zum Hauptinhalt
Lost in Relation. Facebook hat sich verändert, findet Heike-Melba Fendel. Irgendwann wiederholt sich alles, es gibt nichts mehr wirklich Lustiges oder Interessantes. Inzwischen hat sich die Agenturchefin dauerhaft von Facebook getrennt. Foto: SVLuma, Fotolia

© SVLuma - Fotolia

Trennung von Facebook: "Du kannst doch nicht einfach abhauen"

Auf die vorsichtige Annäherung an Facebook folgten bei unserer Autorin Freude und Freunde. Dann war sie eine von 900 Millionen. Jetzt ist sie raus. Ein Erfahrungsbericht.

Ich wollte mich nie mit Facebook einlassen. Dann musste ich wegen Ann Stinely eine Ausnahme machen. Sie war meine einzige Freundin auf der Highschool in Williamsburg, Virginia. Ich wollte sie wiedersehen und fand bei Google nur einen Eintrag „Ann Stinely is on Facebook“. Sie wird meine erste Freundin bei Facebook und bleibt monatelang die einzige. Facebook bemüht sich fortan sehr um mich, schreibt mir E-Mails, lädt mich ein, bittet um ein Foto von mir. Ich aber bleibe eine weiße Kontur vor blauem Hintergrund. Dann macht mir Facebook Freundschaftsangebote, die ich nicht abschlagen kann: Schriftsteller. Die nehme ich geschmeichelt an, natürlich nur, sofern ich sie kenne – keine Wahllosigkeit, nirgends. Allen weiteren Freundschaftsaspiranten schreibe ich höfliche, persönliche Mails, in denen ich erkläre, dass da nichts laufe zwischen mir und Facebook und ich nicht sie ignoriere, sondern Facebooks Werben.

Nun gibt es viele Leute, die schreiben. Journalisten etwa sind im Grunde ja auch Schriftsteller, das darf man nicht so fürchterlich eng sehen, da muss ich Facebook recht geben. 30, 40 Freunde also nach sechs Monaten – alles im grünen Bereich. Ein, zwei Mal pro Woche reinschauen, weiter höflich persönlich absagen. Nur mein weißer Kopf scheint inzwischen übertrieben provisorisch, ein erstes Porträtfoto wird eingestellt.

Facebook bleibt am Ball, beharrlich, nie beleidigt. Ich gebe ein wenig nach, sehe mich um, auch unter den bislang aufgelaufenen Freundschaftsanfragen. Was soll der Schreibehrgeiz, denke ich und nehme alle an, die es wollen, die mich wollen. Meine Pinnwand füllt sich mit Bildergalerien der frischen Freunde. Einige bedanken sich, andere wollen mir Panflöten-Konzerte, Schauspielerdemos oder sich selbst auf einen Kaffee andienen.

Heike-Melba Fendel leitet seit 20 Jahren die Agentur Barbarella Entertainment.
Heike-Melba Fendel leitet seit 20 Jahren die Agentur Barbarella Entertainment.

© Jennifer Fey/Promo

Manchmal sage oder frage ich Facebook in unserer Anfangsphase private Sachen, ziemlich dummes Zeug, meist vor dem Einschlafen, warum ich überhaupt noch in der SPD bin, oder warum Männer, die Robert heißen, stets gutaussehend sind. Facebook schämt sich nicht fremd, übermittelt mir unermüdlich Kommentare und Anfragen. An die fünfhundert Freunde sind es nach einem Jahr. Ich beginne, sorgfältiger zu schreiben, die Leserschaft klarer zu adressieren. Ich lese mich ein, wer schreibt was, öffne die Links, verfolge die Debatten über die Debatten der Stunde. Christoph Schlingensief stirbt, die „R.I.P“-Lawine überrollt den Feed. „Schrecklich“, „Was für ein Verlust“, „Viel zu früh“. Allmählich verstehe ich Facebook besser. Ich stelle fest, dass politische Posts von Männern, kosmetische von Frauen und die sonntäglichen „Tatorte“ von allen kommentiert werden. Meine Pinnwand wird ein gehegter Ort, ich jäte die kleinen Entgleisungen und Sinnlosigkeiten, lasse Raum für schöne Sätze und geistreiche Threads. Ab und zu tritt im Café ein Mensch an den Tisch und sagt: „Wir kennen uns von Facebook.“

Bildergalerie: Wie bei Facebook gearbeitet wird

Das zweite wird unser schönstes Jahr: Wir sehen uns inzwischen täglich. Facebook schenkt mir Freude und Freunde, Inspiration und Information. Und wie praktisch der added value: jeder stets erreichbar, Geburtstags- und Partylisten, keine lästige Adresssuche für Einladungen oder Gratulationen und irgendwer ist immer noch oder schon wach. Spontane Einladungen – „bin um eins im Frida Kahlo, wer kommt?“ – werden zu fröhlichen Begegnungen. Ein unbekannter Freund preist einen unbekannten Doderer-Roman, der auch mir der liebste ist. Eine Freundin kündigt auf ihrer Seite an, nunmehr alle berühmten Namen falsch zu schreiben, und macht den Anfang mit Brett Pitt, Stunden später endet der über 300 Einträge umfassende Thread mit Ödem von Horvath. Wenn es am besten schmeckt, soll man aufhören.

Auch offline gibt es kein Entrinnen

1200 Freunde. Es dauert immer länger, alle Einträge im Feed zu verfolgen. Man könnte natürlich nur die Hauptmeldungen lesen, aber wenn schon, denn schon. Bernd Eichinger stirbt. Mehr R.I.P. war nie. Was für ein Verlust. Schrecklich. Viel zu früh. Tierbilder, Kochrezepte und allzu dreiste Produktempfehlungen – Wer damit nervt, fliegt raus. Hin und wieder fliege ich ebenfalls irgendwo raus und beginne zu grübeln; Habe auch ich zu viel genervt? Habe ich etwas Dummes gesagt? Neuerliche Scham.

Bildergalerie: Wie bei Facebook gearbeitet wird

Die Unruhe steigt: Weniger als zwanzig Likes für einen bedeutenden Post versetzen einen sanften Stich. Facebook versteht mich nicht. Trotz stellt sich ein. Schnell noch einen Post nachlegen, nicht ohne den alten doch lieber schnell wieder zu löschen – soll bloß niemand denken, ich hätte sonst nichts zu tun. Vielposter sind suspekt. Mir wenigstens. Facebook hat sich verändert. Im gesamten Feed findet sich oft nichts wirklich Lustiges. Oder Interessantes. Auch eine Stunde später nicht, eine weitere Viertelstunde später auch nicht. Facebook wiederholt sich.

Ich brauche ein wenig Abstand. Nicht mit dir und nicht ohne dich. Also die Lässigkeit der Gelegenheitsposter zurückgewinnen. Nach sechs Wochen Trennung auf Probe kehre ich entspannt zurück. Doch schon rasch nervt, wie rasch ich mich wieder nerven lasse.

In der Ukraine werden Hunde gefoltert. Das stört etliche meiner Freunde sehr. Ganzkörperfotos bekommen im Schnitt drei Mal so viele Likes wie Porträts. Adam Yauch stirbt viel zu früh. Der Panflötenspieler macht einen neuen Vorstoß. Etliche Freunde stören die Leute, die sich an der Hundefolter stören. Einen Freund stört die Seite der NPD. Sie hat 11 000 Fans und vermeldet Aktuelles zu Beate Zschäpe, 32 Likes.

Auch offline gibt es kein Entrinnen. Im Kino verfasst und kommentiert man neben mir bei laufendem Film fortwährend Statusmeldungen. Beim Pärchenabend zitieren Pärchen, was sie einander gepostet haben, kein Meeting ohne die markige Forderung man müsse „unbedingt was mit Facebook machen“.

An einem Sonntagmorgen im Mai habe ich Facebook für immer verlassen. Für Facebook war ich eine von 900 Millionen. Irgendwie hatte ich dennoch gedacht, das mit uns sei etwas Besonderes. Mehr als ein Zeitkontingent zwischen einem Algorithmus und einer Userin. Ein Mädchenfehler, das gebe ich gerne zu.

Freunde reagieren bedauernd bis schockiert auf die Trennung. Du kannst doch nicht einfach abhauen. Eine weint am Telefon.

Ich verbringe die Spiele der EM ohne Second Screen und kann meinen zwischenzeitlich erfolgten SPD-Austritt nicht mehr gezielt verschweigen. Ich vermisse Peter Glasers Preziosen und lasse mich auf einen kompensatorischen Racheflirt mit eBay ein. Ich verpasse die Pannenkalauer zum BER ebenso wie die R.I.Ps für Susanne Lothar, die Solidaritätsvermummung für Pussy Riot und Interna zu schwedischen Ghostwritern.

Es ist erleichternd, Facebook nicht ständig gefallen zu wollen. Ganz allmählich verliert die freiwillige Selbstformatierung an Kraft, löst sich der Meinungsfilm von den Tagen. Wären wir noch zusammen, hätte ich in diesen Tagen sicher ausführlich darüber nachgedacht, Devos „Mongoloid“ hochzuladen. So aber packe ich die Debatte um Gentests auf Down-Syndrom stumm zwischen mich und meine Zweifel.

Und wenn mir bisweilen Facebook-Novizen so unverlangt wie ausführlich erklären, wie locker sie das alles handhaben, ab und zu mal reingucken, nur Freunde annehmen, die sie auch auf der Straße erkennen und überhaupt, wie praktisch ... nicke ich freundlich und sage: Ich hatte bereits das Vergnügen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false