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Die Sehgewohnheiten von Deutschen und Türken – hier gemeinsam beim EM-Spiel 2016 Türkei gegen Spanien – unterscheiden sich deutlich. Selbst RTL schafft es bei türkischen Migranten nicht immer in die Top 10.

© imago/Seeliger

Mediennutzung türkischer Migranten: „Erdogan, der tut was“

In den vergangenen zehn Jahren sank das Interesse an deutschen Sendern massiv. Warum sich türkische Migranten in ihre Nische zurückziehen.

Wenn der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag in Berlin ankommt, trifft er hier auf Türken und Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte, die der AKP noch stärker verbunden sind als in der Türkei selbst – und die Medien haben daran ihren Anteil. Lange Zeit sah es so aus, als ob mit jeder neuen Generation die Unterschiede in der Mediennutzung zwischen Deutschen und Türken kleiner würden. Vor zehn Jahren kamen die deutschen TV-Sender in der türkischen Gemeinschaft summiert auf einen Marktanteil von zwanzig Prozent. Seit einigen Jahren sinkt dieser Wert jedoch kontinuierlich und liegt bei nur noch zehn Prozent, sagte Joachim Schulte, Geschäftsführer des Berliner Markt- und Meinungsforschungsinstituts Data 4U, das sich auf ethnische Zielgruppen spezialisiert hat.

„Die türkischen Zuschauer ziehen sich weiter in ihre Nische zurück“, kommentierte Schulte die Entwicklung. Selbst RTL, der bei den Migranten erfolgreichste deutsche Sender, schafft es gerade so in die Top 10 – wenn überhaupt. Im März erreichte der Sender einen Marktanteil von zwei Prozent gegenüber 10,7 Prozent in der Gesamtbevölkerung.

Seit über 25 Jahren beobachtet Schulte, welche Medien die in Deutschland lebenden Türken konsumieren. Anfangs war nur der im Berliner Kabelpilotprojekt tätige türkische Sender TRT an solchen Daten interessiert, mit der Privatisierung des Medienmarktes auch in der Türkei wurde der hiesige Medienmarkt – die über drei Millionen türkischen Migranten addieren sich zu rund drei Prozent der Gesamtzuschauer – auch für andere türkische Sender interessant. Selbst dänische Weißkäsehersteller wollen wissen, ob ihre Werbespots im türkischen TV und bei den Migranten ankommen.

Ein Grund für die sinkende Bedeutung deutscher TV-Sender für die Mediennutzung türkischer Migranten ist die wachsende Bedeutung des Internets und seiner Video-on-Demand-Angebote. Vor allem Youtube steht hoch im Kurs. Aber auch das Gefühl, in Deutschland nicht akzeptiert zu werden, spielt bei der Hinwendung zu türkischen Medienangeboten eine Rolle. Bei den von der AKP dominierten türkischen Sendern wird ihnen das Gefühl vermittelt: Wir sind wieder wer – und Erdogan tut etwas für uns.

Absurde Situation für deutsche Politiker

Das Nischendasein deutscher TV-Sender in dieser Zielgruppe hat inzwischen zu der absurden Situation geführt, dass deutsche Politiker die in Deutschland lebenden Türken oder Menschen mit türkischer Migrationsgeschichte nur erreichen können, wenn sie sich an die von der türkischen Regierung kontrollierten Sender am Bosporus wenden – inklusive der dort herrschenden Zensur.

Doch woran liegt es, dass die deutschen Sender für die türkische Gemeinde in Deutschland an Attraktivität verlieren? Ein Grund dafür ist nach wie vor die sprachliche Barriere. Im Alltag wird nach wie vor hauptsächlich türkisch gesprochen: Bei Befragungen gaben fast zwei Drittel an, überwiegend oder ausschließlich türkisch zu sprechen. „Sobald in einer Familie auch nur ein Mitglied Deutsch nicht versteht, wird türkisch gesprochen und dann auch türkisches Fernsehen gesehen“, sagte Schulte.

Selbst technisch sind die TV-Medienwelten stärker voneinander getrennt als zumeist angenommen. Bekannt ist, dass die Türken in Deutschland ihre TV-Programme zu 90 Prozent via Satellit beziehen – allerdings nicht wie die meisten deutschen Haushalte via Astra, sondern über Türksat. In Städten wie Berlin können Experten so schon an der Ausrichtung der Satellitenschüssel erkennen, welche Sender präferiert werden.

Im vergangenen Jahr hat der Grünen-Politiker Cem Özdemir die Schaffung eines deutsch-türkischen Senders nach dem Vorbild von Arte angeregt, ein Vorschlag, den auch Medienexperte Schulte unterstützt. Er sieht dabei ebenfalls die öffentlich-rechtlichen Sender in der Pflicht. „Seit nunmehr 40 Jahren zahlen Türken in Deutschland Rundfunkgebühren und -beiträge, eine wirkliche Gegenleistung dafür haben sie bislang nicht erhalten“, sagte er.

In einem Punkt widerspricht er Özdemir allerdings. Arte ist für ihn nicht das richtige Vorbild, das würde den Sehgewohnheiten dieser Gruppe nicht entsprechen. Unterhaltung zählt dort mehr als Information. Wie erfolgreich ein Nischenprogramm für türkische Mitbürger sein kann, zeigt der private Radiosender Metropol FM. Entscheidend sei, dass ein deutsch-türkisches TV-Programm nicht nur ein bis zwei Stunden täglich oder wie bei den früheren Gastarbeitersendungen nur am Wochenende ausgestrahlt werde, sondern als Vollprogramm.

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