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Christian Wulff, hier auf einem früheren Foto, hatte sich gegen die Veröffentlichung der Mailbox-Nachricht ausgesprochen.

© dpa

"Rubikon überschritten": "Bild" veröffentlicht Wulffs Mailbox-Nachricht

Erstmals hat die "Bild"-Zeitung den Wut-Anruf von Christian Wulff bei Chefredakteur Kai Diekmann komplett online veröffentlicht - und erntet dafür massive Kritik.

Unter den Fingern gejuckt hat es "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann schon lange. Bereits nach dem TV-Interview von Christian Wulff mit Bettina Schausten und Ulrich Deppendorf Anfang Januar 2012 wollte er die Mailbox-Nachricht veröffentlichten, er bat den damaligen Bundespräsidenten per Brief um Einverständnis - und kassierte eine Absage. Nun hat die Zeitung die Abschrift des Wut-Anrufs im Blatt und auch online veröffentlicht, anlässlich der Ausstrahlung von "Der Rücktritt" am Dienstagabend auf Sat 1 - auf Facebook ist die "Bild" damit allerdings in einen regelrechten Shitstorm geraten.

Aufgebrachtes, aber hilflos wirkendes Gestammel

Weite Teile des Wortlauts von Wulff, der am 12. Dezember 2011 kurz vor 18 Uhr Diekmanns Mailbox gesprochen hatte, waren bereits vor zwei Jahren bekannt geworden. Dass für ihn und seine damalige Frau Bettina "der Rubikon überschritten" sei, beispielsweise. Die komplette Abschrift, die auch nachgesprochen als Audio-Datei vorliegt, zeigt jetzt die Zusammenhänge - und enttäuscht. Was als Drohgebärde verkauft wurde, entpuppt sich zwar als aufgebrachtes, aber doch hilflos wirkendes Gestammel. Wer es liest, findet Wulff erneut entzaubert.

Legendär ist bereits der Einsteig: "Guten Abend Herr Diekmann, ich rufe Sie an aus Kuwait. Bin grad auf dem Weg zum Emir und deswegen hier sehr eingespannt, weil ich von morgens acht bis abends elf Termine habe. Ich bin in vier Golfstaaten unterwegs und parallel plant einer Ihrer Journalisten seit Monaten eine unglaubliche Geschichte, die morgen veröffentlicht werden soll und die zum endgültigen Bruch mit dem Springer-Verlag führen würde."

Was den Bundespräsidenten damals so verärgert hatte, waren die Recherchen zu seinem Privatkredit, die unter anderem zu seinem Rücktritt am 17. Februar 2012 führten. "Ich habe alles offengelegt, Informationen gegeben, gegen die Zusicherung, dass die nicht verwandt werden. Die werden jetzt indirekt verwandt, das heißt, ich werde auch Strafantrag stellen gegenüber Journalisten morgen und die Anwälte sind beauftragt", sagte Wulff und weiter: "Und die Frage ist einfach, ob nicht die Bild-Zeitung akzeptieren kann, wenn das Staatsoberhaupt im Ausland ist, zu warten, bis ich Dienstagabend wiederkomme, also morgen, und dann Mittwoch eine Besprechung zu machen, wo ich mit Herrn…, den Redakteuren und Ihnen, wenn Sie möchten, die Dinge erörtere und dann können wir entscheiden, wie wir die Dinge sehen und dann können wir entscheiden, wie wir den Krieg führen." Er beschwerte sich über die Methoden der Journalisten. "Und jetzt werden andere Geschichten behauptet, die Unsinn sind. Und da ist jetzt bei meiner Frau und mir einfach der Rubikon in dem Verhalten überschritten."

"Ich...bitte um Vergebung"

Dass der Anruf sehr heikel ist, wird Wulff offenbar bereits während des Anrufs bewusst: "Ich hoffe, dass Sie die Nachricht abhören können, und bitte um Vergebung, aber hier ist jetzt für mich ein Punkt erreicht, der mich zu einer Handlung zwingt, die ich bisher niemals in meinem Leben präsentiert habe. Die hatte ich auch nie nötig".

"Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann wollte die Mailbox-Nachricht bereits vor zwei Jahren veröffentlichen.
"Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann wollte die Mailbox-Nachricht bereits vor zwei Jahren veröffentlichen.

© dpa

"Bild"-Chefredakteur Diekmann weilte zu dem Zeitpunkt in New York, weshalb Wulff ihn nicht direkt hatte erreichen können. Nach dem TV-Interview wollte Diekmann die Nachricht veröffentlichen, um "Missverständnisse auszuräumen, was tatsächlich Motiv und Inhalt Ihres Anrufes angeht" und die vom Bundespräsidenten "angesprochene Transparenz" herzustellen. Wulff gab jedoch nicht sein Einverständnis. Er habe sich bereits bei Diekmann entschuldigt, welcher die Entschuldigung auch akzeptiert hatte. "Die in einer außergewöhnlich emotionalen Situation gesprochenen Worte waren ausschließlich für Sie und für sonst niemanden bestimmt", erklärt Wulff in dem Schreiben an den "Bild"-Chefredakteur.

Durfte die Nachricht trotz Widerspruchs veröffentlicht werden?

Durfte die "Bild" nun trotz des deutlichen Widerspruchs von Wulff den Wortlaut veröffentlichen? "Ja, weil es sich hier um ein zeithistorisches Dokument handelt", sagt Rechtsanwalt Christian Schertz. Grundsätzlich sei das nicht-öffentlich gesprochene Wort geschützt und dürfe nicht verwendet werden. Doch in diesem Fall habe das Staatsoberhaupt auf die Mailbox des Chefredakteurs der "Bild" gesprochen. "Das war kein Privatgespräch mehr im klassischen Sinne, sondern von politisch relevantem Inhalt. Deshalb überwiegt hier presserechtlich das Veröffentlichungsinteresse", erklärt Schertz. Eine mögliche Klage von Wulff gegen die Veröffentlichung sieht er als chancenlos. Es ist also unwahrscheinlich, dass es dazu kommt. Wulff selbst will zu der neuen Veröffentlichung keine Stellungnahme abgeben, teilte sein Anwalt Gernot Lehr am Mittwoch dem Tagesspiegel mit.

Die "Bild" sieht sich im Recht. Bereits Anfang 2013, im „BILD-Jahrbuch 2012“ sei der komplette Text veröffentlicht worden. Für einen Großteil der Leser ist die Veröffentlichung nun allerdings neu, die Empörung auf der "Bild"-Facebook-Seite groß. "Lasst den Mann endlich in Ruhe, ist ja widerlich !!", schimpft ein Nutzer unter dem Link zur Veröffentlichung. "Systematisch habt ihr ein politisches Leben zerstört! Ja! Er hat Fehler gemacht! Aber er hat genug gelitten! Ich hoffe er hat bald endlich Ruhe und wird bald endlich wieder Freude haben! Wer sich gegen die ,Bild' stellt ist ohne Chance! Das hat der Fall ,Wulff'", bewiesen!", kritisiert ein anderer Nutzer. "Bild hat's halt nötig nach zu treten, schade, zeigt aber das Niveau", heißt es in einem weiteren Kommentar.

Der Sat-1-Film, in dem der Anruf von Kai Wiesinger als Christian Wulff nachgespielt wird, kam bei den Zuschauern ebenfalls wenig gut an. Lediglich 2,78 Millionen Zuschauer (Marktanteil 8,8 Prozent) schalteten am Dienstagabend ein. Derweil hat ein Museum Interesse angemeldet, die Audiodatei des Anrufs als zeithistorisches Dokument im Rahmen einer Ausstellung zu veröffentlichen. Ob es dazu kommt, sei noch nicht entschieden, teilte ein „Bild“-Sprecher mit. Kunst ist Wulffs Anruf bereits: Der Maler Clemens Graf von Wedel brachte den Wortlaut auf sechs Leinwände und stellte sie in Bazon Brocks „Denkerei“ in Berlin-Kreuzberg aus.

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