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Fast 1200 Kilo Kokain wurden vor zwei Wochen in Italien entdeckt worden. Ndrangheta soll in den Schmuggel verwickelt sein.

© Guardia di Finanza/dpa

Mafia in Italien: Freispruch für den Schweizer Clan

Zwei Mitglieder der ’Ndrangheta-Zelle sind freigekommen. Sie seien zwar Mitglieder eines kalabrischen Mafia-Clans – aber deswegen nicht automatisch Mafiosi

Nach fünf Jahren Haft sind der 70-jährige Antonio N. und der 75-jährige Raffaele A. wieder auf freiem Fuß: Der Kassationshof in Rom hat die beiden Süditaliener am vergangenen Freitag freigesprochen und ihre sofortige Freilassung angeordnet. Antonio N. und Raffaele A. waren im August 2014 bei einem Grenzübertritt von der Schweiz nach Italien von der italienischen Polizei verhaftet und anschließend wegen Zugehörigkeit zu einer mafiösen Vereinigung zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Antonio N., genannt „Ntoni lo Svizzero“ oder „il cucchiarune“ (der Schwätzer), war laut den Vorinstanzen der Kopf eines größeren Ausland-Ablegers der 'Ndrangheta in Frauenfeld gewesen; Raffaele A. galt als dessen „rechte Hand“. Die 'Ndrangheta ist die wichtigste Abnehmerin der südamerikanischen Drogenkartelle und versorgt halb Europa mit Kokain.

Aber auch mit den Sparten Geldwäsche, Waffenhandel, Prostitution und Glücksspiel machen die Kalabresen erhebliche Gewinne. Pro Jahr setzt die ’Ndrangheta rund 65 Milliarden Euro um – sie ist damit eines der größten „Unternehmen“ Italiens.

Das Kassationsgericht hat nun entschieden, dass der Vorwurf der „mafiösen Vereinigung“ nicht haltbar sei: Antonio N. und Raffaele A. hätten in der Schweiz keinerlei mafia-spezifische Gewalt- und Straftaten begangen. Weder hätten sie in ihrer Wahlheimat Privatpersonen, Politiker oder Unternehmer einzuschüchtern versucht, noch hätten sie mit illegalen Methoden öffentliche Aufträge ergattert oder auf Wahlen Einfluss genommen.

Und schließlich sei bei der Thurgauer Gruppe auch keine „omertà“, keine mafiöse Mauer des Schweigens, festzustellen gewesen. Dies wären aber laut dem italienischen Strafgesetzbuch die Bedingungen, um zu einer Verurteilung wegen „mafiöser Vereinigung“ zu gelangen, betonten die höchsten Richter Italiens in ihrem Urteil. Für die Staatsanwaltschaft bestand dagegen kein Zweifel, dass es sich bei den beiden Männern um Mitglieder der kalabresischen Mafia handle.

Die ’Ndrangheta, hieß es in der Anklageschrift des erstinstanzlichen Verfahrens, habe in der Schweiz „Wurzeln geschlagen“, und die Thurgauer Zelle habe eine „stabile Struktur“ aufgebaut.

Die Beziehungen zu den Bossen in Süditalien seien weiterhin sehr eng geblieben, und alle strategischen Entscheide seien in Kalabrien gefällt worden. Antonio N. und Raffaele A. sind in der Tat eng verwandt mit bekannten und einflussreichen 'Ndrangheta-Familien ihrer italienischen Heimat. Dass die beiden Männer im Thurgau jahrelang ein völlig unauffälliges, diskretes Leben geführt hatten, ist laut italienischen Mafia-Experten ebenfalls ein typisches Merkmal der ’Ndrangheta-Ableger im Ausland.

Eine Zeitenwende für die Mafia?

Und: Bei einem Treffen der Thurgauer Zelle in einem Boccia-Club von Wengi in der Nähe von Frauenfeld, das heimlich von der Polizei gefilmt und 2014 veröffentlicht worden war, war unter anderem auch über Drogenhandel geredet worden. Auch die Rituale des Treffens entsprachen jenen der kriminellen Verwandten in Kalabrien. Nur: Bei diversen Polizei-Razzien konnten bei den Mitgliedern der Zelle nie auch nur ein Gramm Rauschgift oder Waffen sichergestellt werden. Der Rechtsanwalt von Antonio N., Giovanni Vecchio, betonte vor dem Kassationshof dann auch, dass es sich bei den Sitzungen um „normale Familientreffen“ und nicht um mafiöse Zusammenkünfte gehandelt habe.

„Der Kassationshof hat einen historischen Entscheid gefällt“, betont Vecchio. Tatsächlich dürfte das Urteil weitreichende Folgen haben, vor allem bei der Bekämpfung der Ausland-Ableger der Mafia. Denn die Aufgabe der Ausland-Zellen besteht in der Tat nicht in der Einschüchterung ihrer Umgebung, der Infiltration von Unternehmen und Behörden, in der Erschleichung öffentlicher Aufträge oder in der Beeinflussung lokaler Wahlen wie in Italien.

Vielmehr dienen die ausländischen Zellen den Clans als Stützpunkte zur Geldwäsche, also für Investitionen des illegal verdienten Milliardenvermögens in ausländischen Immobilienbesitz oder Unternehmen. Solche Geldflüsse oder andere Machenschaften müssten einwandfrei nachgewiesen werden, betont Anwalt Vecchio. Das sei eine Frage der Rechtsstaatlichkeit.

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