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Franz von Assisi, Franziskus,

© IMAGO/H.Tschanz-Hofmann

Franz von Assisis Krippenspiel: Der erste Performancekünstler

Die Krippenspiel-Tradition stand einst in starkem Gegensatz zur heutigen Weihnachts-Konsumkultur: Vor 800 Jahren wurde es vom obdachlosen Heiligen Franz von Assisi in einer Grotte aufgeführt.

Weihnachten ist ein Spiel. Wie niemand vor oder nach ihm hat Franz von Assisi dies am 24. Dezember 1223 vorgeführt. Vor genau 800 Jahren nämlich hat er das Krippenspiel zwar nicht erfunden, wie fromme Verehrer früher verkündeten, aber er hat es so präsentiert, dass daraus ein epochales Ereignis wurde.

Am Heiligen Abend war er mit Freunden nach Greccio gewandert, einer Ortschaft in der Mitte Italiens, auf gut 1000 Meter Höhe. Eine der dortigen Grotten, die früher von Einsiedlern genutzt worden waren, hatte ein Weggefährte namens Giovanni Velita, der aus der Gegend stammte, vorbereitet.

Er hatte sie so gestaltet, wie man sich damals den Ort der Geburt Jesu vorstellte: eine Futterkrippe hatte er aufgestellt und mit Stroh gefüllt; Schafe, einen Ochsen und einen Esel hatte er herbeigetrieben. So wollte Franz die ärmliche Geburt Christi „den leiblichen Augen sichtbar machen“. Wie die menschlichen Figuren – Maria, Joseph, das Neugeborene, die Hirten – kostümiert waren, ist nicht überliefert.

Doppelter Skandal

Als alles vorbereitet und der Abend gekommen war, stiegen die Menschen der Gegend mit Fackeln zur Weihnachtsgrotte empor. Was sie dort erlebten, war ein doppelter Skandal. Zum einen ließ Franz einen Priester die Messe über der Krippe, also nicht über einem geweihten Altar, zelebrieren. Zum anderen las er selbst die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium vor, obwohl er dafür ein geweihter Diakon hätte sein müssen. Beides stellte einen eklatanten Bruch des Kirchenrechts dar.

Aber man muss diesen seltsamen Heiligen vom Sockel holen und den frommen Kitsch, der auf ihm liegt wie eine dicke Staubschicht, wegpusten, um zu verstehen, was so unerhört an diesem Schauspiel war. Der renommierte Biograph Alois Prinz – in diesem Jahr mit dem Deutschen Jugendbuchpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet – hat dies in seinem wunderbaren neuen Lebensbild „Franz von Assisi. Tierschützer, Minimalist und Friedensstifter“ getan.

Plastisch zeigt er, was das Besondere an dieser „lebenden Krippe“ war: Franz las die Weihnachtsgeschichte – im örtlichen Dialekt – in „einer Art Körperpredigt“. Wenn er das Wort „Gott“ aussprach, leckte er sich die Lippen, als wolle er dieses Wort „schmecken“ oder gar „lutschen“. Wenn die Schafe erwähnt wurden, ließ er es sich nicht nehmen, laut zu blöken. Es muss ein ekstatischer Auftritt gewesen sein, der die Anwesenden begeistert und manche vielleicht auch verstört haben wird.

Der erste Performance-Künstler

Man muss sich Franz von Assisi als den ersten Performance-Künstler vorstellen. Er war kein studierter Theologe, kein versierter Rhetor und wollte es nicht sein. Ihm ging es darum, seine Botschaft spielerisch, sinnlich und mit vollem Körpereinsatz auszudrücken. Der Glaube sollte kein Gedanke, keine Meinung bleiben, sondern Leben, intensivstes Leben werden. So wird erzählt, dass Franz zu tanzen anfing, wenn er beim Predigen nicht weiterwusste. Einmal soll er sogar, um seiner Gemeinde klarzumachen, wie wenig man zum Leben braucht, in Unterhose gepredigt haben.

Man könnte jetzt „800 Jahre Krippenspiel“ feiern. Das wäre ein sehr erfreuliches Jubiläum. Leider haben allzu penible Historiker nachgewiesen, dass es Weihnachtsspiele schon vorher gegeben hat. So sind seit dem 10. Jahrhundert geistliche Theaterstücke zum Fest der Feste belegt, die Laien in der Kirche, vor dem Altar aufführten.

Die Innovation von Franz bestand also nicht darin, dass er etwas bisher Unbekanntes, wie aus dem Nichts, erschaffen hätte. Vielmehr hat er – und genau darin besteht ja die Originalität von religiösen Virtuosen – aus einer bestehenden Tradition das für ihn Entscheidende herausgenommen und in den Mittelpunkt gestellt: Weihnachten ist ein freies Spiel.

Politische Kritik verpackt im Krippenspiel

Man kann aber aus dem Krippenspiel von Greccio – Alois Prinz hat eindrücklich darauf hingewiesen – auch eine doppelte Kritik herauslesen. Zunächst an der Institution Kirche. Wenige Wochen zuvor hatte Franz eine schwere Niederlage erlitten. Eine von ihm widerwillig formulierte Regel war vom Papst angenommen worden.

Dadurch wurde aus dem offenen Netzwerk seiner Freunde, Anhängerinnen und Nachahmer ein Orden. Vielleicht war dies unvermeidlich, weil auch die enthusiastischste Bewegung irgendwann an den Punkt gelangt, wo sie sich an verbindliche Standards binden und eine Ordnung geben muss.

Dennoch, es war eine Entfremdung von dem, was Franz ursprünglich gewollt hatte. Alles spricht dafür, dass er sich nicht über die Anerkennung seiner Regel am 29. November 1223 gefreut hat. Denn ihm war seine Bewegung aus der Hand geschlagen und er selbst ins Abseits gestellt worden.

Doch wie reagierte er darauf? Er tat etwas, das man in der Psychotherapie wohl eine „paradoxe Intervention“ nennt. Er ging zurück zum Ursprung des Glaubens und feierte diesen außerhalb einer Kirche, bei einfachen Leuten, in der Natur, gemeinsam mit Tieren, in großer Freude.

Man kann darin noch eine zweite, politische Kritik enthalten sehen. Denn Franz zeigte mit seinem Spiel, dass Bethlehem kein Ort in einem fernen, angeblich heiligen Land sei, das man mit Gewalt erobern solle. Im Gegenteil, die Geburtsstätte Christi ist überall dort zu finden, wo Menschen friedlich und fröhlich miteinander Weihnachten feiern.

Krippenspiel statt Kreuzzug

Vier Jahre zuvor, 1219, war Franz in einer utopisch-selbstmörderischen Friedensinitiative nach Ägypten gereist, um mit dem Sultan al-Malik zu sprechen. Der soll diesen offenbar harmlosen Träumer nur verwundert und verständnislos angesehen haben, bevor er ihn wieder fortschickte. Ob Franz sich von seinem Krippenspiel in der Heimat eine größere Wirkung erhofft hatte? Sollte das seine Botschaft sein: Krippenspiel statt Kreuzzug? Weihnachten als Friedensfest?

Was immer Franz mit seiner Aufführung gewollt haben mag – er hat es nicht mit Worten erklärt, sondern mit seinem Körper vorgespielt. Aber wie von selbst wurde dabei sein einzigartiges Charisma deutlich. Man kann es das Franziskus-Prinzip nennen: Er lebte in radikaler Armut, doch nicht als bitterer, düsterer Asket, sondern bester Dinge, wie befreit.

Das wirkt für unsere Gegenwart irritierend. Heute ist „Verzicht“ etwas Negatives und wird mit „Verbot“ assoziiert. Franz sah darin das Tor zu einem guten Leben: Verzicht ist Gewinn, Armut ist Reichtum, das Bittere ist süß. Größer könnte der Kontrast zur weihnachtlichen Konsumkultur der Spätmoderne nicht sein. Mit Geschenken hätte Franz nichts anfangen können. Wo hätte er – obdachlos, wie er war – sie auch hintun sollen? Das Spiel an der Krippe war ihm Gabe genug, für sich und alle anderen.

Progressive Krippenspiele

Noch heute machen es ungezählte Kinder und Jugendliche, meist mit erwachsener Unterstützung, an Heiligabend – unbewusst – Franz von Assisi nach und führen ein Krippenspiel auf. Unüberschaubar sind die Textvarianten, Spielarten, Ensembles, Inszenierungen. Vieles ist traditionell, anderes neu mit aktuellen Bezügen, inzwischen auch in inklusiver und interkultureller Gestalt.

In der Berliner Galiläa-Kirche soll es zum ersten Mal eine LGTBQ-Fassung geben, nicht um einen Trend zu bedienen, sondern als ein Willkommen an all diejenigen, die sich von herkömmlich-bürgerlichen Formen ausgeschlossen fühlen. Auch „wer von der eigenen Familie nicht akzeptiert ist, weit weg lebt oder in einem nicht-christlichen kulturellen Kontext aufgewachsen ist“, soll, so die Gemeinde, einen Grund zum Mitfeiern haben.

Der Verfasser dieser Zeilen wird sich dieses Krippen-Musical leider nicht ansehen können, weil er wieder beim Krippenspiel seiner Heimatgemeinde in Hamburg-Hoheluft mitgehen will. In der Corona-Zeit hatte sich die St. Markus-Gemeinde Heilig Abend-Spaziergänge ausgedacht und danach eine Tradition daraus gemacht. Etwa 800 Menschen werden in 20er-Gruppen von Ehrenamtlichen durch die Nachbarschaft geführt. Ungefähr alle fünf Minuten hält man vor einem Balkon, einem Hauseingang, einem Fenster, ein Scheinwerfer geht an, Jugendliche treten vor und spielen eine Station der Weihnachtsgeschichte.

Das ist eine der wenigen rundherum positiven Folgen der Pandemie. Franz von Assisi hätte seine Freude an diesem Open Air-Spiel gehabt, auch wenn ihm bestimmt die Tiere gefehlt hätten.

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