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Mit seiner Rede vor dem Hamburger Übersse-Club hat WDR-Intendant Tom Buhrow die Diskussion über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk angeheizt.

© dpa / Oliver Berg

Debatte zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Mehr digitale Offenheit wagen

Warum Mediatheken und Angebote wie „Funk“ nur ein erster Schritt sein können und es mehr Experimentier- und Kooperationsbereitschaft braucht.

Von
  • Leonhard Dobusch
  • Jan-Hendrik Passoth

Kaum war der Medienstaatsvertrag unterzeichnet, begann die öffentliche Diskussion über eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland von vorn. Erst brachte Florian Herrmann, Leiter der Bayerischen Staatskanzlei „eine Art Herrenchiemseer Konvent“ zur Neubegründung der öffentlich-rechtlichen Idee ins Spiel.

Wenig später überlegte der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow laut als Privatperson im Hamburger Übersee-Club, ob man nicht an einem Runden Tisch Finanzierung, Auftrag und Organisation für einen „neuen, gemeinnützigen Rundfunk“ besprechen sollte. Schließlich endete die Woche mit einer fulminanten Sendung des „ZDF Magazin Royale“ zum Zustand des öffentlich-rechtlichen Systems.

Das alles passierte, während Massenentlassungen, Umstrukturierungen und Monetarisierungsdruck zeigten, was es bedeutet, wenn eine zentrale Kommunikationsinfrastruktur wie Twitter eben kein öffentliches oder am Gemeinwohl orientiertes Gut ist, sondern zwischen den Launen eines neuen Eigentümers und volatilen Marktkräften hin und hergeschleudert wird.

An Aufrufen zu einer Neuaufstellung öffentlich-rechtlicher Angebote im digitalen Zeitalter mangelt es also ebenso wenig, wie an entsprechender Dringlichkeit. Sobald es allerdings konkret wird, zeigt sich wenig neues und viele altes Denken. Die Frage, ob Deutschland zwei bundesweite Fernsehsender benötigt, hat so viele Jahre auf dem Buckel wie das ZDF selbst.

Überhaupt kaum eine Spur von mutigem digitalem Aufbruch, sondern das immer gleiche Lied vom „Sparen, Streichen, Verschlanken, Fusionieren“, wie es Harald Staun in der FAS auf den Punkt brachte. Dabei seien das Problem nicht die Gebühren, sondern was das Publikum, man sollte ergänzen: die Gesellschaft, dafür bekomme.

Genau an dieser Stelle wollen wir mit konkreten Vorschlägen für „Digitalen Public Value“ anknüpfen. Denn wenn es eine Zukunftsaufgabe für die öffentlich-rechtliche Idee – Staatsferne, Marktferne, beteiligungsorientierte Aufsicht– gibt, dann ist es die Entwicklung, Bereitstellung und der Betrieb an Gemeinwohl orientierter, digitaler Kommunikationsinfrastruktur. Mediatheken und Digitalangebote der öffentlich-rechtlichen Sender sind hier ein wichtiger und inzwischen auch reichweitenstarker, aber trotzdem nur erster Schritt.

Digitaler Public Value bedeutet Angebote zu schaffen, die sich klar von jenen kommerzieller Betreiber unterscheiden – und zwar was die Inhalte, deren Erstellung und deren Verbreitung betrifft.

Im Bereich der Inhalte weist Funk, das gemeinsame Jugendangebot von ARD und ZDF, bereits den Weg. Viele neue Formate und viele Experimente, jeweils angepasst an Ausspielplattformen, mit dem Anspruch, Inhalte zu liefern, die der Markt nicht oder unzureichend oder einseitig bereitstellt.

Gemeinsames Angebot bedeutet allerdings nicht Fusion, sondern vergleichsweise agile Kooperation von Redaktionen aus verschiedenen ARD-Anstalten, dem ZDF sowie externen Partnern. Mit diesem Ansatz konnte Funk beweisen, dass öffentlich-rechtliche Medien auch im härtesten Wettbewerbsumfeld digitaler Plattformen junge Zielgruppen mit öffentlich-rechtlichen Inhalten erreichen können. Dass das „Prinzip Funk“ mittlerweile auch bei der Erstellung digitaler Inhalte der Anstalten Schule gemacht hat, zeigt, wie wichtig Experimentier- und Kooperationsbereitschaft waren und sind.

Öffnung der Angebote in drei Schritten

Was Funk allerdings auch nicht leisten kann, ist im Sinne der Verbreitung eine alternative Kommunikationsinfrastruktur zu den dominanten, kommerziellen Plattformen anzubieten. Dafür bräuchte es eine gleich dreifache Öffnung der öffentlich-rechtlichen Angebote wie der Mediatheken:

  • Erstens, eine Öffnung der Software hin zu gemeinsamer und transparenter Entwicklung auf Basis von Open-Source-Software, offenen Standards und offenen Protokollen. Konsequent umgesetzt würde das nahtlos zu grenzüberschreitender Zusammenarbeit mit anderen öffentlich-rechtlichen Medien in Europa einladen.
  • Zweitens, eine Öffnung für Interaktion mit dem Publikum und gesellschaftliche Teilhabe. Die aktuelle Situation, dass öffentlich-rechtliche Inhalte nur auf privaten Plattformen wie YouTube oder Instagram kommentiert und geliked werden können, steht im eklatanten Widerspruch zum Auftrag, demokratische Meinungsbildungsprozesse zu fördern. Und dass die Teilhabe an Programmgestaltung und Aufsicht im Rahmen der bestehenden Gremienstrukturen nur für sehr wenige und ausgewählte Akteure und Gruppen möglich ist, ist angesichts aktueller digitaler Beteiligungsmöglichkeiten kaum haltbar.
  • Drittens braucht es eine Öffnung der Mediatheken für nutzergenerierte Inhalte und andere gemeinnützige Medienangebote – von Universitäten über Museen bis hin zu Blogs und Podcasts. Warum gibt es nicht längst eine ARD-Podcast-App, mit der sich auch andere Podcasts abonnieren lassen?

Das Beste an diesen Vorschlägen: es handelt sich dabei nicht um Utopien, sondern um technisch und ökonomisch realistische Optionen. Denn die Schritte dahin werden in den Anstalten und in Kooperationen zwischen ihnen und ihren europäischen Partnern längst gegangen.

ARD und ZDF kooperieren bei Basistechnologien wie Login und Suche, die ZDF Empfehlungsalgorithmen sind seit kurzen öffentlich zugänglich und einsehbar und eine ganze Reihe der Austauschformate zwischen den verschiedenen in der European Broadcasting Union organisierten öffentlich-rechtlichen Anstalten arbeiten auf der Grundlage offener Standards und Technologien. Und in den Anstalten wird längst nicht nur mehr darüber nachgedacht, wie nicht nur auf der Ebene der Inhalte, sondern auf jener der Technologien und ihrer Entwicklung eine Orientierung an Public Value – also etwa an Vielfalt oder Teilhabe – erreicht werden kann.

In dieser ereignisreichen Woche für die Debatte um die Gegenwart und Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist schließlich noch etwas anderes passiert. Die Unzufriedenheit mit den laufenden und kommenden Veränderungen bei Twitter hat der Alternative Mastodon enormen Zulauf beschert. Aber Mastodon ist nicht einfach nur Twitter mit schlechteren Wortspielen – Tweets heißen dort „Tröts“. Denn Mastodon basiert auf Open Source und dem offenen, dezentralen ActivityPub-Standard.

Warum kein öffentlich-rechtlicher Mastodon-Server?

Das allein ist noch nicht bemerkenswert, schließlich basiert auch Truth Social, die Plattform der Trump Media & Technology Group auf dem für alle zugänglichen Quellcode von Mastodon und Soapbox. Bemerkenswert ist, dass sich für die vielen Wechselwilligen die Frage, in wessen Händen zentrale Kommunikationsinfrastrukturen liegen sollen und nach welchen Regeln Teilhabe und Nutzung beruhen, mit der Auswahl eines vertrauenswürdigen Serverbetreibers ganz praktisch und explizit stellte.

Von den Öffentlich-rechtlichen ist aber bislang nur Jan Böhmermann mit eigenen Servern bei Mastodon am Start. Dabei würde der dezentrale Ansatz Mastodons gut zur rundfunkföderalistischen Struktur in Deutschland und Europa passen. Gleichzeitig könnten öffentlich-rechtliche Server Einstiegsbarrieren senken.

Marktferne und Staatsferne, beteiligungsorientierte und demokratisch organisierte Regelsetzung und Aufsicht, das wäre doch eine Idee für dezentrale Elemente einer digitalen Kommunikationsinfrastruktur der Zukunft. Was es jetzt noch fehlt, ist der Mut dieses Mehr an digitaler Offenheit auch tatsächlich zu wagen.

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