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Nur knapp kann Kommissar Thiel (Axel Prahl, rechts) den snobistischen Boerne (Jan Josef Liefers) vor Schlimmerem bewahren. Da vergehen dem Mediziner die Späße. Foto: WDR

© WDR/Martin Menke

Und täglich grüßt das Murmeltier: Spurlose Jahre

Der Münster-„Tatort“ geht in die Vergangenheit zurück. Boerne trifft eine alte Bekannte wieder, erst lebendig, dann tot. Und mit der Freundschaft zu Thiel steht es auch nicht zum Besten.

Der Weltfrauentag kam für Karl-Friedrich Boerne in diesem Jahr eindeutig um eine paar Tage zu früh. „Frauen werden nicht älter, sie sind nur etwas länger jung“, sagt der Münsteraner Gerichtsmediziner (Jan Josef Liefers), als er die Frau, die vor ihm steht, endlich wiedererkennt. Katja Braun sieht das nüchterner und räumt ein, dass die Jahre nicht spurlos an ihr vorübergegangen sind. Boerne und Katja Braun (Tanja Schleiff) kennen sich aus der Zeit, als sie noch bei der Polizei gearbeitet hat. Sogar an den gemeinsamem Urlaub erinnert sich Boerne später, Tiger und Gazelle nannten sie sich damals. Seither ist viel passiert, der Alkohol hat ihr übel mitgespielt, Katja muss den Mediziner anpumpen, weil sie die Miete nicht zahlen kann. Ihre nächste Begegnung fällt weit weniger erbaulich aus, Boerne muss ihre Leiche obduzieren, nachdem die Geliebte von einst fast nackt, aber ohne sichtbar schwere Verletzungen aufgefunden wurde.

Die Spuren im Mordfall Katja Braun reichen ebenfalls weit zurück in die Vergangenheit, als sie noch für die Kripo gearbeitet hatte. Ihr Tod scheint mit dem Mord an einer Prostituierten in Verbindung zu stehen, in dem sie selbst ermittelt hatte. Der tatverdächtige Zuhälter hatte sich seinerzeit ins Ausland abgesetzt, der Fall wurde nie aufgeklärt. Wegen seiner Gehbehinderung wurde der Flüchtige „Hinkebein“ genannt.

Zurück zu den Wurzeln, dieses Motto haben die Drehbuchautoren Stefan Cantz und Jan Hinter dieser „Tatort“-Folge verordnet. Das Autorenduo hatte das geniale Gespann Boerne-Thiel vor über zehn Jahren ersonnen und das Buch zum ersten Fall („Der dunkle Fleck“, 2002) geschrieben. Nun scheinen sie die alten Folien noch einmal hervorgekramt zu haben. So, als ob seither nichts passiert sei, lassen sie Boernes Snobismus ungebremst auf das proletarische Wesen des St.-Pauli-Fans Thiel prallen. Wie in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ sind sämtliche freundschaftliche Annäherungen vergessen. An den herablassenden Sprüchen des Pathologen über die Körpergröße seiner Assistentin „Alberich“ (Christine Urspruch) hat sich ebenso wenig geändert wie an der Liebe von Thiels Vater Herbert (Claus D. Clausnitzer) zu seinen Joints. Mit der Folge „Spargelzeit“ hatte Regisseur Manfred Stelzer übrigens 2010 mit fast 10,5 Millionen Zuschauern die damals höchste „Tatort“-Quote seit 13 Jahren erreicht.

Der „Tatort“ aus Münster ist indes mehr noch als die anderen sonntäglichen Regionalkrimis eine Gemeinschaftsleistung, in der ein festes Ensemble seine Stärken ausspielt. Selbst die Gastrollen wurden beim Fall „Hinkebein“ in Mannschaftsstärke vergeben. Ein Delegation russischer Polizisten will sich über die Arbeitsmethoden der deutschen Kollegen informieren – einschließlich des obligatorischen Westfälischen Abends. Während Thiel jede mörderische Gelegenheit ergreift, um sich der deutsch-russischen Völkerverständigung zu entziehen, findet seine Assistentin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) Gefallen am schneidigen Andrej Kopalski (Alexander Milo). Selbst Staatsanwältin Klemm (Mechthild Grossmann) äußert ihr Wohlgefallen an dem Russen erstaunlich offen.

Bemerkenswert sind auch die Leistungen der übrigen Darsteller, allen voran Michelle Barthel in der Rolle von Katjas hochgegabter, aber zutiefst verstörter Tochter Marie. Der Lebenswandel ihrer alkoholkranken Mutter widert sie an, doch hinter der harten Fassade stecken noch ganz andere Gefühle, wie interessanterweise gerade der sonst nicht besonders feinfühlige Thiel erkennt. Für Barthel, die in diesem Jahr ihr Abitur macht und bereits einige namhafte Auszeichnungen wie den Deutschen Fernsehpreis Förderpreis und den Grimme-Preis erhalten hat, ist Münster nach Köln und Hamburg bereits die dritte „Tatort“-Station. Eine ganz besondere allerdings, schließlich ist sie in Münster aufgewachsen und schätzt diese „Tatorte“, weil sie tief, traurig, aber auch humorvoll sind. Fast könnte man vergessen, dass es ohne mindestens einen Toten nicht geht. Aber das stört an Krimi-Grotesken wie „Arsen und Spitzenhäubchen“ auch niemanden.

„Tatort: Hinkebein“, ARD, 20 Uhr 15

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