Mängel“ mehr geben. Da gebe es „keinen Ermessensspielraum“, wie TÜV-Vertreter auch unter Verweis auf den Düsseldorfer Flughafenbrand im Jahr 1996 gerade als Zeugen im Berliner BER-Untersuchungsausschuss bekräftigt haben.

Die Mängel müssen abgestellt sein, damit der TÜV Rheinland im Juli – schon deutlich später als geplant – mit den Wirk- und Prinzip-Prüfungen beginnen kann. Gecheckt wird dann, ob alle Sicherheitssysteme betriebssicher funktionieren und vorschriftsgemäß gebaut wurden. Und nur dann wird der TÜV das Zertifikat ausstellen, das für die für Oktober 2019 avisierte Fertigstellungsanzeige bei der Baubehörde zwingend nötig ist. Der TÜV wird mit den Prüfungen nach Tagesspiegel-Informationen aber „frühestens“ im Oktober fertig werden.

Noch im März listete eine interne FBB-Aufstellung allein 2932 wesentliche Mängel bei der Sicherheitsverkabelung auf. Es geht nicht mehr um den Kabelsalat aus der Chaosbaustelle vor 2012, sondern um die danach neu verlegten Kabel. Einige Stichworte aus der März-Liste, in der die Mängel nach Schwere sortiert wurden, klingen bekannt: „Leitungsbefestigung“, „Trennung Stark- und Schwachstrom“, „mangelhafte, beschädigte Leitungsverlegung allgemein“, „fehlender Funktionserhalt“, „allgemeine Trassenbefestigung“.

"Ursprünglich veranlagten Puffer aufgebraucht“

Zur Sicherheitsbeleuchtung heißt es etwa: „Installation nicht abgeschlossen/fehlerhaft, fehlende Überwachung bzw. Ausleuchtung“. Zu Schaltanlagen: „kein Funktionserhalt der Schränke“ oder „fehlende/mangelnde Funktion, gestörte Anlage/fehlende Betriebsfähigkeit“. Ungeklärt ist auch das Problem der Plastikdübel, mit denen vorschriftswidrig Kabel angebracht wurden. Die FBB versucht mit einem Gutachten nachzuweisen, dass der Brandschutz dennoch gewährleistet sei.

Erst vor wenigen Wochen hat der TÜV am BER Management und Aufsichtsrat vertraulich gewarnt, wo es überall brennt, wo das Tempo drastisch erhöht werden müsste. Auch davor, dass die Brandmeldeanlagen immer noch störanfällig seien. Die Ankündigung war eindeutig: „Sofern sich die Anlagen zur Prüfung in diesem Zustand befinden, führt dies zur Prüfungsunterbrechung.“ Und für die Brandmeldeanlage und das Notfallwarnsystem notierte der TÜV: „Trassen-Pläne zur Kabelführung sind weiterhin nicht vollständig abgebildet, daher können Leitungen für die ein Funktionserhalt erforderlich ist nicht identifiziert werden.“

Das wären K.-o.-Mängel, mit denen weder der TÜV noch die zuständige Baubehörde des Landkreises Dahme-Spreewald für den BER eine Freigabe erteilen würde. Und noch Ende Januar 2019 machte der TÜV auf „Abweichungen von der Baugenehmigung“ und „offene Planungsthemen“ aufmerksam.

Auf der Baustelle, das ist sicher, stehen dramatische Wochen bevor. Sollten die Mängel tatsächlich rechtzeitig beseitigt sein, dann dürfte danach bei den Wirk- und Prinzipprüfungen nichts mehr schiefgehen. Es wäre am BER das erste Mal. Der TÜV hat intern bereits explizit darauf hingewiesen, dass für das Risiko von Nachprüfungen „kein Zeitfenster mehr berücksichtigt“ sei, „die ursprünglich veranlagten Puffer aufgebraucht“ seien. Wenn bei den Stichproben im Sommer – geprüft wird ein Viertel des Terminals – erneut Störungen auftreten, wird nach den Vorschriften eine langwierige „Vollprüfung“ fällig.

Für viele, ob auf oder außerhalb der Baustelle, wäre eine BER-Eröffnung 2020 ohnehin überraschender als eine erneute Verschiebung. So hat sich 2018 das hiesige Finanzgericht mit dem Wert eines Grundstücks nahe dem Flughafen Tegel beschäftigt, in seinem Urteil findet sich als „Tatbestand“ dieser Befund: „Die Inbetriebnahme dieses neuen Flughafens BER wurde jedoch mehrfach verschoben, unter anderem im Dezember 2014 auf September 2017 und zuletzt im Dezember 2017 auf Oktober 2020, wobei weitere Verschiebungen nicht ausgeschlossen erscheinen.“

Mangelnde Nervenstärke, falsches oder zögerliches Herangehen kann man Flughafenchef Lütke Daldrup jedenfalls nicht nachsagen. Er hält bisher eisern an 2020 fest. Der frühere Berliner Staatssekretär war nach seinem Wechsel zur FBB im März 2017 Aufsichtsrat der landeseigenen Firma Berlinovo geblieben, die das Risikoimmobilienerbe des Berliner Bankenskandals managt. Diesen Nebenjob hat Lütke Daldrup jetzt, Anfang April, aufgegeben, um sich ganz auf den BER zu konzentrieren, wo nun im Ringen um 2020 auch das Risiko wächst, womöglich wie 2012 einen Start zu spät abzusagen.

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