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Umstrittener Preisträger: "Spiegel"-Autor René Pfister.

© dpa

Folgen einer Auszeichnung: Reporter ohne Grenzen

Was geschah wirklich in Seehofers Keller? Es gibt heftigen Streit um den Henri-Nannen-Preis für „Spiegel“-Autor René Pfister.

Der „Henri“, benannt nach Henri Nannen, dem Gründer des „Stern“, ist der wichtigste deutsche Journalistenpreis. Die Verleihung wird im Schauspielhaus vor 1200 Ehrengästen wie ein Hochamt zelebriert, im Hintergrund Statuen großer Dichter, Denker und Lenker, kein Superlativ ist groß genug, alles ist herausragend, von allerhöchster Güte, beste Qualität, einfach fantastisch. Diesmal allerdings etwas zu fantastisch.

In mehreren Kategorien wird der „Henri“ vergeben, als Königsdisziplin gilt die Reportage. Die Werke der hierfür Nominierten werden traditionell auf der Bühne von Schauspielern rezitiert. Axel Milberg, den meisten bekannt als Kommissar Klaus Borowski aus dem Kieler „Tatort“, trägt am Freitagabend mit tiefer Stimme einen Text des „Spiegel“-Redakteurs René Pfister vor. Es geht um Horst Seehofer, es geht um Horst Seehofers Keller, und so, wie Milberg spricht, erwartet man, dass dort Leichen gefunden werden; es ist dann aber bloß eine Modelleisenbahn. Pfister erzählt, wie in einer Diesellok, Maßstab 1:87, eine Figur mit dem Kopf von Angela Merkel ihre Runden dreht, ausgeschnitten, kleinkopiert und aufgeklebt von Seehofer, der „ Menschen steuern kann wie seine Eisenbahn“. Die Gäste der Gala, vom Autor an die Hand genommen auf den Stufen zu Seehofers Keller, applaudieren; auch die Jury ist beeindruckt. Laudator Peter-Matthias Gaede, „Geo“-Chefredakteur, Großmeister der Reportage, schwärmt, Pfister, für dessen Schuhe man „einen Waffenschein“ brauche, habe „Persönlichkeitsnischen“ und „Charakterhöhlen“ eines Mannes im Keller ans Licht gebracht.

Es war dann die Moderatorin Katrin Bauerfeind, die mit einer einfachen, naheliegenden Frage die Preisverleihung entgleisen ließ: „Wie kommt man in den Keller von Horst Seehofer?“ Aber Pfister war gar nicht im Keller. Die Geschichte hat ihm Seehofer erzählt, erklärte der Reporter, während eines Fluges nach Asien, als der bayerische Ministerpräsident ins Plaudern geraten sei. Das führt unmittelbar zur nächsten Frage: Wie kann eine Geschichte, die auf der ausgeschmückten Wiedergabe einer unüberprüften Politikererzählung basiert, die diese Erzählung gar zur Grundlage einer psychologisierenden Erkundung im Anschein des wissend Berichtenden erhebt, als Reportage mit dem wichtigsten deutschen Journalistenpreis ausgezeichnet werden?

Die Antwort lautet: Weil die Geschichte so authentisch, so selbst erlebt daherkommt. Die Jury, besetzt mit allesamt hochrangigen, erfahrenen Journalisten, ging jedenfalls davon aus, dass Pfister bei Seehofer im Keller war. Dies wurde sogar zum entscheidenden Punkt der sehr knappen Entscheidung: Niemand sei Seehofer bisher näher gekommen als Pfister, wurde argumentiert.

Es mag dabei eine Rolle spielen, dass dem „Spiegel“ offenbar jeder zutraut, einfach überall hinzukommen und dabei zu sein, warum nicht auch im Führerhäuschen einer Märklinlok des bayerischen Ministerpräsidenten. Für „Spiegel“-Redakteure wiederum mag diese Erwartungshaltung Verpflichtung und Verführung zugleich sein. So kommen Texte zustande, bei denen Spannung und Sprache wichtiger genommen werden als redaktionelle Redlichkeit; so wird aus Hörensagen eine vermeintliche Zeugenschaft, aus Stil eine verharmloste Masche und aus Journalismus eine Hybris. Die Geschichte über Horst Seehofer wäre jedenfalls auch dann eine schöne gewesen, wenn der Autor klargemacht hätte, dass die Schlüsselszene auf einer Erzählung Seehofers beruht. Nur wäre sie dann wohl kaum für den Nannen-Preis nominiert worden.

Am Tag danach ist aus dem „Spiegel“ zu hören, Pfister habe ja nicht ausdrücklich geschrieben, er sei selbst im Keller gewesen, außerdem hätten eigene Leute , die dort doch schon mal waren, Pfister zugearbeitet. Nur widerspricht das Pfisters Angaben vom Freitag. Einige Jurymitglieder wollen davon ohnehin nichts wissen. Der eine spricht von Eklat, der Nächste fühlt sich getäuscht, wieder einer würde Pfister am liebsten den Preis aberkennen. Sogar von „Spiegel“-Redakteuren sind erboste Stimmen zu hören, auch hämische. Und einer fragt, warum kein erfahrener Kollege Pfister geschützt und von der Bewerbung abgehalten hat.

Die Preisverleihung an Pfister ist das beherrschende Thema bei der Feier danach. Manch einer spielt die Sache herunter, als üblich, normal, „Spiegel“ eben; andere nennen die Sache „grenzwertig“. Dabei zeigt der Fall Pfister eher, wie sich die Linien aufgelöst haben: Reporter ohne Grenzen, mal ganz anders.

Bereits nach der Preisverleihung im vergangenen Jahr wurde erbittert über das Genre der Reportage gestritten; die Fortsetzung ist jedenfalls gesichert. Den Preis für die beste investigative Arbeit übrigens bekam diesmal nicht ein Rechercheteam von „Spiegel“ oder „Stern“, sondern Christine Kröger, eine unerschrockene Redakteurin des „Weser-Kuriers“. „Ich kann das noch gar nicht glauben, ich bin doch nicht vom ,Spiegel’ und nicht vom ,Stern’“, sagte sie. Es gibt eben auch anderswo Journalismus, guten sogar.

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