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Schwerhörigkeit: Wenn sich das Tor zur Welt schließt

Schwerhörigkeit ist eine typische Begleiterscheinung des Alters. Sie kann bis zu Depressionen und Demenz führen. Wie äußert sie sich, und was passiert dabei genau im Ohr? Und was kann man dagegen unternehmen?

Warum verschlechtert sich das Hören mit zunehmendem Alter?

Schwerhörigkeit ist eine typische Begleiterscheinung des Alters. „Zwei Drittel der über 70-Jährigen haben eine Hörstörung“, sagt Heidi Olze, Direktorin der Hals-Nasen-Ohrenklinik der Charité. Und weil die Bevölkerung immer älter wird, gibt es auch immer mehr Schwerhörige. „Laut der Weltgesundheitsorganisation gibt es schon jetzt weltweit 360 Millionen Betroffene, 2030 sollen es schon 900 Millionen sein“, sagt Olze.

Was steckt organisch hinter dieser Form der Hörstörung? Vor allem die Sinneszellen in der Hörschnecke – die sogenannten Haarzellen, die die Schallwellen in elektrische Signale umwandeln – verlieren im Laufe der Lebensjahre ihre Leistungsfähigkeit. Und auch der Hörnerv und zentrale Gehirnstrukturen, die die Höreindrücke verarbeiten, verändern sich.

„Dahinter stecken normale Alterungsprozesse“, sagt HNO-Ärztin Olze. Möglicherweise bestimme auch die Genetik dabei mit, ob und ab wann sich das Gehör spürbar verschlechtert. Auf jeden Fall aber spielt die Belastung mit Lärm während des Lebens eine Rolle, denn das Gehör vergisst nicht. Wenn immer wieder mehr als 85 Dezibel auf die Haarzellen einwirken – so viel Lärm macht beispielsweise ein Rasenmäher –, summieren sich deren schädliche Folgen. Und das gleich von zwei Seiten. Zum einen direkt, weil der hohe Schalldruck die empfindlichen Sinneszellen schädigt, zum anderen indirekt, weil Lärm Stress verursacht und die Stresshormone die Sinneszellen beeinträchtigen. Und schließlich können auch allgemeinere Erkrankungen, wie hoher Blutdruck oder Diabetes, das Gehör beeinträchtigen, denn sie führen zu Durchblutungsstörungen, die den Sinneszellen zu schaffen machen.

Wie äußert sich die Altersschwerhörigkeit?

Ist das Gehör geschädigt, verabschiedet sich als erstes die Fähigkeit, hohe Tonfrequenzen wahrzunehmen. Und nahezu zeitgleich schwindet auch das Vermögen, gesprochene Worte aus Hintergrundgeräuschen herauszufiltern.

Die Symptome machen sich schleichend bemerkbar. Erste Anzeichen können sein, dass der Mensch die Naturkulisse wie Blätter- und Meeresrauschen oder zwitschernde Vogel nicht mehr registriert, ebenso wenig Alltagsgeräusche im Haushalt wie einen tickenden Wecker oder eine surrende Tiefkühltruhe. Später überhört man vielleicht bereits die Klingel der Tür oder des Telefons.

Und es wird schwerer, Unterhaltungen zu folgen, weil es immer anstrengender wird, die Worte des Gesprächspartners aus den Grundgeräuschen, etwa in einem Restaurant oder mit Musik im Hintergrund, herauszuhören. Die Betroffenen haben dann oft das Gefühl, ihr Gegenüber nuschelt und müssen immer wieder nachfragen, was eigentlich gesagt wurde. Und schließlich wird man von Mitbewohnern oder Nachbarn angesprochen, dass der Fernseher oder das Radio viel zu laut sei.

„Bei solchen Symptomen sollte man zum HNO-Arzt und das Gehör prüfen lassen“, sagt Olze. Die Mediziner können dann vor allem mithilfe eines Hörtests beginnende Störungen früh diagnostizieren. Und dabei klären, ob es sich tatsächlich um eine Altersschwerhörigkeit handelt oder andere organische Ursachen hinter den Problemen stecken. So führen beispielsweise krankhafte Veränderungen im Innenohr neben den Hörstörungen oft gleichzeitig auch zu einem Tinnitus, zu Schwindelanfällen und Gleichgewichtsstörungen, da sich im Innenohr ebenfalls das Gleichgewichtsorgan befindet. Bei einer normalen Altersschwerhörigkeit zeigen sich diese Symptome nicht.

Welche gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen hat Schwerhörigkeit?

Weil sich schwerhörige Menschen viel stärker auf Gespräche konzentrieren müssen, sind sie schneller überanstrengt. „Längerfristig führt das zu Veränderungen in den Hirnstrukturen“, sagt Olze. Denn das Gehirn hat nur begrenzte Ressourcen zur Verfügung, und zieht diese an anderer Stelle ab, wenn die Verarbeitung des Gehörten mehr Kapazitäten beansprucht. „Das geht dann oft zu Lasten des Kurz- und auch Langzeitgedächtnisses.“ Und diese Umbauvorgänge seien sogar nachweisbar. „Dann sieht man im MRT den Um- und Abbau von Gehirnsubstanz.“ Das führe zu einem schleichenden Verlust der kognitiven Fähigkeiten

Hörstörungen haben aber nicht nur Auswirkungen auf das Gehirn, sondern auf die gesamte Persönlichkeit. Wenn der Mensch Unterhaltungen nicht mehr führen oder ihnen folgen kann, endet das in sozialer Isolation. „Hören ist ja mehr als nur ein akustischer Sinneskanal“, sagt Heidi Olze. „Der Mensch ist auf Kommunikation angewiesen - und die Hörstörungen machen das zunichte.“ Das beeinträchtige die Betroffenen massiv, am sozialen Leben teilzunehmen, „schließlich ist das ganze Leben ein Störgeräusch“. Die Folgen sind Depressionen und sogar eine Demenz, wenn die Hörstörungen nicht behandelt werden. Experten bezeichnen eine nicht versorgte Altersschwerhörigkeit sogar als einen Hauptrisikofaktor für Altersdemenz und Altersdepression.

Kann man einer Altersschwerhörigkeit vorbeugen oder sie hinauszögern?

Am wichtigsten sei es, unnötige Lärmbelastungen in seinem Leben zu umgehen, sagt HNO-Chefärztin Olze. Dann behielten die Sinneszellen bis ins hohe Alter ihre Funktionsfähigkeit. Spätfolgen für das Gehör ließen sich auch vermeiden, wenn man einen Bluthochdruck oder einen Diabetes, durch die die Gefäße in Mitleidenschaft gezogen werden können, gut behandeln ließe. Denn Durchblutungsstörungen schädigen das Gehör. Und auch, wer bis ins hohe Alter seine sozialen Aktivitäten aufrechterhalte und sein Gehirn trainiere, wer seine Lebenszufriedenheit lange bewahre, habe große Chancen, sein Hörvermögen lange zu behalten, sagt Olze.

Selbst eine gesunde Ernährung hilft dabei, sein Gehör zu stärken. Eine Anfang 2018 im „Journal of Nutrition“ veröffentlichte Beobachtungsstudie zeigte, dass Frauen, die sich gesund ernähren, im Alter seltener an Hörstörungen erkranken. Untersucht wurden dabei die Auswirkungen von drei Ernährungsempfehlungen auf das Gehör: die „Mittelmeerkost“ auf der Basis von Olivenöl, Getreide, Hülsenfrüchten, Obst und Gemüse, Nüssen, Fisch und einem mäßigen Konsum von Rotwein, die sogenannte DASH-Diät, die Menschen mit Bluthochdruck angeraten wird, und viel Obst und Gemüse, fettarme Milchprodukte und einen deutlich reduzierten Salzkonsum empfiehlt, oder schließlich die vom US-Landwirtschaftsministerium herausgegebene sogenannte AHEI-Empfehlung, die Elemente der Mittelmeerkost und der DASH-Diät kombiniert.

Für alle drei Varianten ließe sich eine gehörschützende Wirkung nachweisen, heißt es im „Deutschen Ärzteblatt“, das über die Studie berichtete. So entwickelten Frauen, die sich an die Mittelmeerkost halten, zu 30 Prozent seltener Hörstörungen. Die Antibluthochdruck-Diät senkte das Risiko immer noch um 29 Prozent.

Wie kann man eine Hörstörung behandeln?

„Wenn sich das Hörvermögen verschlechtert, sollte man das nicht einfach hinnehmen, sondern sich unbedingt einer Behandlung unterziehen“, rät Chefärztin Olze. Nur so ließen sich die langfristigen Folgen, wie eine Demenz, Depression und soziale Isolation vermeiden.

Bei mittelgradiger Schwerhörigkeit sei das Hörgerät das Mittel der Wahl. Inzwischen sind die Geräte technisch sehr ausgefeilt, unauffällig zu tragen und leistungsstark – auch wenn sie immer noch weniger akzeptiert seien, als etwa eine Brille. Aber das ändere sich gerade.

Als neueste Behandlungsmethode stehen bei weit fortgeschrittenen Hörstörungen, bei denen ein Hörgerät nicht mehr ausreicht, Cochlea-Implantate (CI) zur Verfügung. Das Implantat übernimmt die Funktion der Haarzellen, stimuliert den Hörnerv mit elektrischen Impulsen und kann so die Hörminderung ausgleichen. Die Geräte bestehen aus einem Sprachprozessor mit Sendespule und einem Implantat mit einer Empfangsspule. Der Sprachprozessor wird wie ein Hörgerät außen hinter dem Ohr getragen, während der Empfänger unter der Haut hinter dem Ohr platziert wird. Das an dem Implantat befindliche, leicht gerollte Kabel wird in die Hörschnecke, die Cochlea, eingeführt. Der Sprachprozessor sendet nun Signale in Form von elektrischen Impulsen an das Implantat, von dort leiten die Elektroden des Kabels die Signale direkt an den Hörnerv weiter.

Viele Jahre lang wurde das Cochlea-Implantat vor allem für taub geborene Kinder verwendet. Doch seit etwa zehn Jahren setzt es sich zunehmend auch zur Behandlung einer schweren Hörstörung im Alter durch. „Von den jährlich rund 150 Cochlea-Implantaten, die wir an der Charité einsetzen, werden rund ein Viertel bei Patienten jenseits des 70. Lebensjahres eingesetzt“, sagt HNO-Chefärztin Olze. Und das sei auch für die Solidargemeinschaft eine Entlastung, denn die Alternative zum CI sei Taubheit. Und die Behandlung eines Patienten, der wegen seiner Hörstörung in eine Demenz abrutscht, sei sehr viel teurer als das Implantat.

Das CI verbessere die Fähigkeit zur sozialen Interaktion, hebe das Selbstbewusstsein, verringere Ängstlichkeit und die Anfälligkeit für Depressionen, sagt Heidi Olze. „Eine Altersgrenze sehe ich für diese Behandlung nicht, selbst 80-Jährige können sich gut an das Implantat gewöhnen.“ Zwar dauere die Gewöhnungsphase bei Hochbetagten länger, als bei jungen Patienten. Doch bereits ein Jahr nach dem Einpflanzen seien die Ergebnisse bei jungen und alten Patienten vergleichbar.

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