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Bist du es wirklich, Kai Korthals? Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg, links) sieht den Psychopathen (Lars Eidinger) bald überall und nirgends.

© NDZ

"Tatort" als Trilogie: Mein Freund, der Feind

„Der stille Gast“: Dritter und letzter Teil des außerordentlichen „Tatorts“ mit Kai Korthals vs. Klaus Borowski.

Diese Warnung vorweg: Der „Tatort: Borowski und der gute Mensch“ ist nichts für schwache Nerven. Hier geht es nicht um den Klau von Gummibärchen oder Streitigkeiten am Gartenzaun, dieser Krimi ist der dritte und letzte Teil der Trilogie mit dem „Stillen Gast“. Den kennt der „Tatort“-Kunde: Es ist der Frauenmörder Kai Korthals (Lars Eidinger), mit dem sich Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) schon zweimal gemessen hat. Korthals schlich in die Wohnungen von Frauen und tötete sie, vor sechs Jahren wurde er zu Borowskis persönlichem Albtraum, als er dessen Verlobte Frieda Jung entführte. Damals gelang es dem Kommissar, Frieda zu befreien, doch seine Beziehung zerbrach daran.

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Jetzt ist Kai Korthals aus der Sicherheitsverwahrung ausgebrochen. Eine Theatertherapiegruppe probte Schillers „Räuber“, Korthals mittendrin, es gelingt ihm, einen Aufstand anzuzetteln, in der Verwirrung kann er entwischen, nicht ohne eine Blutspur zu hinterlassen. Die wird er weiterhin ziehen, in seiner Zelle finden sich Briefe von Verehrerinnen, die ihn trösten, kennenlernen, lieben wollen. Sie fühlen sich von dem Killer angezogen, haben ihm Versprechungen gemacht. Diese Frauen sind in höchster Gefahr, schon findet sich am Ufer eines Sees die Leiche einer jungen Frau.

[Tatort: Borowski und der gute Mensch", ARD, Sonntag, 20 Uhr 15]

Die Fahndung ist die eine Spur in diesem Sequel und ist höchst spannend. Die andere ist die Beziehung zwischen Borowski und Korthals, Korthals nennt den Polizisten seinen „Freund“, um dann wieder festzustellen: „Klaus mag mich nicht mehr.“ Das Katz-und-Maus-Spiel der Polizeijagd findet seine Entsprechung in der emotionalen Achterbahnfahrt zwischen Kommissar und Killer. Sie wird zwischenzeitlich in Borowskis Wohnung ausgetragen, um in seinem Büro zu enden.

Sieht der Zuschauer eine abnorme Liebesgeschichte oder sieht er einen abnormen Krimi? Er sieht beides, und wie diese beiden Ebenen sich bedingen und verschlingen, das ist die Qualität dieses „Tatorts“. Kai Korthals ist der archetypische Antiheld, Dr. Jekyll & Mr. Hyde oder Frankenstein, dessen zarte Seele an einen unkontrollierbaren, zerstörerischen Trieb gefesselt ist. „Schuld ist die falsche Kategorie für einen wie ihn“, sagt die Gefängnispsychologin. „Er ist unheilbar krank.“ Trotzdem sucht er Normalität, Zärtlichkeit, Vertrauen, seinen Platz in dieser Welt, den ihm, so sieht er es, diese Welt verweigert. Die blinde Telefonseelsorgerin Teresa (Sabine Timoteo) sagt, da sei etwas absolut Gutes in ihm. Eine starke, unergründliche, moderne Frauenfigur, nicht anders Almila Bagriacik als Kommissarin Mila Salin. Beide wollen nicht bloß Opfer sein, sondern sie treten wie die virilen Männerfiguren an, ihr Leben (und das ihrer Begleiter) souverän zu meistern.

Drehbuch wieder von Sascha Arango

Sascha Arango hat wie schon bei den ersten beiden Teilen das Drehbuch geschrieben. Er kennt die Figuren und ihr Innenleben aus dem Effeff, nach acht „Tatorten“ hat er eine durchaus osmotische Beziehung zu Klaus Borowski alias Axel Milberg. Und zu seinem Kommissar bemerkt er im Presseheft: „Der ,stille Gast‘ ist der Fall seines Lebens. Der Kommissar findet in Korthals seine Nemesis, seinen Erzieher.“

Regisseur Ilker Çatak („Es gilt das gesprochene Wort“) hat mit diesem „Tatort“ seine erste Arbeit fürs Fernsehen inszeniert. Er sucht die unbedingte Nähe. Er erzählt in kraftvollen, schier aufdringlichen Bildern von der Schicksalsgemeinschaft zweier Männer, die sich gegenseitig in die Seele schauen, sie schenken sich nichts. Borowski sagt „Kai“ zu Korthals, Segen und Fluch zugleich: Dessen Ringen um Borowskis Anerkennung ist die einzige Chance des Polizisten, den Mörder zu fassen. Dramaturgie und Kameraführung (Judith Kaufmann) nötigen den Zuschauer, Kai Korthals und Klaus Borowski verstehen zu wollen. Wobei nicht allein der dunkle Trieb das dunkle Hamburg beherrscht: Das Suggestive lässt Raum für Surreales und Scherzhaftes. Und immer begleitet von der Frage: Was macht ihn aus, den guten Menschen? Bertolt Brecht hat es fixiert: „Das Schicksal des Menschen ist der Mensch.“

Besondere Schauspieler

Dieser Zweikampf braucht für Spannung in Qualität und Qualität in der Spannung zwei besondere Schauspieler. Lars Eidinger ist einer, nur in der Anfangssequenz, als eine Szene aus den „Räubern“ geprobt wird, ist er nicht der Amateur, sondern der Schaubühnen-Heroe, der brillant Friedrich Schiller spielen kann. Ein bisschen sehr Staatstheater, eigentlich ein Fehler, dass auf der JVA-Laienbühne plötzlich erstklassiges Theater gegeben wird – aber ein sehr lässlicher Fehler. Eidinger illustriert den Wahnsinn eines Menschen, Betonung auf Wahnsinn und Menschsein, er versetzt seine Figur in eine Balance aus Sadismus und Wehleidigkeit. Und natürlich wird er auf die bekannten Korthals-Macken wie die mit der Zahnbürste nicht verzichten.

Axel Milberg intoniert seinen Borowski, als würde ihn der Ausbruch des „Lebensdiebes“ Korthals nichts angehen. Weit weg und schon gar nicht emotional berührend soll die Fahndung ablaufen. Dabei bleibt es nicht, kann es nicht bleiben. Und wenn sie sich in Borowskis Küche gegenübersitzen, ist eine unbedingte Nähe zu spüren. Zwei Chamäleons auf dem Weg ins Finale, zwei Seelenspieler, die ihre Dialoge nicht aufsagen, sondern zu bedrängender Präsenz bringen. Dieser „Tatort“ ist ein Fest für die Zuschauerinnen und Zuschauer, das ihnen Lars Eidinger und Axel Milberg bereiten.

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