zum Hauptinhalt
Dieses Graffiti aus Hattuscha ist dreieinhalb Jahrtausende alt. Foto: B. Genç, Archiv der Boğazköy-Grabung, Deutsches Archäologisches Institut, Istanbul

© B. Genç, Archiv der Boğazköy-Grabung, Deutsches Archäologisches Institut, Istanbul

Bahnbrechende Entdeckung: Jahrtausendealtes Graffiti gefunden

Mitunter bringt Regen doch Segen. Weil Forscher in Anatolien wegen des Wetters nicht graben können, stoßen sie auf Schmierereien aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus

Ein Regentag im trockenen Sommer von Zentralanatolien hat Forschern in den Ruinen von Hattuscha, der uralten Hauptstadt der Hethiter östlich von Ankara, einen Sensationsfund beschert. Vom Wetter zu einer Pause bei ihrer Grabung gezwungen, stießen sie in einem Tunnel auf Graffiti aus dem zweiten Jahrtausend vor Christus.

Hunderte Sprüche in hethitischer Hieroglyphenschrift fanden die Archäologen, vor dreieinhalbtausend Jahren mit Wurzelfarben an die Wände gepinselt. „Das ist die totale Sensation“, sagte Grabungsleiter Professor Andreas Schachner vom Deutschen Archäologischen Institut unserer Zeitung.

Die Graffiti eröffnen eine „völlig neue Perspektive“ auf das Großreich der Hethiter, zeigen sie doch, dass – anders als bisher angenommen – viele Hethiter lesen und schreiben konnten und Schrift zu ihrem Alltag gehörte.

Der Tunnel in Hattuscha ist hell genug, um nicht beleuchtet zu werden.
Der Tunnel in Hattuscha ist hell genug, um nicht beleuchtet zu werden.

© B. Genç, Archiv der Boğazköy-Grabung, Deutsches Archäologisches Institut, Istanbul

Das Großreich der Hethiter war im zweiten Jahrtausend vor Christus als Gegenspieler der Ägypter, Babylonier und Assyrer eine der vier Großmächte dieser Zeit. Das Reich erstreckte sich von den Dardanellen in der heutigen Nordwest-Türkei über ganz Anatolien bis ins heutige Syrien.

116
Jahre schon graben deutsche Archäologen schon in Hattuscha

Seit 116 Jahren graben deutsche Archäologen in Hattuscha, rund hundert Kilometer östlich der türkischen Hauptstadt Ankara; seit 17 Jahren leitet Schachner die Grabung eines internationalen Wissenschaftlerteams dort. Die Entdeckung der Schriftzeichen habe alle verblüfft, sagt Schachner – zumal sie gar nicht danach gesucht und an jenem Tag nicht einmal gegraben hätten.

„Wie ein Zufall halt ist“, sagt Schachner. „Es war ein Regentag im August, da hat es geregnet in Strömen, und wir konnten nicht graben.“ Bülent Genc, ein türkischer Kollege von Schachner, wollte die Zwangspause nutzen, um Fotos für seine Studenten zu machen.

Hundert Mal passiert
Genc fotografierte in einem 70 Meter langen Tunnel unter einem Stadttor von Hattuscha, der seit langem bekannt ist. Alle Forscher seien „schon hundertmal“ durch den Gang gelaufen, ohne etwas zu bemerken, sagt Schachner. Weil von beiden Enden her genug Licht in den Gang fällt, gibt es keine Lampen in dem Tunnel, Wände und Decke liegen größtenteils im Dunkeln. Erst das Licht von Gencs Mobiltelefon änderte das: Plötzlich sah er Hieroglyphen in roter Farbe an den Wänden.

Aufgeregt lief Genc zum Grabungshaus zurück und berichtete Schachner von seinem Fund. Der war zuerst skeptisch. „Ich habe mir gedacht, na ja, das werden halt irgendwie so Schmierereien von unseren Dorfleuten hier sein oder von irgendwelchen Touristen oder so.“ Doch als Genc seine Fotos zeigte, erkannte Schachner sofort hethitische Hieroglyphen-Zeichen. „Und damit kam das Ganze dann ins Rollen.“

Seit 17 Jahren leitet Andreas Schachner die Grabung, hier mit Grabungshündin Laika.
Seit 17 Jahren leitet Andreas Schachner die Grabung, hier mit Grabungshündin Laika.

© D. Krüger, Archiv der Boğazköy-Grabung, Deutsches Archäologisches Institut, Istanbul

Systematisch und mit allen technischen Mitteln suchte das Forscherteam daraufhin das Monumental-Bauwerk ab: einen 40 Meter hohen Wall auf dem höchsten Punkt der Stadt, der von dem Tunnel unterquert und von einem Stadttor mit einst vier Sphinx-Figuren gekrönt wird – eine davon stand fast hundert Jahre lang im Pergamon-Museum in Berlin, bis Deutschland sie vor zehn Jahren an die Türkei zurückgab. Die Forscher fanden fast 250 Zeichen, die vor rund dreieinhalb Jahrtausenden auf die Steinblöcke gemalt wurden. Der Tunnel schützt sie vor Licht und Feuchtigkeit, so dass sie auch nach Jahrtausenden noch gut erkennbar sind. “Das ist schon sehr erstaunlich alles“, sagt Schachner.

Nicht minder erstaunlich ist die wissenschaftliche Tragweite dieser Zufallsentdeckung. Durch die Funde eröffne sich „ein neues, völlig unerwartetes Fenster zur Spätbronzezeit“, erklärte das Deutsche Archäologische Institut. Bisher bestanden die schriftlichen Überlieferungen aus dem Hethiter-Reich überwiegend aus amtlichen Texten, die mit Keilschrift auf Tontafeln geschrieben wurden. Neben der Keilschrift entwickelten die Hethiter auch eine eigene Hieroglyphenschrift, doch diese kannte man bisher nur von Siegeln und einigen Inschriften auf Monumenten, sagt Schachner.

Bis zum Zufallsfund im Tunnel nahm die Wissenschaft deshalb an, dass die Hieroglyphenschrift der Hethiter nur selten verwendet wurde. Offensichtlich sei aber genau das Gegenteil der Fall, sagt Schachner: „Es ist etwas, was im Alltag an ganz verschiedenen Stellen und in ganz verschiedenen Zusammenhängen angewendet wurde, wahrscheinlich häufiger angewendet wurde als die Keilschrift und wahrscheinlich auch von viel mehr Leuten verstanden wurde.“

Das ist eine völlig neue Perspektive, so viele plötzlich zu finden, die zeigen, dass das offensichtlich die Art und Weise war, wie die Leute untereinander kommuniziert haben.

Andreas Schachner vom Deutschen Archäologischen Institut

Von Graffiti würde man heutzutage sprechen, sagt Schachner, auch wenn die Forscher noch nicht genau wissen, was da an den Wänden steht. Namen von bestimmten Menschen oder auch Göttern könnten es sein, vermuten die Archäologen, und eine Zeichengruppe scheint aus den Zeichen für Berg und Weg zusammengesetzt zu sein: möglicherweise eine Art Straßenschild. Anders als bisher gedacht, konnten viele Hethiter also offenbar lesen und schreiben – nur eben nicht die amtliche Keilschrift, sondern Hieroglyphen. 

Die Verwendung der Hieroglyphenschrift im öffentlichen Raum werfe ein neues Licht auf die Gesellschaft der Hethiter, sagt Schachner. „Das ist eine völlig neue Perspektive, so viele plötzlich zu finden, die zeigen, dass das offensichtlich die Art und Weise war, wie die Leute untereinander kommuniziert haben.“ Damit gewinne die Forschung „einen völlig neuen Blick auf diese Kultur“.

Im nächsten Schritt will das Grabungsteam die Hieroglyphen auf ihren Steinblöcken nun dreidimensional aufnehmen und modellieren. Von der Auswertung der Schriftzeichen erhofft sich Schachner neue Aufschlüsse darüber, wie die Menschen in Hattuscha vor dreieinhalb Jahrtausenden lebten und dachten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false