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In den Schlagzeilen ist die Katastrophe in Japan weltweit. An einem Kiosk im brasilianischen Sao Paulo informiert sich ein Leser über die Entwicklungen. Foto: Imago

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Japan und die Medien: Atome und Artikel

Panisch, gelassen, selbstsicher: Die Berichterstattung über Fukushima ist weltweit gespalten. Während sich die US-Medien vertrauensvoll an die Atomlobby wenden, hat Russland aus Tschernobyl gelernt. Tagesspiegel-Korrespondenten berichten.

Weltweit berichten Medien über das Erdbeben in Japan und den Unfall im Atomkraftwerk Fukushima. Doch die Akzentuierungen sind sehr unterschiedlich. Ob sich Zeitungen und Fernsehen dem Thema panisch oder eher gelassen widmen, hängt offenbar davon ab, wie stark die Atomkraft gefördert wird und welche Haltung die Bürger des Landes jeweils dazu haben.

USA: Neugier statt Misstrauen

Amerikas Medien konzentrierten sich anfangs auf das außergewöhnliche Ausmaß der Zerstörung durch Erdbeben und Tsunami. Erst am Montag danach, deutlich später als in Deutschland, rückte die gefährliche Entwicklung in den Atomreaktoren ins Zentrum. Lange blieben die Fernsehsendungen über den Kampf gegen die drohende Kernschmelze hoffnungsvoll. Auch nach den ersten Explosionen war selten von einem GAU die Rede. Gäste der Sondersendungen sind Atomexperten und Ingenieure, die selbst einmal US-Reaktoren desselben Bautyps wie in Fukushima geleitet haben. Ihre Schilderungen quittieren die Moderatoren eher mit Neugier als mit Misstrauen gegen eine Branche, die die Gefahren womöglich verharmlost.

Zeitungen und Rundfunksender vermitteln das Gefühl, dass ihre Experten bei der Informationsgewinnung und der Verhinderung eines GAU an vorderster Front dabei seien. Sie versichern auch, dass den Bewohnern der USA, selbst bei einer „Worst case“-Entwicklung in Japan, wegen der großen Entfernung keine gesundheitlichen Schäden drohen.

Vor dem Unglück befürworteten mehr als 70 Prozent der Bürger die Atomenergie; 66 Prozent unterstützten den von Präsident Barack Obama geplanten Bau neuer Kernkraftwerke. Diese Werte sind unter dem Eindruck der Bilder aus Japan gefallen. Christoph von Marschall, Washington

Russland: Aus Tschernobyl gelernt

Russische Zeitungen konzentrieren sich vor allem auf die Folgen einer nuklearen Verseuchung für die eigenen Gebiete im Fernen Osten. Auch die sonst auf Innenpolitik fixierten Fernseh- und Hörfunksender – staatsnahe wie unabhängige – machen mit den Entwicklungen in Japan seit einer Woche auf. Diese wie jene bemühen sich dabei um eine objektive Darstellung, der Ton von Kommentaren ist weitgehend neutral und unaufgeregt. Print- und elektronische Medien werfen Japans Regierung allerdings vor, die Öffentlichkeit unzureichend und mit Verspätung zu informieren, kritische Medien ziehen dabei Parallelen zur sowjetischen Informationspolitik nach der Katastrophe von Tschernobyl im April 1986.

In Sondersendungen kommen Experten zu Wort: staatsnahe wie kritische, Gegner wie Befürworter von Atomkraft. Anders als in Deutschland wird die Atomenergie als solche hier nicht verteufelt. Dass die Welt in absehbarer Zeit keine Alternative hat, ist die überwiegende Meinung. Staatsnahe Medien legen bei ihrer Berichterstattung Wert auf die Feststellung, dass Russland aus Tschernobyl gelernt hat. In Berichten und Kommentaren von Experten geht es auch um die Sicherheit russischer Kernkraftwerke. Betont wird, das Reaktoren derzeit die weltweit einzigen mit einem Schutzsystem seien, das auch starke Beben überstehe und Schmelzen des Reaktorkerns verhindern könne. Elke Windisch, Moskau

China: Keine Diskussionen

Auch in China schauen die Menschen gebannt auf die Katastrophe in Japan und werden durch die staatlich gelenkte Presse ausführlich informiert. Das Fernsehen berichtet in regelmäßigen Abständen über die neusten Entwicklungen. Tageszeitungen informieren auf umfangreichen Sonderseiten. Zahlreiche chinesische Journalisten sind im Nachbarland vor Ort.

China, selbst geplagt von zahlreichen Erdbeben, zeigt sich solidarisch mit den Opfern von Erdbeben und Tsunami. Doch wie man die Atomkrise und deren Folgen einordnen soll, da ist sich die Staatspresse scheinbar unsicher. Trotz der aufwendigen Berichterstattung werden zentrale Fragen bisher weitgehend ausgeklammert: Welche Folgen könnte die nukleare Katastrophe in Japan für die eigene Bevölkerung haben? Sind unsere Reaktoren sicher? Erfolgreich hat Pekings Propagandaapparat Atomkraft zur „grünen“ Energiequelle erklärt. Ein Image, das man nur ungern aufgeben möchte.

Atomkraftgegner sind in China rar. Sicherheitsdebatten finden nur unter Experten statt. Zwar gab die Regierung am Mittwoch bekannt, vorerst alle Genehmigungsverfahren für neue Atomkraftwerke wegen der Vorfälle in Japan zu stoppen: dauerhaft will man jedoch nicht auf den erst jüngst beschlossenen Ausbau der Atomenergie verzichten. Eine öffentliche Debatte über die Sicherheit der Meiler soll deshalb offenbar vermieden werden.

Auf Dauer dürfte dieser Kurs allerdings nicht aufrechtzuerhalten sein. Angesichts der sich zuspitzenden Lage im Kernkraftwerk Fukushima 1 steigen auch die Sorgen der Menschen in China. In Teilen des Landes kam es am Donnerstag zu Panikkäufen von Salz, im Glauben das darin enthaltene Jod könne vor radioaktiver Strahlung schützen. Peer Junker, Peking

Frankreich: Das Undenkbare denken

Der Riss, der in Frankreichs Politik und Gesellschaft die Befürworter und Gegner der zivilen Atomkraft trennt, spiegelt sich in den Medien wider. Die Berichterstattung über die Ereignisse im Katastrophengebiet beruht weitgehend auf den von den Nachrichtenagenturen übermittelten Fakten, den Eindrücken und Augenzeugenberichten der in Japan arbeitenden Korrespondenten. In den Analysen und Kommentaren der Redaktionen haben je nach politischer Präferenz die Argumente pro oder contra Atomkraft Vorrang.

Dabei ist es kein Wunder, dass in einem Land, dessen Stromversorgung zu fast 80 Prozent aus Atommeilern gespeist wird, kritische Stimmen kaum Gehör finden. So wurde die Forderung der Grünen nach einer Debatte mit anschließendem Referendum, die auch die linksliberale Zeitung „Libération“ vertrat, von der rechten Regierung sofort als „unwürdig“ angesichts der Katastrophe in Japan abgekanzelt. Der regierungsnahe „Le Figaro“ ließ keinen Zweifel an der Sicherheit der Atomkraftwerke Frankreichs aufkommen. Als sich die Lage in Fukushima verschlimmerte, lobte sie aber doch den Beschluss der Regierung, alle französischen Anlagen überprüfen zu lassen. Die zivile Atomkraft zu beerdigen, sei noch zu früh, meinte „Le Monde“.

Doch das angesehene Blatt hielt der französischen Atomlobby vor, an zwei „Übeln“ zu leiden – „einer Art technischer Arroganz und einer armseligen Sorge um Transparenz gegenüber der öffentlichen Meinung“. Die Nuklearingenieure versicherten zwar, dass es ein Nullrisiko nicht gebe. Doch ihre Berechnungen endeten stets mit dem Ergebnis, dass ihre Industrie die sicherste der Welt sei. Doch „Le Monde“ entgegnete entschieden, dass das Drama von Fukushima sie dazu zwingen müsse, „das Undenkbare zu denken“. Hans-Hagen Bremer, Paris

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