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Roger Willemsen 1992.

© Screenshot: Deutsche Kinemathek

Erinnerung an Roger Willemsen: „Sind Sie ein guter Liebhaber, Herr Jauch?“

Die Deutsche Kinemathek zeigt 130 Folgen der legendären Sendung „0137“ mit Roger Willemsen. Diese waren lange als verloren geglaubt.

Winnetou, Precht, Welzer, Lanz – vielleicht kann es inmitten der aufgeregten Debatten über Cancel Culture, vierte Gewalten und Wokeness keinen besseren Moment geben, an den souveränen Beginn des Talkshowzeitalters zu erinnern. An den Mann, der Anfang der 1990er im Bezahlfernsehen ein Format startete, das die Gesprächskultur – nicht nur im Fernsehen – etablierte und revolutionierte: Roger Willemsen. Ihm und seinem „0137“ widmet die Deutsche Kinemathek eine Ausstellung, anlässlich derer auch lange als verlorene geglaubte Mitschnitte wieder zu sehen sind.

Dem Museum ist es gelungen, 130 vollständige Sendungen des legendären, mehrfach ausgezeichneten Talkformats und die Museumsrechte zu erwerben. Bislang galten die Sendungen, die von 1991 bis 1994 beim Bezahlsender Premiere liefen, als verschollen. Sie waren nirgends zugänglich (Fokus Roger Willemsen“, 130 Sendungen sind ab dem 7. Oktober bis zum 27. März 23 abrufbar in der Deutschen Kinemathek, Potsdamer Straße 2, Berlin).

Und was man da sieht in der Kinemathek: Einen verlegenen Günther Jauch auf Willemsens Frage, ob er sich selber männlich finde („nicht sehr“) und ob er ein guter Liebhaber sei („mir sind keine großen Beschwerden zu Ohren gekommen“), ein überraschter Janosch auf Willemsens Frage, wovon er „heute Nacht geträumt“ habe, ein verdutzter Ulrich Wickert, von dem Willemsen wissen will, wie er seine gerade beendete Sendung gefunden habe, ein Karl Lagerfeld, der trotz hartnäckiger Nachfragen nicht über das Thema Homosexualität sprechen will.

Gesprochen wird ausgiebig in den 130 Sendungen – und nicht nur zugespitzt oder auf Krawall gebürstet, zu einem Zeitpunkt, als es Twitter & Co. noch nicht gab. Sondern einen promovierten Literaturwissenschaftler – Vater Kunsthistoriker, Mutter Sachverständige für ostasiatische Kunst–, der mit dem Talkformat auf Premiere 1991 seine Fernsehkarriere startete. Der mit dem Medium spielte, in das er eigentlich gar nicht passte.

Um zu verstehen, was diese Art Gespräche im Fernsehen bedeuteten, muss man sich in die Zeit zurückbeamen, Anfang der 1990er. Das Aufkommen des Privatfernsehens, Trash TV. Dann „0137“. Mit einem Moderator, der Jahre später zugab, sich erst mit 35 einen eigenen Fernseher zugelegt zu haben und sich jetzt beim Zuschauen des „Dschungelcamps“ zu ertappen und dabei schuldig zu fühlen.

Fragen zu „Bodyshaming“ oder „Male Gaze“

Willemsens Bandbreite, Qualität und Kompetenz war eben auch die zwischen E und U. Davon zeugen die Mitschnitte in der Kinemathek. Gespräche über Politik, Philosophie, Frauen und Wissenschaft. Mit Ex-Außenminister Henry Kissinger zum Zerfall der Sowjetunion, mit FPÖ-Politiker Jörg Haider über den aufkeimenden Rechtspopulismus in Europa.

Viele deutsch-deutsche Themen mit Gästen wie dem unter Stasi-Verdacht geratenen CDU-Politiker Lothar de Maizière oder dem Eierwerfer von Halle, der bei Willemsen ungern zugibt, der Eierwerfer von Halle zu sein, ähnlich sprachlos wie Naomi Campbell, der Willemsens Fragen zu „Bodyshaming“ oder „Male Gaze“ offensichtlich zu weit gingen.

Auch Sandra Maischberger moderierte bei „0137“.

© Screenshot: Deutsche Kinemathek

Es ist räumlich keine so große Welt, die diese Ausstellung der Deutschen Kinemathek in Berlins Mitte bietet. Gedanklich aber fliegen Besucher mit Willemsen in fünf Talk-Themeninseln um die ganze Welt, durch die Geschichte. Willemsen und die Politik/Zukunft/Frauen/Medien/Boulevardthemen.

Dazu Ausschnitte aus „Willemsens Woche“. Im Februar 1994 wechselte der Moderator zum ZDF. Dort moderierte er bis Juni 1998 freitagabends jenes Talkformat im Free TV, das den Ruf des Moderators zementierte: schlagfertig, belesen, weit gereist, engagiert, intelligent, empathisch. Zu Beginn des neuen Jahrtausends verabschiedete er sich vom „Massenfernsehen“ (Willemsen) und trat nur noch gelegentlich in Literatursendungen vor die Kamera.

So wirkt diese Ausstellung, über sechs Jahre nach Willemsens Tod, wie aus einer fernen Fernsehwelt und doch gleichsam nah, aktuell. Ähnlich ambivalent wie Willemsens Verhältnis zu den Massenmedien Fernsehen und Feuilleton. Man ertappt sich bei dem Gedanken, was ein Roger Willemsen heute an der Stelle eines Markus Lanz machen würde, wenn er bei der Debatte über „Die Vierte Gewalt“ (der Medien) zwischen Precht/Welzer und Amann/Alexander vermitteln müsste.

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„Willemsen fragt freundlich, nachdenklich, listig, klug, witzig, voller kleiner Überraschungscoups. Gut informiert. Und, vor allem, immer anders, je nachdem, wer ihm gegenübersitzt.“ So begründete die Jury des Grimme-Preises 1993 den Fernsehpreis für den Moderator, an den die Kinemathek nun erinnert.

Anlässlich der Sammlungseröffnung treffen sich Weggefährten Willemsens am Donnerstagabend. Klaudia Wick von der Kinemathek spricht mit Sandra Maischberger, Moderationskollegin bei „0137“, Markus Peichl, Erfinder des Talkformats und Nils Minkmar, Redakteur bei „Willemsens Woche“. Nah dran an Deutschlands wohl bekanntestem und beliebtestem Intellektuellen waren auch Friedrich Küppersbusch und dessen Lebensgefährtin Sabine Brandi, 1993 Willemsen Nachfolgerin bei „0137“.

Wie sehr fehlt ein Roger Willemsen, dem Fernsehen, der Gesellschaft? „Er war zu groß, klug und neugierig, um ihn in die Gegenwart hochzurechnen, zum allfälligen ,er fehlt‘ “, sagt Küppersbusch. „Er wirkt fort in einer Stiftung für Frauen in Afghanistan, man kann auch seine Detailkenntnis über Mobbing im ,Big Brother‘-Haus vermissen, er blieb Philosophiemagazinen so wenig Antwort schuldig wie dem ,Kicker‘. Er fehlt als Gesprächspartner, Kollege und irrlichternde Überraschung: Was hat er jetzt wieder entdeckt?“

Ein Tipp zur Einstimmung auf die Ausstellung: das berühmte Madonna-Interview von 1994 auf Youtube. Madonna: „Warum habe ich immer das Gefühl, mit meinem Psychiater zu sprechen?“ Willemsen: „Vielleicht liegt es daran, dass ich europäische Fragen stelle.“

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