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Wichtiger Moment der Frauenbefreiung in Deutschland: Anni (Marie Hacke, von links), Friedl (Nina Gummich) und Lotte (Alicia von Rittberg) im Bauhaus.

© MDR/UFA Fiction/Stanislav Honzik

100 Jahre Bauhaus: Aufbruch, Umbruch, Abbruch

Gleichberechtigung der Geschlechter? Keine Selbstverständlichkeit, auch im Bauhaus nicht. Film und Dokumentation über Kampf und Kunst der Bauhaus-Frauen.

Tanderadei. 1921, der Krieg ist gerade vorbei. Der Film träumt trotzdem in schwelgenden Bildern. Von Wald, Wasser und Jugendwahn, bevor sich „Lotte am Bauhaus“ an die historischen Schularbeiten, vor allem das Zeigen der Benachteiligung der Frauen, macht.

Zwei Schwestern radeln durch den Wald. Die schwangere von beiden ist scheu, die andere, Lotte Brendel (Alicia von Rittberg), besitzt einen Schatz, den sie nicht verbergen kann: Neugier. Da tobt eine verrückte Schar an den Radlerinnen vorbei zum Fluss: nackt, ausgelassen, einfach jung. Die Sorgenschwester ist indigniert – so laufen doch nur die Sittenlosen vom „Bauhaus“, der neuen Kunstschule in Weimar, herum. Lotte aber wirkt insgeheim begeistert, obwohl sie das nicht sagt. Die Filmbilder verraten es. Sie will sich wie die anderen ihre Kleider ausziehen, sie will frei werden. Sie spürt die Wohltat der Entblößung, sie spürt die neue Zeit. Sie will sie mit Kunst festhalten.

Eine mitreißende Eröffnung für einen mitreißenden Film. Wir sind dabei, wenn die TV-Fiktion einen wichtigen Moment der Frauenbefreiung in Deutschland zurückholt: Die Frauen ergreifen das Recht, sich zu Künstlerinnen ausbilden zu lassen.

Schon in diesen Anfangsszenen verschafft sich die fabelhafte Darstellerin Rittberg, deren Figur Lotte durch die Frauen am Bauhaus inspiriert ist, Respekt durch die Gabe, Entschlossenheit, Ernst und Liebeswürdigkeit zu verbinden.

Die „Bauhaus“-Produzenten Benjamin Benedict und Nico Hofmann, aber auch das Buch (Jan Braren, Grimme-Preis für „Homevideo“), Regisseur Gregor Schnitzler („Soko Leipzig“) und Kameramann Christian Stangassinger wissen, was sie an Rittberg haben: eine Schauspielerin, die sich vom Sujet Geschichte nicht überrennen lässt. Die in ihrem Spiel nie vergisst, was gestern war und was heute überzeugt.

Der Bauhausschüler Paul Seligmann (Noah Saavedra), ein liebenswürdiger und im Umgang mit Frauen wohlerzogener weicher junger Mann, nimmt sich Lottes an. Was nun kommt, funktioniert erst mal nach dem Bauplan der TV-Unterhaltung. Lotte schafft die Zulassung zum Bauhaus, verliebt sich in Paul, bekommt ein Kind. Sie ist strebsam und fleißig.

Lotte und ihr jüdischer Mann können nach Israel emigrieren

Doch sie übersieht, dass die Gleichberechtigung der Geschlechter selbst an einem so dem Fortschritt verpflichteten Institut keine Selbstverständlichkeit ist. Eine Szene aus den Anfangsjahren Lottes am Bauhaus zeigt, wie Männer zu dominieren gewohnt sind. Der Schweizer Johannes Itten (Christoph Letkowski), zum Meister berufen, veranstaltet einen seiner berühmten Vorkurse. Die Anfängerin Lotte soll das Motiv „Krieg“ aufs Zeichenpapier bringen. Erst kapituliert sie vor der Aufgabe, dann füllt sie wie wild vor aller Augen ein Zeichenpapier mit Kringeln, Punkten und kräftigen Strichen. Von wegen alte Meister und Respekterziehung, die weibliche Empörung über den Männerwahnsinn Krieg bricht aus Lotte.

Da steht sie für einen Moment ebenbürtig neben dem beeindruckten Itten, nicht im Schatten eines Mannes, sondern direkt vor dem, was Kunst sein soll. Für Revierkämpfe zwischen Männern und Frauen ist dieser Begeisterten die Zeit eigentlich viel zu schade. Aber die Handlung legt ihr in dieser Richtung unerwartet viele Steine in den Weg. Frauen sollen in die Weberei abgeschoben, den Männern die Werkstattplätze reserviert werden.

Lotte, die begabte Tischlerstochter, entwickelt ein hölzernes Bauspiel, aus dem sich Kinder eine eigene Welt zusammensetzen können, eine Art Lego-Vorläufer. Hersteller sind interessiert, aber der Bauhaus-Leiter Walter Gropius (Jörg Hartmann) drängt Lotte und ihre Mitschülerinnen an die Webstühle. Hartmann spielt melancholisch, hin- und hergerissen in der Frage der Gendergerechtigkeit. Prinzipien auf den Lippen, eigene Karriere im Kopf. Für Frauen wie Lotte kein verlässlicher Unterstützer.

Nach Weimar, in Dessau, geht für die Protagonistin der Weg des Erfolgs nicht ohne berufliche Kränkung weiter. Es ist weniger die Untreue des Ehemannes, die der Künstlerin zu schaffen macht, es ist das Abgehängtwerden als Frau im Beruf. Der künstlerisch deutlich Unbegabtere drängt die Architekturanfängerin Lotte fast aus einem gemeinsamen Projekt.

Das Movie-Schema erdichtet dem fiktiven Paar ein versöhnliches Ende: Lotte und ihr jüdischer Mann Paul können rechtzeitig nach Israel emigrieren.

In der anschließenden Dokumentation von Susanne Radelhof gibt es eine andere Bilanz. Es kommen darin die zu Fiktionen zusammengeflochtenen wichtigen Bauhausfrauen vor. Tragödien spielten sich in der historischen Realität ab. Alma Siedhoff-Buscher erhielt trotz ihres frühen Erfolges mit Kinderspielzeug und Kindermöbeln keine Unterstützung mehr von Gropius. Friedl Dicker, Fotografin, Malerin, Kommunistin, gab noch im KZ Theresienstadt einen Zeichenkurs für Kinder und wurde 46-jährig in Auschwitz vergast.

„Lotte am Bauhaus“, 20 Uhr 15, „Die Bauhausfrauen“, 21 Uhr 45, ARD, Mittwoch

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