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Radweg statt Parkplatz - das will der Fahrradclub ADFC in Berlin zukünftig häufiger sehen.

© Paul Zinken/dpa

Zwei Milliarden Euro für den Radverkehr: ADFC will 60.000 Parkplätze pro Jahr abbauen und Gebühren erhöhen

Der Fahrradclub ADFC fordert zwei Milliarden Euro für den Radverkehr. Die Zahl der Autos in Berlin müsse halbiert werden. 

Nach fünf Jahren rot-rot-grün ist der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) in Berlin unzufrieden. Auch 2020 sei weitestgehend von Stillstand geprägt gewesen, sagte Vorstand Frank Masurat in einer Videokonferenz am Dienstag, auf der der ADFC ein Papier mit seinen Plänen vorstellte: "Faktisch ist nicht viel passiert."  

Ausnahme seien die Pop-up-Radwege in wenigen Bezirken, sagte der ADFC-Vorstand. Durch dieses Angebot und die Corona-Pandemie sei der Radverkehr in Berlin 2020 um 25 Prozent gewachsen.

Der Verein präsentierte am Dienstag einen dicken Forderungskatalog an die nächste Koalition. Zwei Milliarden Euro müssten in die Hand genommen werden, um die Infrastruktur zu verbessern. "Die neue Landesregierung muss anfangen, größer zu denken. Echte Verkehrswende, mehr Lebensqualität und mehr Sicherheit im Verkehr", sagte Masurat. 

Doch Milliarden alleine helfen nicht. Angesichts des Hin und Hers zwischen Bezirken und Senat bei den Zuständigkeiten müsse ein Landesbauamt gegründet  werden. Dieses müsste ebenso "agil" arbeiten wie es der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg seit einem Jahr vormache. Letztlich solle mit den zwei Milliarden der bestehende Radverkehrsplan und das Mobilitätsgesetz "abgearbeitet" werden, sagte Masurat. 

Aus Sicht des ADFC habe es die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther in den vergangenen fünf Jahren versäumt, irgendein "symbolisches Projekt" zu präsentieren. So soll unter dem Neubau der Rudolf-Wissell-Brücke kein Radweg mitgeplant werden, kritisiert der ADFC. Die fast ein Kilometer lange Autobahnbrücke auf der A100 muss bekanntlich abgerissen und ersetzt werden. Für Radfahrer ist nichts vorgesehen.

Fahrradclub will 60.000 Parkplätze pro Jahr abbauen

Was Berlin voranbringen würde seien die sogenannten Kiezblocks - hier sollen Autos aus den Quartieren ferngehalten werden -, der ADFC schlägt pro Bezirk fünf vor, insgesamt also 60 stadtweit. Auch Lösungen wie in der autofreien Friedrichstraße könnten in allen Bezirken nachgemacht werden.  

Vor allem müsse der Autoverkehr drastisch reduziert werden, sagte Masurat. Und zwar so: Pro Jahr sollte die Zahl der Parkplätze um 60.000 verringert werden. Die Parkraumbewirtschaftung, bislang ein Flickenteppich sollte über die Umweltzone (S-Bahn-Ring) ausgeweitet werden, die Gebühren für Anwohner auf 240 Euro erhöht werden pro Jahr. Bislang sind in diesen Zonen gut 100.000 Stellplätze kostenpflichtig. Wie viele Stellplätze es in Berlin gesamt gibt, kann der Senat nicht sagen. Investitionen in Kfz-zentrierte Infrastruktur sollten sofort gestoppt werden - und dann mit "dem sukzessiven Rückbau von Schnellstraßen und Autobahnen wie der A100" begonnen werden.

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2030 sollten Verbrenner-Fahrzeuge verboten werden, das Hauptstraßennetz verkleinert werden. Dadurch würde der Autoverkehr in zehn Jahren halbiert. Der ADFC unterstützt das gerade gestartete Volksbegehren "Berlin autofrei"

Masurat kritisierte, dass Berlin mit seinem Ziel Vision Zero "krachend gescheitert" sei. Vision Zero hatte der Senat vor Jahren ausgerufen, also keine Verkehrstoten mehr. Tatsächlich nimmt die Zahl der Opfer nicht ab. "Wir wollen keine Geisterräder mehr aufstellen müssen", sagte Masurat. Das bisherige Programm sei Ende 2020 ersatzlos ausgelaufen, bemängelt der ADFC. 

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Berlin benötige ein neues Verkehrssicherheitsprogramm. So dürften "Todeskreuzungen" nach einem Unfall nicht wieder "in Betrieb gehen", sondern müssen sofort umgebaut werden.

Wichtig sei, abbiegende Autos und geradeausfahrende Radler per Ampelschaltung zu trennen. Berlin habe es nicht einmal geschafft, das zweispurige Abbiegen abzuschaffen. Diese Gefahr für Radler sollte schon vor zehn Jahren beseitigt sein. Als Beispiel für die Flächenverteilung nannte Masurat den Straßenzug Kaiserdamm/Bismarckstraße: "Elf Spuren für Autos, 80 Zentimeter für Radfahrer." 

Beim Ausbau der Radinfrastruktur sollte der Fußverkehr "mitgedacht" werden, heißt es in dem am Dienstag vorgestellten Papier. Bislang ging es vor allem um den Konflikt zwischen Autofahrern und Radfahrern, nun gibt es auch heftige Kritik an geplanten Radwegen von den organisierten Fußgängern von "Fuss e.V." und von Umweltschützern.

Immer wenn die Verkehrsverwaltung zuletzt Pläne für Radschnellverbindungen präsentierte, kam heftiger Protest, so am Teltowkanal oder an der Spree. Am Donnerstag will die senatseigene Gesellschaft Infravelo neue Pläne für den Ausbau des Spreeradweges vorstellen.

Ein Konfliktpunkt wurde gerade entschärft, durch das Brandenburger Tor wird kein Radschnellweg geführt. Radfahrer sollen auf der Ost-West-Route durch parallele Seitenstraßen um das Tor herumgeleitet werden. Fuss e.V. und ADFC  sind sich einig, dass das die richtige Entscheidung ist. 

Fortschritte in Kreuzberg und Neukölln

Der ADFC hat nun acht Fragen an die verkehrspolitischen Sprecher der Parteien im Abgeordnetenhaus geschickt. Danach soll aus den gesammelten Antworten die jeweilige Empfehlung des ADFC veröffentlicht werden - rechtzeitig vor der Wahl zum Abgeordnetenhaus.

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Unterdessen geht es in zwei der zwölf Bezirke sichtbar voran. In Kreuzberg werden gerade die Pop-up-Radwege aus dem Corona-Jahr "verstetigt", also in dauerhafte Wege umgewandelt. Dazu werden in Berlin neue "Protektoren" zur Trennung zwischen Autos und Radspur eingebaut.

So sieht die Zukunft aus: Am Kottbusser Damm werden jetzt "Protektoren" gegen Falschparker montiert.
So sieht die Zukunft aus: Am Kottbusser Damm werden jetzt "Protektoren" gegen Falschparker montiert.

© Jörn Hasselmann

Das Bezirksamt Neukölln hat gerade begonnen, eine weitere Fahrradstraße zu bauen. Die Herrfurthstraße zwischen dem Tempelhofer Feld und der Hermannstraße wird für Autos zur Einbahnstraße. Radfahrer dürfen in beide Richtungen fahren. An zwei Kreuzungen wird die rechts-vor-links-Regel abgeschafft, künftig ist die Herrfurthstraße dann Vorfahrtsstraße. 

Nach Angaben von Bezirksbürgermeister Martin Hikel soll so der Auto-Durchgangsverkehr im dicht besiedelten Schillerkiez verringert werden. "So schafft die Fahrradstraße mehr Sicherheit für Radfahrende und einen Beitrag zur Verkehrsberuhigung für die Anwohnenden.“

Allerdings bleibt der denkmalgeschützte Herrfurthplatz so wie er ist, nämlich mit fahrradfeindlichem Kopfsteinpflaster. Die 45.000 Euro teure Umgestaltung soll Ende dieser Woche fertig sein. 

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