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Linke

© Steinert

Die Linke: Wilmersdorfer Pioniere

Sie sind zu dritt und mit ihrer Fraktion der westlichste Vorposten der Linken in Berlin. Nicht überall läuft der Aufbau der Partei reibungslos.

In der Eingangshalle des Rathauses Wilmersdorf ist die Wende noch nicht angekommen. In den Schaukästen der BVV- Fraktionen hängen die Ankündigungen jener vier Parteien, die hier seit vielen Jahren hängen: CDU, FDP, SPD, Grüne. Die Linke ist hier bislang unsichtbar.

Nicht mehr lange. Drei Etagen höher feiern drei Bezirksverordnete und ein Parteimanager ihren Etappensieg. „Sie sehen einen stolz grinsenden Bezirksvorsitzenden“, sagt Torsten Hesse. Der 33-Jährige führt den 150 Mitglieder zählenden Linken-Bezirksverband Charlottenburg- Wilmersdorf. Der ist zwar nur ein Zehntel so groß wie manch Ost-Berliner Bezirksverband und kann sich auch mit den 2350 registrierten Charlottenburg-Wilmersdorfer SPD-Mitgliedern kaum messen. Trotzdem fühlen sich die Linken groß: Seit Jahresbeginn haben sie in der Bezirksverordnetenversammlung eine Fraktion. Das gab es im Westen bislang nur in Neukölln, wo die Linken traditionell stark sind.

Die Wilmersdorfer drei sind zum Symbol für die Westausdehnung der einstigen Ostpartei geworden. „Wir sind der weiteste Vorposten“, sagt Bezirksparteichef Hesse. Dabei half ein Zufall. Zu den zwei Verordneten Hans-Ulrich Riedel und Nurda Tazegül, die als Duo den Vorschriften entsprechend keine Fraktion waren, ist der Verordnete Wolfgang Tillinger hinzugekommen. Er saß für Die Grauen in der BVV. Die haben sich nach einem Finanzskandal aufgelöst. Nun stehen den Linken Privilegien zu, die man ihnen bislang vorenthielt, vom Stimmrecht in den Ausschüssen bis zum Zuschuss für Büros und Personal.

Für die Landesparteiführung ist Charlottenburg-Wilmersdorf das jüngste Kapitel in einer seit zwei Jahren laufenden Erfolgsgeschichte. „Der Westaufbau kommt voran“, sagt Landesgeschäftsführer Carsten Schatz. So werde die sinkende Mitgliederzahl im Ostteil durch die steigende Mitgliederzahl im Westen ausgeglichen. Unterm Strich liegt die Linke berlinweit seit Jahren bei rund 9500 Mitgliedern, aus den Westbezirken sind davon rund 800 – doppelt so viele wie noch vor der Fusion mit der WASG.

Durch die Fusion 2007 hat die einstige Ost-Regionalpartei einen West-Zweig hinzugewonnen, der sich offenbar gut entwickelt, wenn auch auf niedrigem Niveau. Noch gibt es keine offiziellen Zahlen, aber dem Vernehmen nach sind die meisten westlichen Berliner Bezirksverbände letztes Jahr weiter gewachsen. So meldet Ruben Lehnert, Neuköllner Linken-Sprecher, für 2008 rund 30 Prozent Mitgliederzuwachs: Von 190 auf 260. Auch Halina Wawzyniak, Bezirkschefin in Friedrichshain-Kreuzberg, meldet für Kreuzberg einen „erheblichen Zuwachs“.

Die jüngsten Forsa-Prognosen legen nahe, dass auch die Wählerzustimmung im Westen wächst (siehe Grafik): Derzeit, so fasst Forsa-Chef Manfred Güllner die letzten zwölf Monate zusammen, liegt das Potenzial der Linkspartei bei Abgeordnetenhauswahlen im Westteil bei fünf Prozent. 2006 erreichte die Linke im Westen nur 2,5 Prozent, auch wegen Lucy Redlers WASG, die lange der Vereinigung mit der Linkspartei trotzte.

Der Westaufbau ist ein Balanceakt, bei dem die im Osten gut organisierte und disziplinierte Partei auf neue Herausforderungen trifft. Nicht in allen West-Bezirken hat sie so kooperative Vertreter wie das Wilmersdorfer BVV-Trio. In anderen Bezirken tauchen bei Versammlungen öfter „stadtbekannte Querulanten“ auf, wie Forsa-Chef Güllner sagt. Da fliegen nicht nur rhetorisch die Fetzen, wenn Anhänger linksradikaler Splittergrüppchen, einstige K-Gruppenmitglieder, Ex-Grüne, Ex- Sozialdemokraten und vor allem viele bislang politisch nicht aktive Neumitglieder aufeinandertreffen. „Die Linke hat ein Problem im Westen, das sie im Osten nicht hat“, sagt FU-Politikwissenschaftler Gero Neugebauer: „Es geht oft um Fragen wie: Warst Du mal WASGler? Bist Du integriert oder nicht?“ Das hat auch der Wilmersdorfer Bezirkschef festgestellt: „Im Westen wird mehr diskutiert als im Osten“, sagt Torsten Hesse, der als gebürtiger Thüringer einer der wenigen Wilmersdorfer Linken mit Ost-Herkunft ist.

Manchmal führen die Spannungen zum Eklat. In Spandau schaukelte sich die Stimmung zwischen dem Bezirksvorstand und der vom Linken-Landesverband angestellten Geschäftsstellenleitung so hoch, dass die Partei die Geschäftsstelle vorübergehend geschlossen hat und jetzt nur noch für einzelne Veranstaltungen jemanden mit dem Schlüssel vorbeischickt, um den Spandauer Genossen die vom Landesverband bezahlten Räume aufzuschließen, wie Parteisprecher Thomas Barthel berichtet.

Aller manchmal radikalen Rhetorik zum Trotz: Wo die Linke in den Bezirksverordnetenversammlungen mitmacht, agieren ihre Vertreter meist pragmatisch. In Neukölln handelte die Partei bereits 2001 einen Zählgemeinschafts-Vertrag mit Grünen und SPD aus, den Bezirksparteisprecher Lehnert als „Vorläufer des rot-roten Koalitionsvertrags“ preist. Auch in Wilmersdorf hilft die Linke beim Aufbau von Gemeinschaftsschulen oder setzt sich für eine kostenlose Telefonberatung für Hartz-IV-Empfänger ein. „Wir tragen nicht mit wehenden Fahnen die Revolution in die BVV, sondern wollen mit kleinen Schritten etwas bewegen“, sagt Fraktionschef Hans- Ulrich Riedel, der in den 70ern bei der FDP war, in den 80ern bei der SPD und zuletzt bei der WASG. Der Bauleiter und Trainer für Kampfkunst ist lange genug politisch aktiv, um Realist zu sein: „Wir wollen nicht immer nur über die Weltrevolution reden, sondern auch über die Frage: Was machen wir bis dahin?“

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