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Mitten im Geschehen. Claudia Neumann.

© Rainer Jensen/dpa

Update

Fußball-WM 2018: Claudia Neumann kritisieren? Muss sein, aber richtig

Fußball-Kommentatorin Claudia Neumann wird im Netz übelst beleidigt. Aber geht es wirklich um ihre Arbeit - oder um ihr Geschlecht? Ein Kommentar.

Der Fußball ist nicht mehr das, was er bis vor kurzem noch war. Denn er hat die Fehlbarkeit des Menschen anerkannt und lässt sich nun technisch mit dem Videobeweis helfen. Merkwürdig nur, dass dieser Paradigmenwechsel auf der Empörungsskala kaum wahrnehmbar ist im Vergleich dazu, dass eine Frau nun auch bei der WM Spiele kommentiert. Schon bei der EM vor zwei Jahren hatte Claudia Neumann Begegnungen für das ZDF kommentiert und damit offenbar die Einrichtung mancher Gewohnheitsmenschen durcheinandergebracht. Dabei gehört Claudia Neumann schon lange zum Inventar im Team des ZDF. Doch diese Normalität ist bei vielen noch nicht angekommen.

Claudia Neumann wird gerade wieder auf Twitter und Facebook übelst beleidigt. Das sind vergleichsweise neue Formen für alte Inhalte. Die Netzwerke machen nur das sichtbar, was schon früher auf den Tribünen gebrüllt wurde. Wobei man bei vielen Spielen auch den Eindruck gewinnen kann, dass das Publikum im Stadion inzwischen weiter ist als das am Fernseher.

Das macht den Kommentatorenjob nicht leichter. Wer heute Spiele im Fernsehen kommentiert, macht das bestimmt nicht schlechter als noch vor vierzig Jahren, dennoch wäre es undenkbar, dass heute noch jemand als "Reporterlegende" bewundert würde. Jeder Fehler lässt sich mittlerweile sofort belegen und im Netz mit anderen teilen. Den allseits beliebten Fußballkommentator gibt es nicht mehr. Und die Nörgelei, plumpe Besserwisserei, aber auch das Verletzende nehmen offenbar immer mehr zu.

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Gerade eine Frau muss ihren Job dann am Mikrofon besonders gut machen. Claudia Neumann unterlaufen genau wie ihren männlichen Kollegen Fehler, auch welche, die man in die Kategorie peinlich einsortieren kann. Der Dokumentation ihrer Fehler widmen sich viele jedoch mit einer entlarvenden Akribie und Leidenschaft. Dazu kommen Geschmacksfragen. Manche regen sich über Claudia Neumanns Stimme auf. Dabei lässt es sich leicht auch so sehen: Claudia Neumann hat eine markante Stimme. Sie passt zum oft rauen Spiel Fußball.

Nur weil sie eine Frau ist, darf man Claudia Neumann nicht kritisieren? Man soll sie nicht nur kritisieren, man muss es sogar tun. Denn diese Kritik wird ihr die Möglichkeit bieten, sich weiterzuentwickeln. Wenn es denn konstruktive Kritik ist. Wer noch Restempathie und Würdeverständnis besitzt, kann sich hier auf einen gedanklichen Rollentausch einlassen: Wenn Frauen in Männerdomänen arbeiten wollen, müssen sie häufig beweisen, dass sie noch besser sind. Das könnten jetzt auch die Gegner von Claudia Neumann nachempfinden. Sie müssen ihre Kritik besonders gut formulieren, um glaubhaft zu machen, dass es ihnen nicht um Claudia Neumann als Frau geht, sondern um Claudia Neumann als Kommentatorin.

Immer mehr Frauen in der Männerdomäne

Die Aufregung um die ZDF-Mitarbeiterin verdeckt, dass der Sport, selbst der Fußballsport, längst keine Domäne von männlichen Journalisten mehr ist. Jessy Wellmer fürs Erste, Katrin Müller-Hohenstein für das ZDF, Laura Wontorra für Nitro – und der Pay-TV-Sender Sky beschäftigt gleich eine ganze Riege kundiger Journalistinnen. Jessica Kastrop moderiert beispielsweise die Zusammenfassungen eines Bundesliga-Spieltags, Esther Sedlaczek führt die Expertenrunde zusammen oder agiert als Field-Reporterin.

Und, ja, Live-Kommentatorinnen gibt es auch. Christina Graf reportiert Spiele der Tennis-ATP-World-Tour, 2013 begann sie schon Spiele der Zweiten Fußball-Bundesliga zu kommentieren, das macht sie bis heute. Diesen Job hat auch Christina Rann übernommen, die zudem Begegnungen der Handball-Bundesliga kommentiert. In dieser Szene ist zu hören, dass es Kommentare zu Kommentaren und zuweilen auch Kritik gibt. In der Regel bliebe das aber im Rahmen des Erträglichen, des Hinnehmbaren.

Expertenrunden und Live-Kommentare bleiben schwer erreichbar

Was für Journalistinnen im Männersport Fußball weiter schwer erreichbare Zonen sind: Expertenrunden und Live-Kommentare in der ersten Liga und auf internationaler Ebene. Die Talks bei Sky und Sport 1 sind durchgängig von Männern besetzt. Und als größter Ausweis von Experten-Kompetenz gilt nun einmal, wenn der Experte selbst gespielt hat, in den berühmten „kurzen Hosen“ auf dem Rasen stand, Manager oder Trainer war. Bleibt der Live-Kommentar: Das ist natürlich eine Frage von Können und Selbstvertrauen – und von Mut, den die Hierarchenmänner in den Sendern nur ganz selten aufbringen.

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