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Offshore-Windanlagen oder auch Olplattformen auf Hoher See gehören zu den gefährlichsten Arbeitsplätzen der Welt.

© Matthias Ibeler/alpha ventus

Überlebenstraining: Brace, Brace, Brace!

Das Unglück ist simuliert, die 600 Grad Celsius sind echt. Wer offshore arbeitet, lebt gefährlich. Unser Autor besuchte den Survivalkurs.

Wenn jemand, und das kann man sich ruhig merken, wider Erwarten in Seenot gerät und das Glück im Unglück hat, es in eine Rettungsinsel zu schaffen, gilt eine Goldene Regel: Bitte bei Bedarf in den Überlebensanzug erbrechen. Tobt nämlich draußen ein Sturm, bleibt die Zeltplane verschlossen, und einfach in die Mitte spucken ist tabu. Ihre Mitreisenden werden es Ihnen danken.

Solche wertvollen Tipps lernt, wer den Kurs „Überleben auf See“ besucht. Inwieweit dieser Rat in der Praxis wirklich zur Anwendung kommt, ist nicht bekannt, gesteht Alexander Treichel. Er ist Betriebsstättenleiter bei „Windguard“. Die Firma bietet Erste-Hilfe-Lehrgänge und Brandbekämpfungskurse für Menschen an, die auf und an Offshore-Windanlagen arbeiten. Das sind Windparks, die bis zu 100 Kilometer weit draußen im Meer stehen und aus Sturm Strom machen.

Allein in der Nordsee sind elf deutsche Windparks in Betrieb, mit mehr als 800 Anlagen. Rund doppelt so viele Parks befinden sich im Bau oder in der Planung. Gut 13 Prozent des deutschen Stroms werden aus Windkraft gewonnen, damit ist sie der größte Lieferant erneuerbarer Energien. Das Investitionsvolumen in Windkraft hat nach dem Spitzenjahr 2015 nachgelassen, aber damals wirkten auch die Folgen von Fukushima, der angekündigte Atomausstieg, mit in den Boom hinein.

Die See ist nicht sehr tief, aber die Strömung tückisch

Die Windräder werden immer größer. Der Durchmesser der Rotorblätter liegt heute schon bei durchschnittlich 120 Metern. Das bedeutet jede Menge Wartung. Insgesamt arbeiteten bereits 2014 knapp 150 000 Beschäftigte in der Windenergiebranche, rund 20 000 von ihnen waren offshore im Einsatz. Und das birgt besondere Herausforderungen. Wo die Anlagen stehen, ist es nicht sonderlich tief, 40, höchstens 50 Meter. Aber die Strömungen sind tückisch. Fällt eine Anlage aus, kommt nicht mal eben ein Kundendienst vorbei. Techniker, Monteure, Ingenieure – mit Booten werden sie von großen Schiffen oder Wohnplattformen auf See zu den Anlagen gebracht. Ist der Seegang zu stark, seilen sie sich vom Helikopter ab.

Auf den Ernstfall vorbereitet zu sein, daran arbeiten Männer wie Alexander Treichel in Elsfleth, wo „Windguard“ sitzt. Rund 30 Kilometer von Oldenburg entfernt liegt der Ort ziemlich einsam am Ufer der Hunte, einem Flüsschen, das in die Weser mündet. „Von hier aus könnte man direkt raus aufs offene Meer schwimmen“, sagt Treichel.

Elsfleth sieht an diesem Morgen aus wie eine Flasche Aquavit, die man gerade aus dem Gefrierfach gezogen hat. Nautikstudenten sitzen in gut einsehbaren Hörsälen über ihren Lehrbüchern, Seebären mit 14-Tage-Bärten und marineblauen Strickpullovern kreuzen den Weg. Ein in Alufolie gewickelter Mann klettert in eine Blechkiste. Andernorts würde das stutzig machen, hier ist das nur ein Feuerwehrmann im Spezialanzug. Er steigt in einen Container, um einen Brand zu löschen. Das Unglück ist simuliert, die 600 Grad Celsius im Inneren sind echt.

Die Halle wirkt zu kommod für einen Überlebenskampf - doch das täuscht

Dann lieber ins Schwimmbecken. Hier sollte das „Sea Survival“-Training stattfinden, aber der Trainer ist krank. Zum ersten Mal in sechs Jahren sei das passiert, beteuert Treichel. „Worst Case“ nennt er das. Komische Wortwahl im Epizentrum der multiplen Katastrophen. Also ruht das Wasser. Knapp vier Meter tief, 23 Grad warm, die Halle wohlig beheizt. Ein bisschen zu kommod, um sich einen Überlebenskampf vorzustellen. Was soll schon passieren? Hautreizungen durch Chlor, Fußpilz? An der Wand drückt Treichel ein paar Knöpfe. Jeder für sich löst ein Wetterextrem aus, alle zusammen die größtmögliche Katastrophe.

Knöpfe eins bis vier erzeugen Wellen. Nicht solche, bei denen man in der Ostsee auf Hüfthöhe gern mitwippt, sondern richtig große, fiese Brecher, die von allen Seiten kommen und einen hin und her schleudern. Nächste Taste, eine riesige Windmaschine. Stärke 8. Dann wird es laut. Treichel hat den Deckenventilator eingeschaltet. Der Wind drückt von oben aufs Wasser, es dröhnt, als würde ein Hubschrauber direkt über dem Kopf kreisen. Genau das ist die Absicht. Sprühregen kommt von allen Seiten. Der letzte Schalter macht das Licht aus. Gleichzeitig werden die Fenster abgeschottet, man sieht gar nichts mehr. Alle paar Sekunden flackert ein Stroboskop auf, für die echte Gewitterstimmung bei Nacht.

„Wenn die Teilnehmer im Wasser sind, blenden sie aus, dass alles eine Simulation ist“, sagt Stephan Arends. Er muss es wissen, er ist einer der Ausbilder. Wie alle Trainer hat er eine Vergangenheit bei der Marine, war Sanitäter in Afghanistan und im Kosovo, er hat Minentaucher bei ihren Einsätzen begleitet und als Rettungsassistent gearbeitet. In seiner Freizeit geht er Höhlentauchen.

Diesmal leitet er eines der spektakulärsten Trainings, die hier angeboten werden. Das „Helicopter Underwater Escape Training“, kurz: HUET, hält, was es verspricht. Geübt wird, wie sich Insassen aus einem Hubschrauber befreien können, der ins Meer gestürzt ist und nun sinkt. Dafür baumelt ein zwei Tonnen schwerer Simulator über dem Becken, in dem die Teilnehmer festgeschnallt werden. Dann wird er ins Wasser gelassen und dreht sich auf den Kopf.

Die Teilnehmer wiederholen die lebensrettende Choreografie immer wieder

Das Training selbst gibt es bereits länger, als der Windkraftboom andauert. In der Öl- und Gasindustrie kam es bereits zur Anwendung, um die Arbeiter auf den Bohrinseln zu schützen. Als es mit der Windkraft immer weiter voranging, haben sich die großen Firmen wie Siemens und Vattenfall zusammengeschlossen zur Global Wind Organisation, kurz GWO. Die hat jene Standards festgelegt, die regeln, was Personen können müssen, um offshore zu arbeiten.

Alle sechs Teilnehmer des Kurses in Elsfleth haben einen ganz unterschiedlichen Alltag. Svenja Schudlich arbeitet für eine Firma, die Kampfmittelräumung auf See betreibt. Tonnenweise Munition liegt noch in Nord- und Ostsee, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie einfach dort versenkt. Sie muss weggeräumt sein, bevor eine Windanlage gebaut werden kann. Schudlich muss nicht oft „rausfahren“. Sie muss jedoch die Lehrgänge kennen, um zu wissen, was ihre Mitarbeiter brauchen und können müssen.

„Brace, Brace, Brace“, ruft Arends den Kursteilnehmern im Seminarraum zu. Kopf vorbeugen, Beatmungssystem anlegen, Referenzpunkte greifen – eine Hand unter dem Sitz, die andere in die Fensterlaibung – , um sich später orientieren und aus dem Wrack entkommen zu können. Die Teilnehmer wiederholen die wenig ästhetische, aber lebensrettende Choreografie wieder und wieder.

Einen Absturz zu überleben, bleibt dennoch Glückssache

Natürlich fühlt sie sich abstrakt an, die wenigsten werden sie jemals brauchen. Trotzdem zeigt Arends Videos von Helikopterunglücken. Auch solche, bei denen Menschen ihr Leben verloren. Niemand solle sich etwas vormachen. Einen Absturz zu überleben, ist Glückssache: „Wenn dich ein umherfliegendes Teil am Kopf trifft, bringt dir alles Training nichts.“ Am besten sei es, die Augen zu schließen. Mit Salzwasser, Kerosin und Öl im Auge sieht man ohnehin nichts. Und bekommt nicht mit, ob der Nebenmann tot ist. Das würde ablenken.

Die Teilnehmer haben dennoch gute Laune. Felix Clausnitzer, einer von ihnen, freut sich darauf, ins Becken zu springen, beziehungsweise im Gurt hängend hineingetunkt zu werden. „Nach all den Vorübungen will man irgendwann, dass es losgeht“, sagt er. Im Anschluss an den ersten Tauchgang dann die Erkenntnis: „Das ist ganz anders als im Schulungsraum. Da wirken so viele Kräfte auf einen ein.“ Am schlimmsten beim vierten Durchgang. Auf dem Kopf stehend aus dem Heli klettern, ohne das helfende Beatmungssystem der Rettungsweste. „Dann bekommt man Wasser in die Nase, das ist nicht wirklich schön“, sagt Clausnitzer.

Nichtschwimmer bekommen einen roten Helm

Die Rettungsweste hilft nicht nur beim Atmen, sie treibt einen auch zuverlässig nach oben. Unter gar keinen Umständen darf man sie im Inneren des Cockpits auslösen. Sie gibt so viel Auftrieb, dass ein Entkommen unmöglich wird. Für andere kann die Weste Leben bedeuten. Offshore-Arbeit setzt nicht voraus, schwimmen zu können. Bei den Teilnehmern beim „Sea Survival“ sind immer wieder Nichtschwimmer dabei. „Die bekommen dann einen roten Helm von uns, damit wir genau sehen können, wen wir gut im Auge behalten müssen“, sagt Arends.

Das Zertifikat haben diesmal alle erhalten, müde wärmen sich die Teilnehmer bei schwarzem Automatenkaffee auf. Einige ziehen sich aufs Hotelzimmer zurück, manche fahren nach Hause: nach Oldenburg oder Bremen. Ins einzige Restaurant des Ortes geht keiner von ihnen. Hier trifft man alte Männer gekrümmt über ihrem Bier, die genug Seemannsgarn für zwei Leben hätten. In der Ecke sitzt noch ein Mann um die 30, die Strickjacke bis unter die Ohren gezogen. Er bestellt eine bestimmte Flasche Rotwein. Die Bedienung winkt ab, der sei aus. Extra dafür sei er hergekommen, erklärt der Seemann enttäuscht. Sein Worst Case ist eingetreten.

Im ostwestfälischen Sternwede gibt es Deutschlands einziges Windkraftmuseum. Auf dem Gelände stehen neun verschiedene Geräte, unter anderem aus Dänemark und den Niederlanden, mit denen Strom aus Windkraft erzeugt wird. facebook.com/muehlenheiderwindkraft

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