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Sind wir unbeobachtet? Pastor Uwe Holmer (Hans-Uwe Bauer, links) und Honecker (Edgar Selge) verlassen das Haus für einen Spaziergang.

© dpa

Als die Honeckers bei Pastors unterkamen: Wir bereuen nicht, wir lernen

„Honecker und der Pastor“: Ein großer ZDF-Film über das Ex-DDR-Herrscherpaar im Fluchtquartier.

Das abgesetzte DDR-Herrscherpaar Erich und Margot Honecker muss 1990 für sechs Wochen in einem evangelikalen Pfarrhaus unterkommen. Gebet kämpft mit Atheismus, Verdrängung mit Reueforderung. „Honecker und der Pastor“ ist großes Fernsehen. Jan Josef Liefers (Regie) und Fred Breinersdorfer (Buch) sowie ein glänzendes Schauspielerensemble lassen den Zuschauer in Diktatorenhirne blicken – die richtige Geschichtslektion mitten im Putin-Wahnsinn.

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Sängerkrieg im Pfarrhaus. Pastor Uwe Holmer (Hans-Uwe Bauer) hat Geburtstag. Seine Familie – Ehefrau und zehnfache Mutter Sigrid Holmer (Steffi Kühnert) und die noch im Haus lebenden Kinder, Kornelius (Ilja Bultmann) und Traugott (Luca Gugolz) – sind zum Kanon angetreten. Es erklingt „Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobet der Name des Herrn!“

Da erscheint das Ehepaar Erich (Edgar Selge) und Margot (Barbara Schnitzler) Honecker, das nun über kein Volk mehr herrscht, und nach dem Rauswurf aus Wandlitz Quartier bei Holmers nehmen musste. Mehr Niedergang als Sonne.

[ „Honecker und der Pastor“, ZDF, Montag, 20 Uhr 15]

Aber noch die verglimmende Glut alter Macht und Herrlichkeit. Honecker schenkt dem Pastor etwas, wonach der sich wohl nie gesehnt hat: all seine in einen Minischober verstauten Reden, die er als Ex-Staatsratsvorsitzender gehalten hat. Lauter ganz kleine Bücher für ganz große Sätze. Damit nicht genug. Der schwer krebskranke Greis hat noch eine Peinlichkeit zu bieten: Nach dem christlichen „Aufgang der Sonne“ stimmt er das FDJ-Lied „Wir sind überall auf der Erde“ an: „Leucht' roter Stern und gib mir Mut“ heißt es darin.

Vielleicht, denkt man da, hat Regisseur Liefers eine schwarze Komödie vorgeschwebt. Ein ironisches Requiem mit viel Musik und mildem Spott über Altersentrückung. Einmal lässt der Regisseur Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ aus dem Zimmer des aufmüpfigen Pfarrersohns Traugott hören, aber der Film hat keinen Platz für Rockerulk.

Drehbuch von Fred Breinersdorfer

Das aus einem Buch und Gesprächen mit dem heute 93-jährigen Pastor entstandene Skript von Altmeister Fred Breinersdorfer („Sophie Scholl – die letzten Tage“) zwingt diesem Film eine ernste Grundtönung auf, zu desaströs sind die Aussagen des Paares am Ende ihres Lebensweges .

Maueropfer? Die Leute wussten doch vom Risiko. Überwachungsstaat? Stasi? Ein guter Sozialist braucht keine Überwachung. Gorbatschow? Der war ein Agent des Westens. Der hat die Konterrevolution losgetreten. Der verschwiegene Tod der dreijährigen Lieblingsenkelin? Das war nichts für die Öffentlichkeit. Warum soll der Mensch Schwäche zeigen? Fehler bereuen? Wir bereuen nicht, wir lernen.

Schon, als die Honeckers zum ersten Mal an der Tür des Pfarrhauses klingeln und die Kamera (glänzend: Ralf Noack, Szenenbild: Frank Polosek, Kostüm: Lucie Bates) von unten das obdachlose Paar erfasst, wird klar: ernste Oper ohne Udo. Da steht der steinerne Gast, aus „Don Giovanni“, der seine Frau mitgebracht hat.

Glänzendes Ensemble

Das ist der Moment, an dem die glänzende Leistung des Ensembles sichtbar wird. Selge (73) schlüpft in die Physis eines von Misstrauen verbogenen Achtzigjährigen. Nicht nur in dessen Körper, sondern auch in dessen belastete Seele.

Da zieht Ulbrichts Mauerbauhelfer den Hut. Der DDR-Kronprinz aus dem Saarland, der zehn Jahre unter den Nazis im Gefängnis saß, der in dritter Ehe – entgegen dem neidisch-spießigen Genossen-Comment – die zwölf Jahre jüngere attraktive Margot heiratete und zur Volksbildungsministerin machte.

Die Kamera geht in die Knie. Honecker bleibt höflich, aber zu Kreuze kriechen wird er nicht. Die Gäste üben sich in Distanzwahrung. „Wir pflegen beim Essen zu beten“, mahnt der Pfarrer. „Das stört uns nicht“, patzt der Ex-DDR-Chef zurück.

Das Paar wird das Zimmer des jüngsten Pfarrerkindes bewohnen. Zwei zusammen geschobene Betten laden zum ehelichen Lager. Honecker trennt sogleich, was nicht zusammengehören soll und schiebt seine Liegestatt unter die Dachschräge. Der alte Fuchs braucht seinen Bau, besonders hier im gefährlichen Schattenreich der Gottesgläubigkeit mit seinen missionarischen Jägern.

Diktatorenleben

Bescheiden soll es wirken, wenn Margot nach einem Schnapsglas fragt und nach einer Zitrone. Ihr Mann achte sehr auf seinen Körper, sagt sie. Das Diktatorenleben lehrt körperliche Kondition, immer vorwärts, rückwärts nimmer.

Breinersdorfer erspart dem Logierbesuch keine der Fragen nach Moral. Hätten Sie auf Demonstranten schießen lassen, fragt die Pastorenfrau. Was hätten Sie denn getan? erwidert Margot. Meterdick erscheint die Lederhaut, wenn Barbara Schnitzler (Tochter aus zweiter Ehe des DDR-Fernsehpropagandisten Karl-Eduard von Schnitzler) Margot spielt.

Als machtbewusste ehrgeizige Frau, aber auch mit überraschenden Resten von Erinnerungen an ein schlimmes Schicksal. Margot hilft der Pastorenfrau (Kühnert, eine Schauspielerin, die glaubhaft darstellt, wie ihr Glaube zu zerbrechen droht) beim Abwasch. Sie habe das doch als Ministerin nie selbst tun müssen „Mein Vater war im KZ und im Zuchthaus. Als ich 13 war, starb meine Mutter. Da musste ich meinen kleinen Bruder versorgen. Da lernt man Haushalt.“

Das ist die gleiche Frau, die behauptet, die DDR sei eine Familie gewesen. In den geschlossenen Jugendwerkhöfen für auffällige Jugendliche habe es keine Brutalität gegeben und viele hätten dort „ihre Linie wiedergefunden“ und seien dafür dankbar gewesen. Eine von Breinersdorfer glaubhaft rekonstruierte TV-Sendung entlarvt Margots Lüge.

Alle verlieren

Am Ende dieses Trauerspiels haben alle verloren. Die Heimholungsaktion der Atheisten durch die Kirche ist ebenso gescheitert wie die Hoffnung auf ein Ende des autistischen Selbstbelügens der Mächtigen. Die Szene ist kahl.

Eine Christusstatue, die eigentlich in der Bodelschwinghschen Anstalt von Lobetal steht, wo aber aus Gründen des Patientenschutzes nicht gefilmt werden sollte, haben die Macher durch optische Tricks auf eine Wiese verpflanzt. Der Gottessohn blickt nun einsam in eine idyllische Ferne. Honecker und der Pfarrer ziehen spazierengehend an dem umplatzierten Heiland vorbei. Rechthaberisch der eine, kopfschüttelnd der andere.

Der Protest gegen die Beherbergung wird lauter. Die Honeckers schleichen wie Gespenster im Pfarrhaus herum und lugen durch die geschlossenen Vorhänge. Sie empfinden kein Verständnis für die Demonstranten und sehen einfach zu, wie ihre Gastgeber den Aufruhr zu beruhigen versuchen.

Der Krebskranke stirbt in Chile

Am Ende, als die unverbesserlichen Machtautisten abziehen, gibt Honecker Pastor Holmer den unter Ostblockpotentaten üblichen innigen Kuss. Eine mechanische, eine einverleibende Geste, von Achtung vor dem Anderen und den Grenzen des Respekts wird er nie mehr etwas begreifen. Haftverschont stirbt der Krebskranke am 29. Mai 1994 in Chile.

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