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Der Swallowtail-Leuchtturm gehört zu den Sehenswürdigkeiten der Region.

© mauritius images / Alamy

Die kanadische Provinz New Brunswick: Abenteuer an der Atlantikküste

New Brunswick gehört zu den unbekannten Gegenden Kanadas. Dabei bietet die Region Höhlen, Wale, Wald. Wenn bloß die Gezeiten nicht wären!

Eine ziemlich große Wanne
Beth Johnston hat den ultimativen Tipp. Um die Bay of Fundy und die in ihr wirkenden Gewalten richtig zu verstehen, solle man sich einfach eine Badewanne vorstellen, sagt die Reiseführerin: ein Gefäß in einer länglichen Form, an den Enden zunehmend steil aufsteigend. „Das Wasser schwappt von einer Seite zur anderen“, Beths Hände malen einen Bogen, „und erreicht seinen Höhepunkt an den Enden.“ So sei es auch mit dem Wasser, das zweimal am Tag in die Bay of Fundy hinein- und hinausfließt.

Die Bucht liegt in der kanadischen Provinz New Brunswick, die eine 240 Kilometer lange Atlantikküste hat. Hier kann man noch – im Gegensatz zum südlich angrenzenden Maine auf US-amerikanischer Seite – fast ungestört an Steilküsten und Stränden entlanglaufen oder in Hafenstädten wie Saint Andrews entspannt nach Souvenirs stöbern. Vor allem aber bietet die einzige zweisprachige Provinz Kanadas neben reichhaltiger Geschichte und Kultur einzigartige Naturwunder.

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Wie die Bay of Fundy. Die Wassermengen, die der kalte Atlantik bei Flut in die Bucht zwischen Nova Scotia und New Brunswick presst, sind so gewaltig, dass allein die Zahlen schwindelig machen. Zweimal am Tag ergießen sich 160 Milliarden Tonnen Wasser in die Bucht, mehr als die gesamten Trinkwasservorräte der Welt oder so viel, wie in 90 Tagen die Niagara-Fälle runterstürzt.

Dieser Tidenhub von bis zu 21 Metern Höhe ist gewaltiger als irgendwo sonst auf der Welt. Zum Vergleich: An der Ostsee beträgt er 20 Zentimeter. In Fischerdörfern wie St. Martins liegen die bunten Holzkutter auf dem Trockenen, bis die Flut ihnen wieder das Wasser unter den Kiel spült. Nach Ministers Island, dem Sommersitz des kanadischen Eisenbahnpioniers William Van Horne, kann man nur zweimal am Tag in einem bestimmten Zeitfenster fahren – oder laufen, wenn die Ebbe eine steinige Passage freigegeben hat. Wer sich nicht an den Gezeitenplan hält, riskiert, von der schnell steigenden Flut überrascht zu werden.

Höhlen und Bögen
Was tausende Jahre Ebbe und Flut erschaffen, lässt sich vielleicht nirgendwo besser besichtigen als am Hopewell Cape an der Bay of Fundy. Hier grub sich die Wucht der Gezeiten in die Landmasse und formte eine einzigartige Sandsteinlandschaft. An den Flowerpot Rocks, benannt nach ihrer rund-länglichen Form und der begrünten, an Blumentöpfe erinnernden Oberfläche, kann man horizontal ablesen, wie hoch die Flut steigt. Zusammengefasst: höher als irgendwo sonst auf der Erde.

Bei Ebbe, wenn sich das Meer einen halben Kilometer vom Strand zurückgezogen hat, kann man weitgehend trockenen Fußes über den Meeresboden wandeln, um die rotbraunen, bis zu vier Stockwerke hohen Türme entlang eines zwei Kilometer langen Küstenabschnittes zu bestaunen. Nur wenige Stunden später paddelt man per Kajak durch die inzwischen entstandene Insellandschaft, durch Höhlen und Torbögen wie geschaffen für die sozialen Netzwerke: Die Hopewell Rocks gehören zu den meistfotografierten Naturwundern Kanadas.

Die beeindruckenden Hopewell Rocks bei Flut.
Die beeindruckenden Hopewell Rocks bei Flut.

© Rixie/Imago

Festgehalten ist einer der Blumentöpfe auch auf der Krankenversicherungskarte von New Brunswick – allerdings vor dem letzten Sturm. Im Frühjahr ist der obere, tonnenschwere Teil herabgestürzt, erzählt Paul Gaudet, der jede Gesteinsformation beim Namen kennt. Der Guide kennt auch die besten Hopewell-Anekdoten. Zum Beispiel die über ein Ehepaar, von dem vor ein paar Jahren nur die Frau zurück zum Eingangsbereich kam, als der Strand bei einsetzender Flut geschlossen wurde. Ihr Mann saß auf einem der Rettungstürme fest. Sechs Stunden lang musste er ausharren.

Die Richtung wechseln
670 Kilometer fließt der Saint John River von Maine bis zur Bay of Fundy. An der Stelle, wo die beiden Gewässer in einer engen, vor Millionen Jahren entstandenen Schlucht zusammentreffen, ereignet sich zweimal am Tag ein ganz besonderes Naturspektakel: Der Süßwasserfluss ändert seine Fließrichtung, wenn die salzige Flut ihn zurückdrängt. Gut beobachten lässt sich das an den Reversing Falls Rapids, den Stromschnellen im Mündungsbereich des Saint John Rivers.

Hier zeigt sich auch die Industrialisierung der Region rund um die Hafenstadt Saint John: Auf der einen Seite spannt sich die aus dem Jahr 1885 stammende Stahlbrücke Reversing Falls Railway Bridge über den Fluss. Weiter stromabwärts trübt eine Papierfabrik die Aussicht. Immer wieder gibt es Diskussionen über die stinkende Industrie an dieser einzigartigen Stelle.

Da sie jedoch einem der reichsten Männer Kanadas gehört, ist eine baldige Schließung unwahrscheinlich. Immerhin hat der Multimilliardär James Kenneth Irving den angrenzenden Irving Nature Park geschaffen, der mit spektakulären Aussichten über die Bay of Fundy und Wanderwegen am einsamen Strand, durch den Wald und die Salzwassermarsch aufwartet.

Millionen Jahre alte Fossilien

Die Felsen erzählen die Geschichte der Region: seit einer Milliarde Jahren. So alt sind die Gesteins- und Fossilienfunde. Begeistert spricht Catrina Russell über sie, die Programmdirektorin des Stonehammer Geopark. Wer ihr zuhört, lernt, wie die 220 Kilometer lange und 60 Kilometer breite Bay of Fundy entstanden ist, als die Kontinentalplatten Afrikas und Südamerikas miteinander kollidierten.

Eiszeiten, Vulkanausbrüche, Erdbeben und nun der Klimawandelt haben die Landschaft geformt. „Hier finden sich Spuren der ersten Tiere, die über die Erde wandelten, und der Geburtsort des Atlantischen Ozeans“, sagt Russell. Die Region Stonehammer wurde von der Unesco zum ersten Geopark Nordamerikas gekürt. Immer wieder finden Touristen Fossilien am Strand, die allerdings abzugeben seien, mahnt Russell – dafür würden die Finder in den Sammlungen vermerkt.

Neun Uhr, Delfine

Whale watching kann ermüdend, da erfolglos sein – doch ganz bestimmt nicht in New Brunswick im August und der ersten September-Hälfte. Los geht’s mit dem Katamaran von Saint Andrews, Kanadas ältestem Seebad, das an der Stelle liegt, wo sich der Golf von Maine in die Bay of Fundy erweitert.

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Am Steuer steht Kapitän Mathias Rudi von Quoddy Link Whale Watching, der vor mehr als 20 Jahren aus Franken eingewandert ist. Seinen Augen entgeht fast nichts, oft dirigiert er die Aufmerksamkeit seiner Gäste in die richtige Richtung. „13 Uhr, ein Wal, 9 Uhr, Delfine.“ Das kühle, nährstoffreiche Wasser ist Lebensraum für viele Tiere, unter anderem Buckel- und Minkwale, manchmal taucht sogar ein seltener Atlantischer Nordkaper auf, eine bis 18 Meter große Art der Glattwale, von der es weltweit geschätzt nur noch 200 bis 250 Tiere gibt.

Historische Leuchttürme

Zum Neuengland-Feeling gehören natürlich die historischen Leuchttürme. Eigentlich längst nicht mehr auf dem neusten Stand der Technik, wurden viele von ihnen durch deutlich weniger pittoreske Bauten ersetzt. Auf Grand Manan, Hauptinsel des 15 Inseln umfassenden gleichnamigen Archipels, setzt sich Ken Ingersoll seit Jahren für ihren Erhalt ein. Zusammen mit seiner kürzlich verstorbenen Frau hat der Hobby-Leuchtturmwärter die Swallowtail Lightstation restauriert und modernisiert. Er warnt Seefahrer vor der felsigen Küste – vor allem, wenn der gar nicht so seltene Nebel Klippen und Inseln wieder verschwinden lässt.

Von der Fähre, die aus Black Harbour nach Grand Manan übersetzt, sehen Urlauber als erstes den weißen Bilderbuch- Leuchtturm von 1860. Nach der Renovierung kann man nun wieder auf den Turm hinaufsteigen. In den unteren Etagen haben die Ingersolls liebevoll ein Museum eingerichtet, das an frühere Bewohner, gesunkene Schiffe und historische Ereignisse erinnert.

Von Swallowtail führt ein gut gepflegter Wanderweg an der mehr als 30 Kilometer langen Steilküste entlang und ermöglicht dramatische Ausblicke. Es riecht nach Rosmarin und Kiefern, Wildblumen wiegen sich im Wind. Im Westen der Insel fallen die Basaltfelsen, die durch längst erloschene Vulkantätigkeiten entstanden sind, schwindelerregende 100 Meter ab.

Reisetipps: Mit dem Flugzeug nach Moncton, Saint John und Fredericton, New Brunswick. Mietwagen gibt’s an allen drei Flughäfen. Unterkunft beispielsweise im Hilton Saint John, zentral am Hafen gelegen, Doppelzimmer ab 110 Euro, hiltonhotels.de, oder im Algonquin Resort St. Andrews by-the-Sea, ein historisches Resort, Doppelzimmer ab 150 Euro, algonquinresort.com. Unbedingt vor Ausflügen die Gezeiten kontrollieren auf tides.gc.ca. Diese Reise wurde unterstützt durch Tourism New Brunswick.

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