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Instagram-Sucht und Dating-Wahnsin – „Nach 150 Likes kennt Facebook den User besser als seine Mutter“ 

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Instagram-Sucht und Dating-Wahnsinn: „Nach 150 Likes kennt Facebook den User besser als dessen eigene Mutter“

Dating-Portale und Social Media machen Menschen bewusst krank und süchtig, beklagt der Psychologe Johannes Hepp. Ein Gespräch über das Leiden seiner Patienten.

Alexa, Smart Homes, digitale Suchmaschinen haben das Leben für viele Menschen leichter gemacht. Herr Hepp, Sie beklagen in Ihrem Buch „Die Psyche des Homo Digitalis“, dass der digitale Fortschritt viele Menschen neurotischer gemacht hat. Was meinen Sie genau damit?
Alles ist schneller, bequemer und scheinbar leichter verfügbar. Gerade in der Bequemlichkeit und in dem Outsourcen unserer Fähigkeiten, sehe ich die Gefahr, dass wir dadurch keine Frustrationstoleranz mehr entwickeln. Wenn wir alles sofort googeln, uns nur auf Algorithmen verlassen und jedes Bedürfnis sofort quer durch den Raum zu Alexa oder Siri rufen, tut uns das nicht gut.

Das ist wie bei verwöhnten Kindern. Wir werden dadurch zu erwachsenen Fünfjährigen, die einklappen, wenn Dinge nicht so kommen wie gewünscht. Unsere Toleranz für Langeweile geht zurück, die wir aber brauchen, um auf eigene und neue Gedanken zu kommen. Abgesehen davon werden durch virtuelle und häufig falsche oder sensationsheischende Nachrichten Ängste geschürt. 

Inwiefern führt das zu Neurosen, die unsere Lebensqualität erheblich mindern?
Der Kern aller Neurosen ist eine verzerrte oder verfälschte Wahrnehmung. Mit jedem Verdrängen lasse ich mich weniger auf die Wirklichkeit ein. Ich reagiere über, wenn etwas unerwartet die Abwehr durchbricht, und werde insgesamt emotional instabiler. Nehmen Sie Verschwörungstheoretiker, die die absurdesten Dinge für wahr halten und die Realität zunehmend verleugnen müssen.

Im Sinne von Sigmund Freud entsteht somit eine zunehmende Tabuisierung von immer mehr Themen. Sie flippen aus, sobald man sie auf bestimmte Dinge anspricht, um nicht mit dem tatsächlichen, aber verdrängten Konflikt konfrontiert zu werden. Wir alle reagieren in überfordernden Situationen leicht neurotisch, ob es sich schon um etwas Behandlungsbedürftiges handelt, kann mit einem Psychologen oder vielleicht schon mit der Lektüre meines Buches geklärt werden.

Sich von irgendeinem sozialen Netzwerk abmelden, geht für viele Internetabhängige nicht, denn dann haben sie quasi mit einem Klick kein Leben mehr.

Johannes Hepp, Psychologe und Psychoanalytiker

Worunter leiden die Menschen, die zu Ihnen in die Praxis kommen?
Da ist beispielsweise eine junge Frau, die Instagram-süchtig war. Sie musste sich permanent mit anderen vergleichen. In der Folge litt sie an einem stetig abnehmenden Selbstwertgefühl, bis hin zu suizidalen Gedanken. Erst nach einer einjährigen Therapie hat sie es geschafft, sich bei Instagram abzumelden. Was nicht leicht war. Diese Sucht bestimmte ihr ganzes Leben. Obwohl sie ein kleines Baby hatte, war sie permanent, sogar beim Stillen, auf Instagram.

Leute verfolgen, Fotos von sich machen, um zu glänzen. Sich einfach von irgendeinem sozialen Netzwerk abmelden, geht für viele Internetabhängige nicht, denn dann haben sie quasi mit einem Klick kein Leben mehr. Man spricht im Netz nicht ohne Grund von Facebook-Suicide. Diese Patientin hat zum Glück gemerkt, dass es noch ein analoges Leben gibt, und wieder Freude an ganz gewöhnlichen Dingen gefunden - beispielsweise mit dem Kind zu reden, auch wenn man es nicht filmt. 

Sie schreiben auch, dass diverse digitale Dienste Liebeskummer oder Beziehungsprobleme nochmals erschweren. Wie das?
Ein sehr verbreitetes Leiden ist die Online-Dating-Kultur. Im Buch nenne ich es, Verliebtsein ins Verliebtsein als Dauerzustand. Das treibt manche Menschen dazu an, immer wieder aufs Neue nach einem Partner oder Partnerin zu suchen. Cyberstalking ist ebenso ein großes Problem. Einerseits ist es für meine Patienten selbst sehr belastend, wenn sie zum Beispiel über Ghosting blockiert werden oder sich ihr Date auf Nachrichten nicht zurückmeldet.

Andererseits leiden viele darunter, dass sie ihr Ex-Date oder einen Ex-Partner nach der Trennung über das Internet weiterverfolgen können oder das fast zwanghaft müssen. Und dann sehen sie, wie glücklich der oder die andere ist. Das macht es schwer, sich gedanklich von der Person zu lösen und wieder offen für Neues zu werden.

Auch Beziehungspartner kontrollieren sich über das Netz. Einmal hielt mir eine Patientin ihr Handy entgegen und sagte: Ihr Boyfriend, der gerade in Italien studierte, hätte die Nachricht um 18.35 Uhr gelesen, aber erst am nächsten Tag um 11.14 Uhr zurückgeschrieben! Ob ich das nicht auch verdächtig fände? Der Freund in Italien musste zudem die ganze Zeit alles dokumentieren und erlebte dadurch viel weniger. Dahinter stehen immer neurotische Verlustängste, mit einem daraus erwachsenden übermäßigen Kontrollbedürfnis.

Wenn Dating-Plattformen wirklich funktionieren würden, dann würden die natürlich pleitegehen.

Johannes Hepp, Buchautor und Psychologe

Wo liegen die Ursachen dafür?
Sie leiden unter mannigfachen Beziehungsängsten. Zudem gibt es eine geringere Bereitschaft dafür, für eine Beziehung arbeiten zu müssen. Viele meinen, sie würden über das Internet den Traumpartner finden, der exakt zu passen habe, wie ein ganz bestimmtes Legoteilchen, ohne dass sie sich selbst entwickeln müssten. Aus diesem Grund wird ständig weitergesucht.

Aber letztlich stellen sie fest, dass sich die immer gleichen Beziehungsmuster wiederholen. Ein Problem ist ebenso, dass viele das Gefühl haben, dass im Netz unendlich viele Singles zu finden sind, präzise 800 Millionen. Da ist so viel Nachschub, wenn es mit dem einen oder anderen mal wieder nicht klappt, versuche ich es eben mit dem Nächsten und wische ab und zu nach rechts. 

© IMAGO/Ikon Images

Im Interesse einer Dating-Plattform ist es wahrscheinlich nicht, dass man sich verliebt und auf ewig mit einem Partner zusammenbleibt.
Wenn das Ding wirklich funktionieren würde und man würde nach zwei oder drei Dates glücklich und zufrieden bis ans Lebensende zusammenleben, dann würden die natürlich pleitegehen. Der beste Kunde für eine Dating-Plattform ist der, der ständig neu verliebt sein will und in dem Sinne weiterhin konsumiert und sein Abo niemals kündigt, auch wenn er parallel in einer Beziehung sein sollte. 

Welche digitalen Kniffe werden dazu angewendet?
Jede Plattform hat ihre Tricks. Die extreme Bildorientierung bei Tinder fördert, dass Menschen sich auf bestimmte Körpermerkmale fixieren, das erlebe ich auch bei meinen Patienten. Da muss der Oberschenkel ganz bestimmt geformt sein. Das sind Dinge, die ich persönlich gar nicht sehe. Diese rein auf Optik ausgelegte Partnersuche macht Menschen komplett austauschbar. Da muss nur einer um die Ecke kommen, bei dem der Oberschenkel noch einen Tick besser ist, und schon wird die Person ersetzt.

Vergleichssüchte und Bodyshaming können eine Folge von häufiger Instagram-Nutzung sein. Dagegen gibt es mittlerweile Gegenbewegungen wie „Body Positivity“.
Vergleichssüchte und Bodyshaming können eine Folge von häufiger Instagram-Nutzung sein. Dagegen gibt es mittlerweile Gegenbewegungen wie „Body Positivity“.

© Unsplash License

Eine neue amerikanische Plattform ist „Darwin Dating“, die die sogenannten Hässlichen gar nicht mehr mitlieben lässt. Das ist der pure Sozialdarwinismus, wie auf dem Sklavenmarkt. Da müssen sich Leute mit Fotos bewerben und zeigen, dass sie keinen Hängebusen haben. Da wird eine absurde Vorselektion betrieben.

Das hat nichts mehr damit zu tun, welcher Persönlichkeitstyp zu einem passt oder mit wem man längerfristig eine gute Beziehung leben könnte. Diese optischen Festgelegtheiten haben auch damit zu tun, dass nicht zwingend ein Beziehungspartner gesucht wird, sondern nur jemand, an dessen Seite der eigene Marktwert gesteigert werden kann.

Nicht jeder betreibt Online-Dating. Was wissen oft genutzte digitale Dienste wie Google, Apple, Amazon & Co über uns?
Laut einer Cambridge-Studie braucht es nur 150 Likes, dann kennt Facebook den User besser als dessen Mutter ihren eigenen Sohn. Bei zehn Likes besser als der Arbeitskollege. 70 Likes reichen, um anhand der Kriterien der „Big Five“ ein komplettes Persönlichkeitsprofil zu erstellen, das die Grundlage bildet für nahezu alle Algorithmen, die unser Verhalten ausforschen und vorhersagen wollen.

Es wird anhand der fünf wichtigsten Kerndimensionen der menschlichen Persönlichkeit ermittelt. Eine der Hauptdimensionen ist der Neurotizismus. Wie ängstlich, reizbar oder verletzlich bin ich? Damit werden Algorithmen für Dating-Portale und alles andere erstellt. So kann eine Firma wie Amazon oder Google herausfinden, welches Ausmaß an Neurosen beim Nutzer vorliegt, wie die Neurosen befeuert werden können und auch für welche Produkte wir am leichtesten empfänglich sein müssten. Denn den meisten Profit macht man mit dem neurotischen und süchtigen User, der zahlt auch dann noch, wenn er sich hierfür verschulden muss.

Was machen die Konzerne mit dem Wissen noch?
Indem sie uns ausspionieren, können sie personalisierte Werbung verkaufen und ihre Daten an Wahlkampagnen, wie bei Donald Trump, weiterverkaufen. Das meiste Wissen über uns stellen wir ihnen freiwillig zur Verfügung. Wir denken, wir konsumieren kostenlose Produkte, aber wir sind das Produkt.  

Insbesondere der Kurznachrichtendienst Twitter, aber auch Facebook und Instagram sind gute Beispiele dafür, wie ein Algorithmus steuert, was wir wahrnehmen. Mit welchem Ziel?
Das Ziel dieser personalisierten Newsfeeds ist Meinungsmanipulation und Beeinflussung. Das ist die politische Dimension. Aber es geht den Firmen nur darum, das Engagement der User zu steigern. Am besten, sie machen gar nichts anderes mehr, als gebannt vor dem Bildschirm zu sitzen. Das funktioniert am besten mit starken Emotionen wie Wut, Angst, Begierde, Humor.

Dadurch wird ihre Aufmerksamkeit abgezogen auf eine rein virtuelle Welt. Je mehr das stattfindet, umso leichter sind sie zu beeinflussen. Die Enthüllungen der US-amerikanischen Whistleblowerin Frances Haugen haben gezeigt, dass Facebook und Instagram dieses Prinzip betreiben, mit dem Wissen, dass sie ihren Nutzern psychisch schwer schaden.

Neben Frances Haugen gibt es im Silicon Valley noch andere Aussteiger. Was treibt diese an?
Viele haben Albträume. Der Erfinder des Like-Buttons soll beispielsweise schlaflose Nächte haben. In der Dokumentation „The Social Dilemma“ erzählen diverse Entwickler, dass sie ihren Kindern nicht erlauben, sich bei Plattformen wie Facebook oder Instagram anzumelden. Sie lassen sie lieber völlig technikfrei in Waldorfschulen groß werden.

Denn sie wissen, dass das Verhaltenssüchte mannigfacher Art auslösen kann. Die Menschen werden zunehmend abhängig von diesem ganzen „Daumen hoch“ und „Daumen runter“, weil sie ihr ganzes Selbstwertgefühl daran festmachen. Auswirkungen sind dann mitunter schwere Depressionen, Selbstwertkrisen oder Bodyshaming. 

Wie können wir uns besser vor diesen Auswirkungen schützen?
Wir sollten mehr Realität und mehr sinnliches Erleben zulassen. Eigene Erfahrungen wagen und nicht alles aus dem Netz zusammenklauben oder kommentieren. Ich nenne es: lebenserprobter Realismus. Die Angst existiert nur im Kopf. Dass jemand mit einem Messer vor einem steht, kommt ja eigentlich hier nicht vor. In ärmeren Ländern gibt es viel mehr reale Bedrohungen, aber viel weniger neurotische Ängste. Sobald Sie bewusst und bei Sinnen etwas erleben, haben Sie unweigerlich weniger Angst. 

Ab wann sollten sich Menschen, wie Ihre internetabhängige Patientin, ganz von Social-Media-Plattformen abmelden?
Ich finde, wir sollten uns alle von unseren Social-Media-Accounts abmelden. Die Gefahren sind viel zu groß. Bilder von Kindern können auf Seiten von Pädophilen landen. Köpfe aus Fotos werden über Deepfake-Apps in Pornos hineinmontiert. Auch die psychischen Belastungen können jederzeit überhandnehmen.

Da muss nur ein riesiger Shitstorm losbrechen, der einen so fertigmachen kann, dass Patienten einfach nicht mehr können. Wir sollten eine strikte Privatsphäre bewahren. Wenn man merkt, etwas belastet einen, warum sollte man es dann fortführen? Nur damit alle anderen denken, mir ginge es blendend, mit meinem inszenierten Online-Hochglanzleben? 

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