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Tom Buhrow, ARD-Vorsitzender und WDR-Intendant, hat sich für eine große Rundfunk-Reform und einen neuen Gesellschaftsvertrag für die Öffentlich-Rechtlichen ausgesprochen.

© Foto: dpa/Henning Kaiser

Der RBB-Skandal und die Gremien: Kontrollverlust

Aber eine positive Konsequenz gibt es denn doch: Der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow holt zum reformatorischen Schlag aus

Von Norbert Schneider

Nichts fällt Medienbeobachtern, kompetenten ebenso wie ahnungslosen, leichter, als Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu üben. Es ist wie bei er Bahn: irgendein Zug ist immer zu spät, irgendein Redakteur greift immer daneben, irgendein Moderator (wobei Moderatoren ja nicht irgendwer sind) verliert immer den Faden. Ein blöder Satz reicht für jede Art von Erregung. Doch so ist das nun einmal bei Einrichtungen dieser Größe, mit so vielen Mitarbeitern und so vielen Produkten, mit soviel Geld.

Und nicht zuletzt: mit einer großen gesellschaftlichen Macht. Sie stehen unter ständiger Beobachtung und erzeugen permanente Aufmerksamkeit. Nahezu jedes Fehlverhalten erzeugt einen Aufschrei, kein Tritt in ein Fettnäpfchen, der von den Empörikern nicht alsbald zum Skandal hochgeschrieben würde. Aber hat sich deshalb irgendwann irgendetwas geändert? Der stete Tropfen höhlte keinen anstößigen Stein.

Ein tiefer Abgrund namens RBB

Doch nun scheint Bewegung in die Rundfunkkritik zu kommen.  Denn es gibt nun den RBB-Skandal.  Unter dem Himmel von Berlin tat sich von heute auf morgen ein täglich tiefer werdender Abgrund auf, aus dem Begünstigungen, Privilegien, Personalintrigen, De-Luxe-Verträge, Durchstechereien und schließlich auch als Haube auf der Sahne italienisches Parkett und ein Massagesitz im privaten Dienstfahrzeug der Intendantin ans Tageslicht gehoben wurden. Der Ablauf dieses Skandals erinnerte in seiner Dramaturgie an TV-Serien: jeden Tag eine neue Folge, in jeder Folge ein neuer Hauptdarsteller, und jedes Drehbuch mit einer neuen Überraschung. Zwar wurden dem Führungspersonal des rbb– wofür es durchaus Anlässe gegeben hätte - keine publizistischen Schieflagen vorgehalten (wie etwa beim NDR), keine politische Schlagseite, allenfalls Sparsamkeit am falschen Platz (worüber man endlos streiten kann, was denn der richtige wäre). Von einer rundfunkspezifischen Inkompetenz der Hierarchie jedoch war bisher nicht die Rede.

Geldgier und Allmachtsgebaren

Doch es reichte völlig, dass die Hausspitze in einem Selbstversuch sich ihrer Programm-Devise auch jenseits des Programms hingegeben hat: bloß nicht langweilen! Und dies, obwohl nichts davon unterhaltsam war: nicht die Geldgier, nicht das unverschämte und unverhohlene Allmachtsgebaren, nicht die Belege einer erbärmlichen Eitelkeit. Auch wenn man dafür am Ende nicht ins Gefängnis muss, auch wenn man daran zweifeln darf, dass alle Verfehlungen rechtliche Konsequenzen haben werden. Auch wenn es inzwischen Rücktritte gab und Köpfe gerollt sind -  solche menschlichen Schwächen sind unerträglich. Sie verhöhnen und beschädigen das Image einer gesellschaftlichen Institution der publizistischen „Grundversorgung“. Sie verdunkeln die Zukunft einer Einrichtung, der das Bundesverfassungsgericht schon früh die Aufgabe zugewiesen hat, „Medium und Faktor der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung“ zu sein.

Und doch hat auch dieser Skandal sein Gutes. So wenig jemand ein solches Schauspiel zwischen Tragödie und Farce für möglich gehalten hätte, so wenig war zu erwarten, dass dieser Skandal nahezu über Nacht eine Debatte über die Notwendigkeit einer Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auslösen würde. Dies ist nun geschehen und umso erstaunlicher, als die Kritik an den Vorgängen im rbb gar nicht primär dem System „Rundfunk“ gilt.

Denn skandalös ist ein Bündel an Fehlverhalten, wie man es in allen schlecht geführten Großbetrieben beobachten kann, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: wenn die Hierarche selbstherrlich und selbstgefällig agiert, wenn die Verfahren für Entscheidungen überwiegend intransparent sind, und wenn die Kontrolle finanzieller Vorgänge nicht von mindestens vier Augen angesehen wird. Oder ist das alles eben doch auch rundfunkspezifisch, begünstigt durch die besonderen Voraussetzungen, unter denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk arbeitet?

Es war kein Geringerer als der gegenwärtige aktuelle ARD-Vorsitzende Tom Buhrow, der, als Reaktion auf den RBB-Skandal, vor dem Hamburger Überseeclub zu einem nahezu reformatorischen Rundumschlag ausgeholt hat. Es müsse ein Ende haben mit Tabus und Denkverboten, alles müsse auf den in solchen Ruck-Reden unvermeidlichen Prüfstand, die Zahl der Anstalten, die Frage, ob es zwei Systeme, ADR und ZDF geben müsse usw.usf. „Wir brauchen“, so Buhrow,“ einen runden Tisch, der einen neuen Gesellschaftsvertrag ausarbeitet. Eine Art verfassungsgebende Versammlung für unseren neuen gemeinnützigen Rundfunk“.

Neu an diesen Postulaten, die alles sein wollen, nur nicht eine Nummer zu klein, ist gleichwohl nahezu kaum etwas. Neu ist allenfalls, dass immer wieder vorgebrachte Punkte von Buhrow in einer einzigen Rede zusammengefasst werden. Dabei ist ein Vorschlag wie der einer „verfassungsgebenden Versammlung“ nur die Zuspitzung einer Forderung der Weizsäcker-Kommission aus dem Jahr 1994, einen Medienrat einzurichten.  Die Fusionsdebatte war nach der Wende 1989 aufgeflammt, hätte fast zu einem NDR unter Einschluß von Berlin geführt, ist aber, weil die Länder das nicht wollten, rasch wieder ins sich zusammengefallen. Das Ende der kleinen Sender ist ein Debattenjährling, seit es diese Sender gibt. Eine Überversorgung ist seit Jahren ein Lieblingsthema der Fundamentalkritiker. Es ist zwar eine bemerkenswerte Tat, wenn Buhrow das alles nun noch einmal auf den Punkt bringt. Und es ist auch ein Aufreger in einer reformresistenten Szene. Aber er wird damit solange kaum etwas bewegen, als er den föderalen Faktor ignoriert. Es sind nun einmal die Länder, die die Kulturhoheit und die „ihre“ Sender haben und behalten wollen. Es fällt auf, dass Buhrow seine Forderungen an niemanden adressiert. Warum sollte er auch seine Gegenspieler namentlich benennen?  

Noch ist der Skandal im RBB nicht ausgestanden.

© imago/Schöning / Foto: imago stock&people

Im Ganzen gilt auch für diese Rede: qui nimis postulat nihil postulat. Wer zuviel fordert, bekommt am Ende nichts. Weniger wäre mehr gewesen,  gerade im Kontext des RBB-Skandals. Weniger, doch vielleicht erfolgreicher wäre es, sich an die Beseitigung einer bestimmten und klar bestimmbaren Schwäche zu trauen, die die Ursache für viele Fehler ist, die aber hinter der moralisch grundierten Empörung inzwischen fast verschwunden ist. Die eigentliche, die rundfunkspezifische Schwäche ist das Verhalten, genauer: das Nicht-Verhalten der Aufsicht. Man hat zwar schon früh, nicht zuletzt, weil das Fehlverhalten personalisierbar war, organisiertes Organversagen festgestellt. Doch dem ersten Satz folgte kein zweiter. Ob die Behauptung, dass die Aufsichtsgremien die Interessen der Allgemeinheit vertreten, sich nicht als eine Illusion erwiesen hat, hat niemand thematisiert.

Doch die Ursache des Skandals des RBB ist nicht das individuelle Fehlverhalten, sind nicht charakterliche Mängel der Hausspitze, sondern das kollektive Versagen derer, die diese Machenschaften hätten verhindern sollen. Die Gremien haben kein Gesetz gebrochen. Sie haben sich nicht bereichert. Sie haben (vermutlich) nicht intrigiert. Sie haben keine Sitzungen ausfallen lassen. Sie haben sich nicht bestechen lassen. Nein, sie waren einfach nur schwach aufgrund ihrer Schwäche. Sie haben einfach nichts getan, weil sie nicht wussten, was. Aber hätten sie wirklich etwas tun können?

Die Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehören zum Kernbestand dieses einmaligen Systems, in dem die Gesellschaft sich im Rundfunk selbst veranstaltet. Um diesen Bezug zwischen Gesellschaft und Rundfunk sicher zu stellen, sind für die Kontrolle der publizistischen Sachverhalte Rundfunk-und Fernsehräte eingerichtet worden, für die finanziellen Fragen Verwaltungsräte. Alle wichtigen Gruppen und Kräfte der Gesellschaft sollten diese Kontrolle kollektiv ausüben.

Dieser „Bürgerfunk“ ist eine jener produktiven Fiktionen, die nicht real existieren müssen, um etwas zu leisten: diese brillante Idee reicht als eine Fiktion aus, um Wirkung zu entfalten Doch sie hat sich, was die repräsentativen Gremien betrifft, im Lauf der Jahre von ihrem Ursprung entfernt, aus guten und aus schlechten Gründen.

Zu den eher guten zählt, dass sich der Rundfunk, den sie kotrollieren sollten, trotz aller gegenteiligen Behauptungen gewandelt hat, zu den eher schlechten, dass die Gremien damit nicht Schritt halten konnten. Verdeckt wurde dieser Prozess, indem schon sehr früh die politischen Parteien zu den eigentlichen Kontrolleuren des Rundfunks aufgewachsen sind. Sie wurden für die Gremien prägend. Ihre machtpolitische Erfahrung, die sie in die Aufsichtsräte mitgebracht haben, hat dazu geführt, dass die Arbeit der Gremien funktioniert hat, dass sie  formal gesehen nicht zu beanstanden war. Sie gaben den Takt in der Sache an und routinierten die Abläufe. Und sie sorgten dafür, dass die Mitglieder, die man „die Grauen“ nennt, die formal gesehen nicht parteipolitisch gebunden waren, sich den Parteien zugeordnet haben.

Im ZDF-Fernsehrat gibt es seit Jahrzehnten sogenannte Freundeskreise, einen schwarzen und einen roten, die, dominiert von CDU und SPD, den Lauf der Dinge und vor allem das Spitzenpersonal bestimmt haben. Das vereinfacht die Arbeit enorm, doch es reduziert das Spektrum an Positionen ebenso sehr.  Die vielen ehrenamtlichen Mitglieder der Gremien sind diesen Weg auch deshalb mitgegangen, weil sie ihre Vorstellungen in professionellen Händen wussten.

Ohne die politischen Parteien kann schon lange niemand mehr die Intendant(in) werden. Oder ein Direktor in seinem Amt bleiben.  Ich weiß, wovon ich rede. Das Bundesverfassungsreicht hat die Dominanz der Parteien gerügt. Doch die Parteien haben sich das nicht zu Herzen genommen. Und mehr noch:   Bei allem Respekt vor denen, die von den Gruppen und Kräften der Gesellschaft in diese Gremien geschickt werden: schon lange ist das Ehrenamt seinen Aufgaben nicht mehr gewachsen. Spätestens mit der Digitalisierung der Kommunikationstechnologien verfügen Rundfunkrätinnen – und räte nicht mehr über die Kompetenz, die man braucht, wenn man Medienprofis nicht nur beobachten, sondern kontrollieren soll. Es fehlt die Augenhöhe.

Schritt halten konnten die Gremien, ehrenamtlich, wie sie nun einmal waren, auch nicht mit den rechtlichen und publizistischen Entwicklungen. Trotz ihrer respektablen Bemühungen, sich a jour zu bringen, blieben sie am Ende Amateure in einem System, in dem es von Spezialisten wimmelt. Es tat sich immer mehr auf, was man ein Kompetenz-Gap nennen kann: die Leitung der Sender war denen, die sie kontrollieren sollten, weit überlegen. So blieb es immer weniger beim Gegenüber von Kontrolleuren und Kontrollierten.  Sender und Aufsicht wurden zum Beispiel der capture theory:  es entstand eine Symbiose zwischen den Organen.  So konnten die in den Sendern Verantwortlichen je länger desto leichter schalten und walten, wie sie wollten, auch wenn die Klugen unter ihnen das ihre Gremien nicht erkennen ließen, sondern sich als Diener der Gremien inszenierten.

Die Kontrollierten kontrollierten sich am Ende dieser Entwicklung faktisch selbst, im stillen Konsens mit den Vertretern der politischen Parteien, vor allem bei der Personalpolitik. Je mehr Aufsicht und Anstalt zusammenrückten und sich nicht weh taten, desto schwächer wurde die Kontrolle durch die Rundfunkräte. Auch die personelle Aufstockung der Gremienbüros hat daran nichts geändert.

Die in Demut ausgeübte Intendantenmacht hat die vor Zeiten als gesellschaftliche Kontrolle vorgesehenen Gremien aus dieser Rolle verdrängt, ohne dass auch nur ein Wort auch nur eines Gesetzes geändert werden musste. Was im RBB ans Licht gekommen ist, ist sicher auch ein Produkt individuellen Versagens. Es ist aber zugleich ein Versagen einer längst überforderten Kontrolle. Wie weit diese Überforderung reicht, zeigt sich darin, dass die Gremien nicht selbst die Aufklärung der Einzelheiten betrieben haben, sondern eine Interimsintendantin eingesetzt haben, die ausgerechnet aus dem Sender kam, der seine Solidarität mit dem RBB als erster aufgekündigt hatte, aus Tom Buhrows WDR.

Was nach dem RBB-Desaster ansteht, ist – nicht einfach, aber doch aussichtsreicher als hochfliegende Reformpläne - eine Reform der Rundfunk-Kontrolle. Sie kann nur in zwei Richtungen gehen. Entweder wird ein System aufgesetzt, dass die Professionalität der Kontrolleure sicherstellt. Das würde dazu führen, dass das Ehrenamt für diese Funktion nicht mehr in Anspruch genommen wird.

Oder man etabliert einen publizistischen Rat der Experten für Programmfragen und gliedert die Finanzkontrolle in ein völlig unabhängiges Gremium aus. Da aber für solche Veränderungen, der einen wie der anderen, der Gesetzgeber tätig werden und die Basis schaffen müsste, also die politischen Parteien, denen dadurch ein Machtverlust drohen würde, wird eine solche Reform unendlich schwer durchzusetzen sei.  Einen Versuch immerhin wäre ein solches Vorhaben wert. Er würde nebenbei zeigen, welche Aussichten Tom Buhrows Rundumvorschlag am Ende haben könnte.

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