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Deutschland mangelt es an Fachkräften

© DPA

TV-Kritik zum "Märchen Fachkräftemangel": ARD und ZDF kratzen an der Oberfläche und scheuen Selbstkritik

Deutsche Wirtschaft und die Bundesagentur für Arbeit beklagen seit Jahren einen Fachkräftemangel. Doch stimmt das wirklich? "Die Story im Ersten" hat sich im Land umgesehen - aber leider nicht richtig nachgefragt.

Der TV-Sommer 2014 – leider nicht viel Neues. Von Juni bis August beherrschen bei den Öffentlich-Rechtlichen wie bei den Privaten zwei Worte die Programmplanung – Wiederholungen und Urlaubspause. Das Totschlagargument: In der Sommerzeit wird eh viel weniger ferngesehen. In einer besseren Pantoffelkino-Welt könnten die Zuschauer mit derselben Begründung einfach den monatlichen Rundfunkbetrag kürzen. Aber immerhin – im großen Ozean des schon mal Gesendeten gibt es hin und wieder kleine Inseln mit ganz frischer TV-Ware. Und die Produkte sind nicht nur neu, sondern manchmal sogar brisant.

Unter dem etwas langen Titel „Die Story im Ersten. Der Arbeitsmarktreport – das Märchen vom Fachkräftemangel“  wird eine bedrohliche Fehlentwicklung des Arbeitsmarktes in Deutschland aufgezeigt. Die Lobbyverbände der deutschen Wirtschaft und auch die Bundesagentur für Arbeit bejammern und beklagen einen bedrohlichen Fachkräftemangel. Die Demographie ist schuld. Zu wenig Kinder, zu wenig Jugendliche und damit zu wenig Arbeitskräfte. Die Politik reagiert, beseitigt alle bürokratischen Hürden. Und wegen der hohen Arbeitslosigkeit in Ländern wie Spanien, Portugal, Italien oder Rumänien entscheiden sich immer mehr ausländische Akademiker nach Deutschland zu kommen.

Das im Titel erwähnte Märchen stimmt leider. Zum Beispiel der prognostizierte Mangel an Ingenieuren. In Wirklichkeit nur das Ergebnis falscher Erhebungen und unsauberer Interpretationen von Statistiken. Der Fachmann Prof. Dr. Gerd Bosbach nennt das „Lügen mit Zahlen. Ich biege mir meine Statistik so zurecht, dass was Schlimmes rauskommt.“ Leider wird der Verbandsvertreter der Deutschen Ingenieure mit diesem lügenhaften Zurechtbiegen nicht wirklich überfallen. Er kommt mit den üblichen, nichtssagenden Sprechblasen davon.

Arbeitsministerin Nahles will kein Interview geben

Das erste Fall-Beispiel, Pedro und seine Freundin Alicia. Das arbeitslose Paar findet in Eisfeld, in Thüringen Arbeit. Aber sie kehren wieder nach Spanien zurück. Weil es in Eisfeld zu wenig junge Leute, keine Disco und keine Eisdiele gibt. Subjektiv sicher nachvollziehbar, aber für den Beitrag einfach die völlig falschen Protagonisten. Zweiter Fall, ein griechischer Arzt. Der will bleiben und seine Familie nachholen. Trotz langer Berufserfahrung in Griechenland wird er in Deutschland als Anfänger eingestellt. Natürlich mit einem geringeren Gehalt. Leider wird auch da nicht richtig nachgefragt, und die Gehalts-Ungerechtigkeiten bleiben unkommentiert.

Erst der dritte Fall, der Systemberater Edgar kann aus eigener Erfahrung erzählen, dass er von billigeren ausländischen Fachkräften aus Indien ersetzt wurde. Das Märchen von den fehlenden Fachkräften, es wird scheinbar hauptsächlich verbreitet, damit die Arbeitgeber einen größeren Bewerberpool zum Ausschöpfen haben. Damit sie ihre Ansprüche hoch- und die Gehälter runterschrauben können. Und auf kostspielige Arbeitskräfte über 45 wird gleich ganz verzichtet.

Sicher ist es nicht ganz leicht, Arbeitgeber oder Personalchefs vor die Kamera zu bekommen, die händeringend Arbeitskräfte suchen, aber nicht viel ausgeben wollen. Die lieber billige 20-Jährige als teure 50-Jährige einstellen. Stattdessen beklagt sich die Macherin des Beitrags darüber, dass Arbeitsministerin Andrea Nahles nicht zeitnah ein Interview geben will. Dass ARD und ZDF auch lieber auf preiswerte Freie oder kostengünstige Praktikanten setzen, bleibt selbstverständlich unerwähnt. Das wäre sicher zu viel Selbstkritik, auch in der zuschauerarmen Sommerzeit.

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