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Seite an Seite. In der Katip-Kasim-Moschee beten Türken und Afrikaner. Die meisten Afrikaner sind illegal in Istanbul.

© Kerem Uzel/Narphotos

Flüchtlinge: Gestrandet in Istanbul

Tausende Afrikaner versuchen über die Türkei nach Europa zu kommen – und bleiben dort erst mal hängen

Der Muezzin ruft die Gläubigen zum Mittagsgebet in die Katip-Kasim-Moschee. Mehrere Dutzend Männer absolvieren im Vorhof des kleinen Istanbuler Gotteshauses die rituelle Waschung, bevor sie in den Gebetsraum schlendern. Eine Szene, die sich täglich überall in Istanbul wiederholt. Und doch ist die Gemeinde in Katip-Kasim etwas Besonderes. Etwa jeder zweite in der Moschee ist Afrikaner.

„Istanbuler Mogadischu“ haben die türkischen Zeitungen das Viertel rund um die Moschee getauft, die offiziell nach der Moschee benannte Gasse vor Katip-Kasim heißt in der Presse „Somalia-Straße“. Das heruntergekommene Viertel Kumkapi am europäischen Ufer des Marmara-Meeres ist zur Heimat von Hunderten, wenn nicht Tausenden Flüchtlingen aus Afrika geworden, d ie hier auf dem Weg nach Europa gestrandet sind.

So wie Ali aus dem Senegal. Der 39-Jährige ist Maler und will nach Amerika. Doch seit zwei Jahren sitzt er in Istanbul fest, weil die USA ihm kein Visum geben wollen. Er hält sich als Straßenhändler mit dem Verkauf von billigem Parfüm in den Touristengegenden von Istanbul über Wasser. Eine Arbeitsgenehmigung hat er nicht, er muss aufpassen, dass er nicht der Polizei begegnet. Wie viele in den Gassen um die Katip-Kasim-Moschee möchte er seinen vollen Namen nicht nennen und sich auch nicht fotografieren lassen. „Es ist hart“, sagt Ali. „Aber ich wohne mit ein paar Freunden zusammen, dadurch wird es leichter.“

Istanbuler Attraktionen wie der Große Basar, die Blaue Moschee und die Hagia Sophia sind nicht weit, das traditionelle Vergnügungsviertel von Kumkapi mit seinen Fischrestaurants und Straßenmusikern liegt gleich nebenan. Und doch ist die „Somalia-Straße“ mit ihren afrikanischen Bewohnern Welten entfernt vom Rest Istanbuls. Hier reihen sich Telefonläden aneinander, die billige Anrufe in afrikanische Länder anbieten. Bunte Schilder an den Türen zeigen diverse afrikanische Nationalfahnen, die Gebühren für Gespräche ins Fest- oder Mobilfunknetz sind daneben vermerkt. Manche Afrikaner haben sich eingerichtet. In der „Heaven Bar“ treffen sie sich abends zum Tanzen, ein Nigerianer lässt gerade sein afrikanisches Restaurant renovieren.

Das Stadtviertel Laleli, Anlaufpunkt für viele Reisende aus der ehemaligen Sowjetunion, die in Istanbul billige Textilien kaufen wollen, ist nur ein paar Straßenzüge entfernt, und so hängen auch in der „Somalia-Straße“ viele Schilder in kyrillischer Schrift vor den Läden. Viele Kurden und Armenier leben ebenfalls im Viertel – Multikulti auf Türkisch.

Aber Multikulti macht nicht satt. Hart ist das Leben für die meisten Bewohner hier, besonders für die afrikanischen Flüchtlinge. Johnny Kitoko-Mboma aus dem Kongo etwa ist mit seiner Familie über Tunesien und den Libanon in die Türkei gekommen. Jetzt geht es nicht mehr weiter, das Geld wird knapp. „Ich hänge hier fest“, sagt der 34-jährige Vater zweier kleiner Kinder. Eine Arbeitserlaubnis der Türkei hat er nicht, und selbst als Tagelöhner hat er es schwer. „Die geben Afrikanern einfach keine Jobs“, sagt er.

Die Türkei ist ein Transitland für jährlich Hunderttausende Flüchtlinge aus Asien, Nahost und Afrika, die in den Westen wollen. Viele schaffen es, andere werden festgenommen und ausgewiesen, wieder andere bleiben illegal in der Türkei, immer in Angst vor der nächsten Razzia der Polizei. Mit einer merkwürdigen Gesetzeskonstruktion versucht Ankara, sich die Flüchtlingsproblematik vom Leib zu halten: Die Türkei erkennt nur Flüchtlinge aus Europa an, alle anderen müssen das Land verlassen.

Menschen wie Kitoko-Mboma haben nur eine Chance. Sie können sich vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR registrieren lassen. Die UN-Vertreter versuchen dann, einen Staat zu finden, der die Flüchtlinge aufnimmt. Während dieser Suche, die Jahre dauern kann und längst nicht immer erfolgreich ist, werden die Flüchtlinge in der Türkei geduldet. Arbeiten dürfen sie aber immer noch nicht. Deshalb sitzen in der „Somalia-Straße“ viele Afrikaner in Hauseingängen und warten auf einen Tagesjob auf dem Bau oder sonst wo. „Manchmal kriegt man was für ein paar Stunden“, sagt Abdul aus Eritrea.

Anders als bei den Behörden mit ihrer harten Haltung den afrikanischen Flüchtlingen gegenüber überwiegt bei der türkischen Bevölkerung das Mitleid. Afrika ist derzeit ein großes Thema für die Türken, eine Spendenaktion anlässlich des Fastenmonats Ramadan brachte rund 200 Millionen Dollar für die Hungernden in Somalia ein. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan besuchte Mogadischu, Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu reiste in ein Flüchtlingslager an der kenianisch-somalischen Grenze. „Das sind doch arme Leute“, sagt der kurdische Krämer Salih Kartop in seinem Laden um die Ecke von der „Somalia-Straße“. So arm, dass sie häufig nicht einmal das Nötigste einkaufen können. „Die kommen hier rein und wollen ein Eckchen Butter, weil sie sich eine normale Packung nicht leisten können.“ Presseberichte über Schlägereien und Trunkenheit unter den Afrikanern kann Kartop nicht bestätigen. „Man kann doch nur Krach machen, wenn man Geld hat.“

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