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Gleichgesinnte. Recep Tayyip Erdoğan und Viktor Orbán halten nicht viel von Demokratie.

© imago/Xinhua

Moritz Rinke sammelt Erinnerungen an die Gegenwart: Die Autokratien meiner Frauen

Hätte unser Autor die Entwicklung der Türkei oder Ungarns im Temperament seiner Freundinnen vorfühlen können?

Vor ein paar Tagen war ich in Szombathely, einer westungarischen Stadt nahe der österreichischen Grenze. Am Vorabend hatte ich die Premiere eines Theaterstücks von mir gesehen, aufgeführt von einem Ensemble, das normalerweise am Nationaltheater in Budapest spielen müsste – doch von dort wurden sie vor einigen Jahren von der regierenden Fidesz-Partei vertrieben. Der Intendant Tamás Jordán, ein begnadeter Schauspieler, hatte sich auf der Premierenfeier betrunken, weil es auch seine letzte Premiere in Szombathely gewesen sein sollte, am nächsten Tag würde ihn der Bürgermeister, der nun auch der Fidesz-Partei angehöre, kündigen. Jordán und sein Ensemble dürfen im nationalistischen Ungarn nicht mehr spielen.

Ich saß danach im Parkhotel in Szombathely und rief meine frühere ungarische Freundin in Budapest an, traurig über die Heimatlosigkeit der Theaterleute.

„Deine Beziehungen enden immer in der Autokratie“, sagte sie. Als wir uns getrennt hatten, änderte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán die Verfassung, schränkte die Kompetenzen des Verfassungsgerichts ein, der Medien, der Kultur, erörterte die Wiedereinführung der Todesstrafe.

Meine Frau hat mit mir eine gute Partie gemacht

Als ich mich später in eine Türkin verliebte, wähnte ich mich bei einem Nato-Verbündeten. Einer mal mehr, mal weniger aufstrebenden Gesellschaft, deren jüngere Generation der Metropolen eindeutig nach Europa blickte. Als wir heirateten, in jener Kulturakademie Tarabya, in der sich der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel vor seiner Verhaftung in Sicherheit gebracht hatte, schlug die türkische Polizei einen Sommer auf Studenten ein, es gab Tote. Kurze Zeit später hatte sich die Türkei in ein Land verwandelt, in dem Journalisten, Akademiker, Künstler, Anwälte, sogar Oppositionspolitiker für 500 Jahre weggesperrt wurden.

Ich stand im Szombathely im Bad, schaute in den Spiegel und dachte: Wenn du jemals wieder heiraten solltest, was natürlich Allah verhüten möge, dann eine Schweizerin, eine Schwedin oder ausnahmsweise eine Deutsche. Meine Frau hat mit mir, wie ich finde, eine gute Partie gemacht, ihr Ex war Amerikaner, sie kann froh sein, sie hätte jetzt Trump und Erdogan zusammen!

Ob ich die Entwicklung der Türkei oder Ungarns im Temperament meiner Freundinnen hätte vorfühlen können? Nein. Bei der Ungarin war nichts zu spüren, sie mochte nicht mal böhmische Knödel. Als eine ungarische Kamerafrau im Sommer 2015 einem Flüchtling mit Kind auf dem Arm ein Bein stellte und diese Bilder um die Welt gingen, weinte sie. Sie bat mich, allen zu sagen, dass die Ungarn nicht so seien.

"Die türkische Wut ist immer größer"

Meine türkische Frau kann bis heute nicht glauben, woher all die Türken kommen, die diese unfreie Türkei wollen. Sie kennt nicht einen Türken, der so eine Türkei will, was ja für eine Spaltung der Gesellschaft spricht, in der es nichts mehr dazwischen gibt. Als ich sie fragte, was wir als deutsch-türkisches Paar in den derzeitigen verheerenden deutsch-türkischen Beziehungen vorschlagen würden, sagte sie mit Blick auf den türkischen Präsidenten: „Wenn die Deutschen zürnen, sind sie in seiner Gewalt. Die türkische Wut ist immer größer.“

Man möchte der deutschen Außenpolitik noch ein chinesisches Sprichwort für die kommenden Wochen mit auf den Weg geben, obwohl ich nie eine chinesische Freundin hatte: „Das schnellste Pferd kann ein im Zorn gesprochenes Wort nicht einholen.“

Vielleicht kommt das auch anderen Paaren bekannt vor.

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