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Schicksalstage. Großes Gedränge herrschte noch Ende Oktober vor dem Lageso in Moabit. Mittlerweile aber hat sich die Lage verbessert.

© dpa

Überblick zu Flüchtlingen in Berlin: Wie viele Flüchtlinge leben wo in Berlin?

Die Ankunft zehntausender Flüchtlinge fordert Berlin heraus. Welches Verfahren durchlaufen die Menschen, wie wird für sie gesorgt? Ein Überblick mit 16 Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wie viele Flüchtlinge sind überhaupt in der Stadt?

Genaue Zahlen gibt es nicht, weil die Zuständigkeit teils bei den Bezirken und teils beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) liegt. Sicher ist, dass in diesem Jahr 40.000 registrierte Flüchtlinge bis Ende Oktober kamen. Wie viele davon noch in der Stadt sind, ist unklar. Hinzu kommen 5000 nicht registrierte Flüchtlinge, schätzt Sozialsenator Mario Czaja. Einige in den Behörden rechnen schon mit bis zu 90.000 Flüchtlingen, die bis Jahresende 2015 die Stadt erreicht haben werden.

Wie viele leben in den teils provisorisch eingerichteten Unterkünften?

Ende Oktober lebten rund 30.000 Menschen in Gemeinschafts- und Notunterkünften des Lageso. Außerdem sind 5000 Menschen angekommen, die aber nicht mehr in Unterkünften wohnen. Ob sie in Berlin in privaten Wohnungen leben oder weitergereist sind, weiß niemand.

Welchen Status haben die Menschen, die etwa im Flughafen Tempelhof leben?

In Notunterkünften wie Tempelhof, Turnhallen oder bald dem ICC wohnen sowohl Flüchtlinge, die registriert sind, als auch solche, die noch registriert werden müssen. Bis zu 10.000 Menschen sind laut Sozialverwaltung noch nicht abschließend registriert. Außerdem leben 2500 Flüchtlinge dort, obwohl sie dies eigentlich nicht mehr müssten beziehungsweise dürften – weil sie schon Asyl erhalten haben oder eben zurückgeführt werden müssen. Zuständig sind für sie eigentlich die Bezirke. Doch diese sind überfordert. Und billige Wohnungen, die anerkannte Asylbewerber mit Hartz-IV-Mitteln zahlen könnten, gibt es ohnehin viel zu wenige.

Wie viele Flüchtlinge sind in Wohnungen in Berlin untergekommen?
In diesem Jahr sind bis September gut 1500 Menschen in Wohnungen untergekommen, insgesamt rund 10.000.

Wie verteilen sich die Flüchtlinge auf die Herkunftsländer?
Die meisten Flüchtlinge kommen aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Der Zustrom aus Albanien, Kosovo und Serbien ist nicht mehr so groß. Seit der Westbalkan als sichere Herkunftsregion gilt und Rückführungen laufen, kommen nur noch rund zwei Prozent aus diesen Ländern.

Gab es schon Abschiebungen und wie viele Menschen betraf es?

Noch nicht viele, bis zum 4. November wurden 694 Personen aus Berlin abgeschoben. Das sind nicht nur, aber überwiegend abgelehnte Asylbewerber. Meist werden sie in ihre Herkunftsländer zurückgeführt, oder in das EU-Land, in dem sie registriert sind.

Was passiert nach der Ablehnung eines Asylantrags, wird das Geld gesperrt?
Nein, abgelehnte Asylbewerber werden weiterhin versorgt, bis sie in ihr Herkunftsland zurückgeführt werden oder in das EU-Land, in dem sie erstmals registriert wurden. Zuständig für die Versorgung ist dann der Bezirk.

Wie lange dauert die Erfassung von und Entscheidung über einen Asylantrag?

600 Flüchtlinge täglich werden mittlerweile registriert, danach aber dauert es bis zur eigentlichen Bearbeitung des Falls, und das zu lange. Wer aber erst einmal an der Reihe ist, für den kann es schnell gehen, wenn er beispielsweise aus Syrien stammt und politisch verfolgt wird. Noch am selben Tag kann er in der Erfassungsstelle in der Bundesallee den Bescheid über die Anerkennung als Asylberechtigter erhalten. Damit können die Flüchtlinge zur Bundesagentur für Arbeit gehen, Zeugnisse anerkennen lassen, Fortbildungen buchen oder arbeiten. Diese „tagesgleichen Entscheidungen“ sind an der Bundesallee möglich, weil dort Mitarbeiter von Lageso, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und Ausländerbehörde unter einem Dach arbeiten.

Wie erreichen die Flüchtlinge Berlin und welches Verfahren durchlaufen sie?

Die meisten kommen aus Bayern, Sonderzüge gibt es täglich, Sonderbusse nach Bedarf. Bis zu 400 Personen erreichen so jeden Tag Schönefeld. Von dort geht es per Bus zur Notunterkunft an der Glockenturmstraße im Olympiapark, das ist die Kurzzeitunterkunft für Neuankömmlinge.

Dort werden die Personalien erfasst. Die umfassende Registrierung erfolgt später in der Kruppstraße in Moabit. Dieses frühere Polizeigebäude steuern Busshuttles an. Flüchtlinge, die sich selbstständig nach Berlin durchschlagen, werden an der Turmstraße in den Wartezelten vor dem Lageso untergebracht. Dort erfolgt die Ersterfassung der Personalien. Sie erhalten ein Armband mit einer Nummer, das als BVG-Fahrschein dient und zu einem Platz in Notunterkünften berechtigt – aber noch keine echte Registrierung darstellt.

Wie funktioniert die Registrierung?

Die Flüchtlinge werden im „Easy-System“ aufgenommen. Diese Software haben alle Länder. Sie stellt die bundesweite Verteilung der Flüchtlinge nach dem Königsteiner Schlüssel sicher. Mit der Registrierung ist der Flüchtlingsstatus verbunden, der dazu berechtigt, einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu stellen. Außerdem erhält der Flüchtling den Berlin-Pass und andere Sozialleistungen nach Hartz IV. Für Arztbesuche gibt es einen Krankenschein. Dieser muss jedes Quartal erneuert werden.

Chaos und lange Schlangen am Lageso waren zu beobachten. Warum?

Wegen der schieren Zahl der Flüchtlinge. Die Sozialverwaltung hat reagiert, gibt „Wartenummern“ nun in der jeweiligen Erstaufnahmestelle aus und befördert die Flüchtlinge per Bus zur Registrierungsstelle. Das und die Abarbeitung von Altfällen hat die Lage etwas entspannt.

Wie ist die medizinische Versorgung?

Unbefriedigend, weil es keine Rechtsgrundlage zur Kostenübernahme der ärztlichen Versorgung unregistrierter Flüchtlinge gibt. Deshalb muss die Sozialverwaltung auf ehrenamtlich tätige Ärzte zurückgreifen. Unterstützung kommt auch von der landeseigenen Charité-Klinik, deren Ärzte in den großen Flüchtlingsunterkünften tätig sind. Sobald die Registrierung abgeschlossen ist, können Flüchtlinge mit dem Krankenschein einen Arzt oder ein Krankenhaus ansteuern.

Wie viel Geld und Sachleistungen erhalten Flüchtlinge?
In Notunterkünften sorgt ein Catering für warme Mahlzeiten und Getränke. Außerdem bekommen Flüchtlinge ein „Taschengeld“ von 143 Euro je „Haushaltvorstand“ pro Monat, weitere 129 für den Ehepartner, 113 Euro für 18-jährige oder ältere Kinder, sowie 85 bis 92 Euro für jüngere Kinder im Haushalt.

Ab wann haben die Flüchtlinge Anspruch auf Transferleistungen und ein Recht zu arbeiten?

Sobald der Asylantrag vom Bundesamt für Migration und Flüchtlingen positiv beschieden ist. Dann wechselt auch die Zuständigkeit für den Flüchtling: Nicht mehr Sozialverwaltung und Lageso, sondern der Bezirk und das Job-Center sind dann deren Ansprechpartner.

Wann dürfen Kinder in die Schule, und gibt es Kurse für Erwachsene?

Sobald die „medizinische Zuzugsuntersuchung“ der Kinder erfolgt ist, können sie in die Schule oder in die Kita. Wer kein Deutsch kann, besucht eine Willkommensklasse zum Spracherwerb. Im Oktober waren 5727 Flüchtlingskinder in 535 Willkommensklassen, 600 Lehrkräfte sind dazu im Einsatz. Die Hochschulen machen  Angebote: Die TU setzt 100 000 Euro für Sprachkurse ein, die FU bietet kostenlose Teilnahme an einigen Lehrveranstaltungen, die HU eine kostenlose Gasthörerschaft. Das Studentenwerk hilft etwa bei Bewerbungen.

Die Senatsverwaltung für Bildung wirbt dafür, Flüchtlingskinder möglichst schnell in Kitas zu bringen. Es gilt, dass nach mindestens drei Monaten erlaubten Aufenthalts ein Anspruch auf Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe besteht. Das Jugendamt kann aber Kita-Gutscheine oder andere Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe vor Ablauf dieser Frist gewähren. Die Kita ist ein Jahr lang kostenlos, 23 Euro für die Verpflegung gilt als zumutbar. Am 16. Oktober waren rund 470 geflüchtete Kinder im Alter von bis zu sieben Jahren in Kindertagesbetreuung.

Was ändert sich durch die Beschlüsse der Großen Koalition für Berlin?

Keines der „Verteilzentren“ für Asylbewerber mit geringen Bleibechancen werde in Berlin gebaut, hieß es aus der Senatskanzlei. Gut möglich sei aber die Schaffung von „integrierten Zentren“ mit allen Behörden und Einrichtungen, die von der Registrierung bis zur Bewertung eines Asylantrags zuständig sind.

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