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Der Tatort in Brooklyn, New York, ist abgeriegelt.

© David Dee Delgado/Getty Images/AFP

Update

Attacke in New Yorker U-Bahn: Polizei fahndet nach 62-Jährigem – 50.000 Dollar Belohnung für Hinweise

New York kämpft mit der grassierenden Schusswaffengewalt. Eine neue Attacke erschüttert die Millionenmetropole - und die Politik wirkt hilflos.

Der neue Bürgermeister meldet sich erst mit Verspätung zu Wort. Eric Adams, der seit Anfang 2022 die Millionenmetropole New York City regiert, wurde ausgerechnet an seinem 100.Tag im Amt positiv auf das Coronavirus getestet und befindet sich seitdem in Isolation. Daher findet die erste, noch etwas chaotische Pressekonferenz nach dem Schusswaffenangriff während der Rush Hour am Dienstagmorgen ohne ihn statt.

Nahe des Tatorts präsentiert Polizeipräsidentin Keechant L. Sewell die Fakten. Kurz sprechen auch die Gouverneurin Kathy Hochul und Adams Stellvertreterin Lorraine Grillo.

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Die Fakten sehen so aus: Gegen 8.24 Uhr, da fuhr der U-Bahn-Zug der Linie N Richtung Manhattan gerade in die Station 36. Straße ein, zieht sich ein Mann in einer grünen Warnweste eine Gasmaske über, zündet eine Rauchbombe und schießt dann offenbar wahllos auf Passagiere im Wagen und auf dem Gleis Wartende. Insgesamt habe er 33 Mal geschossen. Der Mann konnte fliehen - wie ihm das gelang und auch sein Motiv waren nach Polizeiangaben zunächst noch völlig unklar.

Polizei veröffentlicht Details zu einer „Person von Interesse“

Die Zahl der Verletzten ist mittlerweile auf mindestens 23 gestiegen, zehn erlitten Schussverletzungen, fünf von ihnen befinden sich den Angaben zufolge in „kritischem, aber stabilen“ Zustand. Sechs weitere erleiden Rauchvergiftungen oder wurden in der ausbrechenden Panik verletzt.

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Es werde nach einem 62 Jahre alten Mann gefahndet, bei dem es sich um eine „Person von Interesse“ in Zusammenhang mit dem Vorfall handele, teilten die Behörden am Dienstagabend bei einer Pressekonferenz mit. Der Mann habe in Philadelphia einen Kleinlaster gemietet. Der Schlüssel des Fahrzeugs sei in einer Tasche am Tatort gefunden worden, die möglicherweise dem Täter zuzuordnen sei. Der Kleinlaster war nach dem Vorfall abgestellt in einem anderen Teil von Brooklyn gefunden worden. Ob es sich bei dem 62 Jahre alten Mann, der Wohnsitze in Philadelphia und Wisconsin habe, auch um den Täter handeln könne, sei aber noch völlig unklar.

Es wurde eine Belohnung von 50.000 Dollar (rund 46.000 Euro) für Hinweise zur Festnahme des Tatverdächtigen ausgelobt worden. „Wir tun alles, was wir können, um den Mann zu fassen, der für diesen abscheulichen Angriff auf unsere Fahrgäste verantwortlich ist“, sagte der Chef der New Yorker Verkehrsbetriebe (MTA), Janno Lieber, am Dienstagabend (Ortszeit) in einer Stellungnahme.

Er beschwerte sich im Netz über New York, den Bürgermeister und Obdachlosigkeit

Bei dem Mann soll es sich um den Autor mehrerer Veröffentlichungen in sozialen Medien handele. Darin beschwere sich der Autor unter anderem über New York, Bürgermeister Eric Adams und Obdachlosigkeit. Nähere Details wollten die Behörden nicht mitteilen. Adams' Polizeischutz werde aber vorsichtshalber aufgestockt, hieß es.

„Wir kennen derzeit nicht das Motiv, aber wir schließen nichts aus“, sagte Polizeipräsidentin Sewell zuvor, betont dennoch, derzeit würden keine Ermittlungen wegen eines „Terroranschlags“ laufen.

Schnell werden Erinnerungen an 9/11 wach

Das ist psychologisch wichtig, denn die Wunden von 9/11 sind in New York City auch mehr als 20 Jahre später noch nicht verheilt. Die Nervosität ist hoch. Das zeigt der massive Einsatz von Sicherheitskräften rund um die Metro-Station, die weiträumig abgesperrt wurde. Anlieger sind aufgefordert, die Gegend zu meiden.

Im New Yorker Stadtteil Brooklyn schoss am Dienstag ein Mann auf mehrere Menschen.

© AFP

Alle Schulen in der Gegend sind im Lockdown: Kein Externer kommt rein, keiner der Anwesenden darf raus. Die Schüsse fielen zu einem Zeitpunkt, als viele Kinder und Jugendliche auf dem Weg zum Unterricht waren.

Als Adams dann gut eine Stunde später vom US-Sender CNN interviewt wird, hat sich der Staub bereits etwas gelegt – auch wenn der Täter zu diesem Zeitpunkt weiterhin auf der Flucht ist. Die Kommentatoren haben dennoch schon begonnen, die Weiterungen der morgendlichen Attacke in einer U-Bahn-Station im Stadtteil Brooklyn zu diskutieren – und damit auch die Frage nach der politischen Verantwortung.

Der Bürgermeister ist selbst ein ehemaliger Polizist

Adams, der erst zweite schwarze Bürgermeister New Yorks, wird gefragt, was er gegen die grassierende Schusswaffengewalt tue, die sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt hat – was Beobachter auf die Pandemie zurückführen, die die Stadt vor allem zu Beginn schwer getroffen hat.

Der ehemalige Polizist Adams hatte im Wahlkampf damit geworben, dass er für dieses Problem der richtige Mann sei. Aber die Kriminalität hat in bestimmten Bereichen seit seinem Amtsantritt sogar noch zugenommen.

Die Attacke ereignete sich im New Yorker Stadtteil Brooklyn.

© IMAGO/NurPhoto

Seit Anfang 2022 habe es 375 Verbrechen im öffentlichen Nahverkehr gegeben, rechnet die CNN-Interviewerin vor, das sei ein Sprung von fast 73 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Ob er denn zusichern könne, fragt die Moderatorin den Bürgermeister, dass New Yorker sicher seien, wenn sie nun mit der U-Bahn nach Hause, zur Arbeit oder zum Abholen der Kinder fahren würden.

Adams antwortet: „Ja, das ist es. Ich nehme die U-Bahn sehr oft, um diese Botschaft auszusenden.“ Er werde nicht zulassen, dass Taten wie diese die Stadt terrorisierten.

Adams lobt die Widerstandsfähigkeit der New Yorker

Die Stadt werde nun die Zahl der im öffentlichen Nahverkehr eingesetzten Polizisten verdoppeln, kündigt Adams an. „Zusammen werden wir diese Krise durchstehen, die unser U-Bahn-System getroffen hat.“

New York habe schon viele schwere Krisen überstanden. „Wir wissen noch nicht, was die Ursache des jüngsten Vorfalls ist. Aber ich rufe die New Yorker dazu auf, weiter so unverwüstlich zu sein, wie sie es schon so oft waren.“

In einer Videobotschaft, in der der Bürgermeister sich zuvor an die Bürger gewandt hat, lobt er den Mut und die Hilfsbereitschaft von Rettungskräften und Passagieren: „Sie sind das, was New York zur großartigsten Stadt in der Welt macht“, sagt er, und er danke ihnen, dass sie ihre Mitbürger unterstützten.

Dass ihr Heldenmut, ihr Widerstandsfähigkeit gelobt werden, ist für die Bewohner gerade dieser Stadt nicht neu. Es sind Worte, die viele aber auch schon allzu oft gehört haben. Angesichts immer neuer Attacken wirken die Empörung und die Zusagen, dass die Politik endlich wirksam gegen die Schusswaffengewalt vorgeht, häufig hohl.

Ein Beispiel für die Hilflosigkeit der Politik ist der Auftritt von New Yorks Gouverneurin Hochul am Tatort. „Ich verspreche alle Ressourcen des Bundesstaates, um gegen den Anstieg der Kriminalität zu kämpfen, gegen diesen Wahnsinn, der unsere Stadt erfasst hat“, sagt die Demokratin, die ihr Amt im November verteidigen muss. „Keine Massenschießereien mehr! Das muss enden. Und es wird enden.“ Wie das enden soll, ist offen.

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