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Eine Pro-Isael-Demo in Berlin.

© Imago/Ipon

Das Grundgesetz im Kampf gegen Judenhass: Warum die Verfassung mehr zum Antisemitismus sagen soll

Am Donnerstag beschließt der Bundestag die nächste Resolution zum Schutz jüdischen Lebens. In der Ampel kann man sich vorstellen, einen großen Schritt weiterzugehen.

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Es ist nur ein einfacher Parlamentsbeschluss, aber er soll eine starke Geste sein. Am Donnerstag wird der Bundestag mit den Stimmen der Ampelfraktionen sowie der Union eine neue Resolution im Kampf gegen Antisemitismus beschließen: „Nie wieder ist jetzt – Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“, lautet der Titel.

Rechtlich bindend ist daran nichts – es handelt sich um eine politische Positionierung. Doch SPD, FDP und Grüne schließen nicht aus, gegen Judenhass auch auf rechtlich höchster Ebene vorzugehen: im Grundgesetz (GG). Das geht aus Stellungnahmen von Rechtspolitikern aus den Fraktionen von SPD, Grünen und FDP bei einer Tagung des Tikvah-Instituts in der Berliner Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung hervor, die am Dienstag stattfand.

So warb der Abgeordnete Till Steffen (Grüne), ehedem Hamburger Justizsenator, dafür, den Antidiskriminierungsartikel drei des Grundgesetzes um einen „Schutzauftrag“ für Jüdinnen und Juden zu erweitern. Thorsten Lieb von der FDP sprach davon, dann eher eine neue Beschränkung von Artikel fünf, der Meinungsfreiheit, zu schaffen, „wenn man so etwas macht“. Johannes Fechner (SPD) sieht in einer Verfassungsänderung zwar vorrangig nur „Symbolkraft“. Deshalb lehne er sie aber nicht ab: „Wir müssen debattieren, eine entsprechende Vorschrift aufzunehmen“.

Vorbilder dafür gibt es in den Landesverfassungen von Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Bremen und Hamburg. Auch der Landtag in Mecklenburg-Vorpommern hat kürzlich eine Änderung beschlossen. In einem neuen Artikel 18a soll es künftig heißen: „Im Bewusstsein der historischen Verantwortung Deutschlands schützt und fördert das Land Mecklenburg-Vorpommern das jüdische Leben und die jüdische Kultur.“ Zudem soll „nationalsozialistisches“ und ausdrücklich auch „antisemitisches“ Gedankengut als verfassungswidrig markiert werden.

Weit mehr als ein Symbol,

Übertrüge man solche Programmsätze auf das Grundgesetz, dann mündeten sie in einer sogenannten Staatszielbestimmung, wie sie etwa in Artikel 20a GG für den Schutz der „natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere“ geschaffen wurde. Eine unmittelbare Rechtswirkung ergäbe sich daraus nicht, Staatszielbestimmungen werden primär als Auftrag an den Gesetzgeber gelesen. Dennoch sind sie weit mehr als ein bloßes Symbol, wie nicht zuletzt der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts gezeigt hat.

Ein anderer Weg wäre, Antisemitismus über eine explizite Einschränkung der Meinungsfreiheit zum Schweigen zu bringen. Das Grundrecht enthält als Schranke unter anderem „allgemeine Gesetze“, worunter etwa Strafgesetze zu verstehen sind. Hier explizit den Schutz von Juden unterzubringen, könnte es dem Parlament erleichtern, neue Verbotsgesetze zu verabschieden. Bekannt aus dieser Kategorie ist bisher vor allem Paragraf 130 Strafgesetzbuch, die Volksverhetzung, die auch das öffentliche Leugnen des Holocaust oder das Verherrlichen der NS-Diktatur unter Strafe stellt.

Allerdings gibt es Zweifel, ob solche Verfassungsänderungen erforderlich sind. Ex-Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio erkennt im Antisemitismus den „rassistischen Kern der NS-Ideologie“, gegen den sich das Grundgesetz schon als Ganzes wende. „Wir sollten unser Heil nicht in Rechtsänderungen suchen, schon gar nicht in Änderungen des Grundgesetzes“, sagte er in seinem Tagungsvortrag.

Konkrete Einzelgesetze im Kampf gegen Antisemitismus gefordert

Zumindest dem zweiten Teil der Aussage stimmte der Unions-Rechtspolitiker Günter Krings zu. Seine Fraktion würde für eine GG-Änderung gebraucht, da diese nur mit Zweidrittelmehrheit zustande kommt. Krings sieht die Verfassungsdebatte jedoch als „Ausweichforum“ und plädierte dafür, konkrete Einzelgesetze im Kampf gegen Antisemitismus zu erlassen. „Wir haben bei weitem noch nicht alles ausgeschöpft“.

Schöpft der Gesetzgeber weiter, wird die Wahl der richtigen Begriffe wichtig. „Antisemitismus“ ist bisher noch nicht rechtsverbindlich definiert worden.

Bundestag und Regierung legen die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) zugrunde, wonach es sich um eine „Wahrnehmung“ von Juden handelt, die sich „als Hass ausdrücken kann“. Die deutsche Regierung meint, damit werde auch Antisemitismus gegen den israelischen Staat erfasst, „der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird“. Der IHRA-Definition wird vorgehalten, sie sei zu weitgehend und gefährde die unbefangene politische Diskussion.

Ob die Justiz unter „Antisemitismus“ das versteht, was Parlament und Regierung verstanden wissen möchten, ist offen. Eine Aussage des Bundesverfassungsgerichts dazu gibt es noch nicht. Der Berliner Verfassungsrechtler Alexander Thiele wies auf die Unsicherheit hin, die mit einer Aufnahme des aus seiner Sicht höchst umstrittenen Begriffs ins Grundgesetz verbunden wäre: Dann würde das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden. „Und es kann sein, dass uns das nicht gefällt. Aber es gilt“.

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