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Kiri Häm, Influencerin aus Köln, erzählt von ihren Gefühlen bei ihrem Coming-out.

© Tobias Winkel/Spiegel TV

Arte-Reihe „Naked“: Neuvermessung der geschlechtlichen Identität

Warum bestimmt das Geschlecht über unser ganzes Leben? Das ergründet eine sechsteilige TV-Dokumentation.

Es gibt aktuell wenig andere Themen, die Menschen so bewegen wie die Debatten um Geschlechter und Identitäten. Das haben auch Jobst Knigge, Cristina Trebbi und Susanne Utzt so empfunden, die Regisseure der sechsteiligen Arte-Dokureihe „Naked“. Sie wird Anfang November im linearen Programm ausgestrahlt, kann aber bereits von Montag an komplett über die Arte-Mediathek abgerufen werden.

„Die Arbeit an diesem Sechsteiler hat uns über zwei Jahre wie kein Film zuvor beschäftigt. Wir haben Bücher verschlungen und mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gesprochen. Mehr als 80 Interviews geführt. Etwa 250 Tage an den Filmen geschnitten“, schreiben die drei Macher der Reihe, die für „Naked“ sprichwörtlich einmal um die Welt gereist sind, von Kanada nach Mexiko, von Schweden nach Spanien, von Israel nach Ruanda bis nach Indien und Japan, in ihren Produktionsnotizen.

Angetrieben wurden Knigge, Trebbi und Utzt nicht zuletzt dadurch, dass sie das Thema als sehr persönlich begriffen. „Was ist eine Frau? Was ist ein Mann? Was, wenn man sich nicht einsortieren will? Und warum bestimmt unser Geschlecht eigentlich über unser ganzes Leben?“, das waren einige der Fragen, die sie stellten. „Wir haben diskutiert, auch gestritten, waren manchmal auf der Suche nach den nackten Tatsachen verwirrt und haben oft unsere Meinung geändert.“

Die nackten Tatsachen waren es auch, die der Reihe den Namen „Naked“ gaben. Wobei es bei diesem Thema schwerfällt, von Tatsachen zu sprechen. Jeder der befragten Experten beansprucht für sich, dass seine Ansichten auf wissenschaftlichen Fakten beruhen.

Das wird bereits im ersten Teil „Ungleich geboren“ deutlich. Sind die Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen angeboren oder anerzogen? Handelt es sich um Natur oder Kultur, dass Jungen Ballspiele und Mädchen Puppen zugeschrieben werden?

Nicht unumstritten: der schwedische Egalia-Kindergarten

In einem schwedischen Kindergarten wird versucht, Kinder ohne jeden Bezug auf das Geschlecht zu erziehen. Die Kinder sollen alle Rollen ausprobieren können. Ein Psychiater hält dagegen, er spricht von Überkorrektur und sagt, so etwas werde für extremistische Eltern gemacht, nicht zum Wohl der Kinder.

Die überraschendste Erkenntnis aus den vielen Gesprächen war für Regisseurin Cristina Trebbi, dass die Frage nach „Mann & Frau“ derart provoziert. „Wir befanden uns plötzlich mitten in einer sehr hitzigen Diskussion, angeführt von der LGBTQ* Bewegung mit Aussagen: es gibt kein Geschlecht oder es gibt ganz viele. Wir mussten darauf reagieren und nicht nur die Frage stellen: gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern, sondern: gibt es Geschlecht überhaupt?“. 

Die Großfamilie als Alternative zum Mutter-Vater-Kind-Modell: Familie Zarate in Oaxaca, Mexiko, macht es vor.

© Ontario Inc.

Ihre Kollegin Susanne Utzt warnt wiederum davor, „dass wir im Westen zu einseitig auf Mädchenförderung fokussieren.“ Das sei historisch verständlich, aber für die Zukunft schwierig. „Denn Abgehängte werden oft zu einem Problem – für die Gesellschaft aber auch für den Frieden zwischen den Geschlechtern.“

Auch Regisseur Jobst Knigge hatte seine Aha-Erlebnisse, die sein persönliches Denken über dieses Thema verändert haben. Vorher habe er immer sehr viel klarer gesagt: Nein, es gibt ganz klar Unterschiede zwischen Jungs und Mädchen. „Um dann festzustellen: Es ist eben alles nicht so einfach.“

Die sechs Episoden der Reihe folgen dem Lebenszyklus des Menschen, von Geburt und Kindheit über Pubertät und das Leben als Erwachsener bis ins höhere Alter. Die Rollenproblematik bekommt weiteren Schub, wenn man eine Familie hat, aus Mann und Frau zusätzlich Väter und Mütter werden. Und nun neue Fragen zur Aufgabenverteilung zu klären sind.

Wie unterschiedlich die Modelle sein können, zeigen die Besuche bei unterschiedlichen Familien. Von der „klassischen“ Mutter-Vater-Kind-Familie in Kanada, über ein Transpaar mit Kinderwunsch in den USA, einer Familie mit zwei homosexuellen Vätern und fünf Kindern in Israel und einer Großfamilie in Mexiko.

Je tiefer die Dokumentarfilmer in das Thema eintauchen, desto komplexer wird es: Cisgender, pangender, trigender, agender, es mangelt nicht an Begrifflichkeiten. Ist das die Zukunft? Befinden sich die Menschen auf dem Weg in eine Welt, in der die Grenzen von Männlichkeit und Weiblichkeit fließend sind? Am Ende sind es mehr ungeklärte Fragen als fixe Antworten, die die drei Regisseure zusammengetragen haben.

„Naked“, sechsteilige Dokumentationsreihe, ab 17. 10. in der Arte-Mediathek, am 2., 3. und 4. November im linearen Arte-Programm.

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