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1976 fotografierte Evelyn Richter im Leipziger Musikviertel zwei heimkehrende Fahnenträger.

© MdbK/Evelyn Richter

Die beiden Grande Dames der Fotografie in Leipzig: Alle Farben Grau

Im Ausstellungsvergleich: Herlinde Koelbls Prachtbilder welkender Blumen und Evelyn Richters DDR-Tristesse könnten gegensätzlicher nicht sein.

Ein Zufall hat die beiden großen deutschen Fotografinnen, die ihre prägendsten Jahre jeweils auf der anderen Seite der Mauer erlebten, in einer Stadt zusammengeführt. Nach Düsseldorf ist die Retrospektive von Evelyn Richter (1930 bis 2021) nun im Museum der bildenden Künste ihrer Heimatstadt Leipzig zu sehen.

Die Tournee der Soloschau „Metamorphosen“ von Herlinde Koelbl (geboren 1939) mit welkenden Pflanzen, denen sich die für ihre eindringlichen Politikerportäts bekannte Fotografin in den letzten Jahren widmet, endet ebenfalls in Leipzig, im Grassi-Museum für Angewandte Kunst.

Der Vergleich mag nicht ganz fair sein, denn Herlinde Koelb zeigt nur eine Werkgruppe, aber in einem Umfang und mit einer Macht, die den Betrachter schier erschlägt. Die Wucht wird nicht geringer, blättert man später im brillant gedruckten Katalog von Steidl.

Blütenblätter vertrocknen, zerfasern, zerfallen in einer morbiden Pracht, die einen süchtig macht nach immer neuen Effekten der Auflösung alles Irdischen. Die Farben leuchten satt von Karmesinrot bis Mauve und Pink.

Hier wird eine Schale Schönheit gereicht, von der man besoffen wird, wäre da der Überwältigungsgestus nicht zu stark: zu viele, zu große Abzüge, dazu zwei Video- und eine Soundinstallation mit getrocknetem gigantischen Blumenbouquet. Herlinde Koelbl feiert die Ästhetik der Vergänglichkeit mit Fanfarenstößen.

Einen größeren Gegensatz zu Evelyn Richter könnte es damit kaum geben. Sie ist die Meisterin aller Schattierungen in Grau. Die Grande Damen der Tristesse in den Städten der DDR fing melancholische Stimmungen ein, wie man sie im Paris der 1960er verorten würde, fiele der Blick nicht auf die Trümmer der Dresdner Frauenkirche und wären die kaputten Straßen mit ihren ramponierten Häusern nicht so trostlos. Der traurige Schick aber ist bitterer Ernst, nicht existenzialistische Pose.

Aus der Serie „Metamorphosen“ von Herlinde Koelbl.
Aus der Serie „Metamorphosen“ von Herlinde Koelbl.

© Grassi Museum für angewandte Kunst/Herlinde Koelbl

Natürlich sind auch Evelyn Richters Klassiker zu sehen, darunter die beiden von einem Fußballspiel heimkehrenden jungen Fahnenträger im Leipziger Musikviertel von 1976 mit dem nun schlaff über ihre Schulter hängenden Stolz. Ins Bild der notdürftig geflickten Straße drängt sich zwischen erratisch stehen gebliebenen Altbauten ein Neubaukomplex.

Kein Wunder, dass die Studentin 1957 nach zwei Jahren von der Hochschule für Kunst und Buchdruck in Leipzig flog, wo ihr zum Vorwurf gemacht wurde: „Dass Sie einen Menschen mit einer schiefen Nase fotografieren, ist typisch für Ihre dekadente Einstellung.“ Auch fünfzehn Jahre später fotografierte sie noch mit poetischem Eigensinn. „Traumland“ heißt der Frachtkahn, der sich im Dunst an der Berliner Museumsinsel vorüberschiebt, beobachtet von Vater und kleiner Tochter am Ufer. Die Aussichten sind unverändert deprimierend, aber Evelyn Richter blieb und schlug sich durch.

Nach dem Rauswurf arbeitete sie als freie Fotojournalistin, ein hartes Brot, nahm Aufträge für Zeitschriften und Verlage an, begleitete immer wieder Musiker des Gewandhausorchesters als Langzeitprojekt. Zehn Jahre lang war sie mit ihrer Kamera dabei, wenn der Geiger David Oistrach spielte, dem Komponisten Paul Dessau widmete sie ebenfalls in Buchform ein Porträt. Wie sensibel die Fotografin ihre Bilder auswählte, zeigt sich bei den vielen Kontaktabzügen etwa vom Bildband „Entwicklungswunder Mensch“, das in beiden Teilen Deutschlands erschien.

„Ein gutes Porträt muss auch ein Gleichnis sein, tief erlebt, emotional verdichtet“, hat Evelyn Richter einmal gesagt. Aus der VIII. DDR-Kunstausstellung von 1977 brachte die Fotografin eine ihrer später bekanntesten Aufnahmen mit. Eine Besucherin wendet sich vor Wolfgang Mattheuers Gemälde „Die Ausgezeichnete“ noch einmal über die Schulter dem Betrachter zu und zeigt die gleichen verschatteten Augen, die gleichen herabgezogenen Mundwinkel.

Welches Glück und ebenfalls Erschöpfung scheint da in den Augen der jungen Frau auf, die Evelyn Richter am Vorweihnachtstag 1989 an die Brust ihres Partners gelehnt vor dem Brandenburger Tor porträtierte.

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