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Eingesperrt. Die 31-jährige Sini Saarela bedankt sich bei ihrer Anhörung vor Gericht für die internationale Unterstützung.

© dpa

Nervenkrieg um die Arctic 30: Der Kapitän und die Kletterin

Peter Willcox und Sini Saarela – zwei von 28 Greenpeace-Aktivisten, die in Russland in Haft sind. Die junge Finnin ist schon mal auf eine russische Ölplattform geklettert, und der erfahrene amerikanische Kapitän steuert seit 30 Jahren Schiffe der Umweltorganisation durch die Weltmeere.

Sini Saarela und Peter Henry Willcox haben bei Greenpeace schon einiges mitgemacht. Die 31-jährige Finnin hat 2007 fünf Tage lang auf einem hohen Kran an der finnischen Atomkraftwerksbaustelle Olkiluoto 3 ausgeharrt. Vor einem Jahr hat die ehemalige Kindergärtnerin und Studentin der Meeresbiologie bereits einmal in der Arktis gegen die Öl- und Gasförderung des russischen Staatskonzerns Gazprom protestiert. Gemeinsam mit dem Direktor der weltweiten Umweltorganisation, Kumi Naidoo, kletterte Sini Saarela auf die Ölförderplattform Prirazlomnaja. Damals ließen die russischen Behörden sie gewähren. Sina Saarela, eine erfahrene Aktivistin, die seit 2007 dabei ist, hat die Sicherheitsrisiken genau abgewogen - und sich entschieden, mitzumachen.

Sini Saarela saß fünf Tage auf einem Kran der Atombaustelle

Als Sini Saarela am 18. September ihr Kunststück gemeinsam mit dem Schweizer Aktivisten Marco Weber wiederholen wollte, wurde sie nicht nur mit Wasserwerfern, sondern auch mit Kugeln beschossen, als der russische Geheimdienst die beiden von der Plattform holte und festnahm. Seither war sie zunächst in Polizeigewahrsam, seit nunmehr einem Monat ist sie in Untersuchungshaft in der russischen Hafenstadt Murmansk. Sini Saarela, die von dem britischen Fotografen Nick Cobbing, der mit ihr auf dem Kran über der Atombaustelle in Olkiluoto gewesen war, als „furchtlos und mutig“ beschrieben wird, hat zunächst Humor gezeigt. Bei ihrer Anhörung vor Gericht – Sina Saarela hatte wie die anderen 27 Greenpeace-Aktivisten und zwei Journalisten eine Freilassung gegen Kaution beantragt – sagte sie über ihre Festnahme: „Das war ein Angebot, das man nicht ablehnen konnte, weil sie mit Sturmgewehren bewaffnet waren.“

Der 60-jährige Peter Willcox ist seit 30 Jahren Kapitän auf verschiedenen Greenpeace-Schiffen. Am 18. September übernahm die russische Küstenwache seine "Artic Sunrise", einen Eisbrecher, der speziell für die Arktis-Kampagne der Umweltorganisation gebaut worden ist.
Der 60-jährige Peter Willcox ist seit 30 Jahren Kapitän auf verschiedenen Greenpeace-Schiffen. Am 18. September übernahm die russische Küstenwache seine "Artic Sunrise", einen Eisbrecher, der speziell für die Arktis-Kampagne der Umweltorganisation gebaut worden ist.

© Reuters

Inzwischen scheint Sini Saarela aber ziemlich nachdenklich geworden zu sein. Die jüngsten Fotos zeigen eine schmale Frau, die nichts Draufgängerisches mehr ausstrahlt. Die finnische Boulevardzeitung „Iltalehti“ zitiert aus einem Brief, den Sini Saarela am 15. Oktober aus Zelle 217 im Murmansker Gefängnis Sizo-1 an die „Greenpeace-Familie“ gerichtet schrieb. Die Unterstützung aus der ganzen Welt treibe ihr die Tränen in die Augen, sie lese die Nachrichten wieder und wieder. „Sie (die Briefe) bringen so viel Licht in den dunklen und frühen Murmansker Winter.“ Die junge Veganerin, die keinerlei Fleischprodukte zu sich nimmt, schreibt, es gehe ihr und den anderen Aktivisten gut. „Wir wurden gut behandelt im Gefängnis.“ Außerdem dankt sie Unterstützern für Essen und Kleidung, ohne diese wären sie „sehr hungrig“ und ihnen wäre „sehr kalt“. Dann schreibt sie: „Ich tanze jeden Tag in meiner Zelle und kenne schon russische Popmusik.“

Der finnische Greenpeace-Aktivist Harri Lammi schreibt in einem Blogeintrag über Sini Saarela, sie sei die „moralischste“ und „tapferste“ Person, die er kenne. „In Finnland haben viele Sini sehr hart verurteilt.“ Allerdings hat sie auch viel Unterstützung bekommen. Medienberichten zufolge traf sich der finnische Expräsident und Friedensnobelpreisträger Martti Ahtisaari vor ein paar Tagen mit Greenpeace-Chef Naidoo und appellierte an Putin, Saarela zu begnadigen. Sogar der finnische Chef des Ölkonzerns Shell, Jorma Ollila, findet, „dass sie freigelassen werden sollte“. Dabei hat Saarela die Ölförderpläne von Shell in der Arktis scharf kritisiert und an Protestaktionen teilgenommen. Finnlands Außenminister Erkki Tuomioja kann sich jedenfalls vorstellen, mit Russland über die Verbüßung einer möglichen Haft in einem finnischen Gefängnis zu verhandeln.

Peter Willcox war Kapitän der "Rainbow Warrior",. als sie versenkt wurde

Peter Willcox, der amerikanische Kapitän des Greenpeace-Eisbrechers „Arctic Sunshine“, hat vor seiner Verhaftung offenbar schon geahnt, dass er nicht nur er Humor brauchen würde. Der 60-Jährige steuert seit mehr als 30 Jahren Greenpeace-Schiffe über die Weltmeere und befehligte auch die „Rainbow Warrior“, als sie am 10. Juli 1985 in Neuseeland vom französischen Geheimdienst versenkt wurde. Peter Willcox hat zuletzt vor allem seine zwei Töchter im Teenageralter betreut. Seine 18-jährige Tochter Natasha, die gerade ihr Studium aufgenommen hat, wird von der Tageszeitung „The Skanner“, die im Nordwesten der USA erscheint, mit den Worten zitiert, ihr Vater glaube daran, „dass es eine Menge Menschen gibt, die aufgeweckt werden müssen, die einen kleinen Schubs brauchen, um zu erkennen, was wirklich passiert in der Welt“.

Seine Frau Maggy, die er nach einer jahrzehntelangen Freundschaft erst in diesem Februar geheiratet hat, hat nicht damit gerechnet, dass der Kapitän verhaftet werden könnte. Sie zitierte die letzte Postkarte, die Willcox aus Norwegen geschickt hat: „Es wird eine sehr coole Aktion werden, wenn die Russen einen gewissen Sinn für Humor haben.“

Russland hatte aber in diesem Jahr keinen Sinn für Humor, was damit zusammenhängen könnte, dass die russische Atom-U-Boot-Flotte genau in der Zeit des Greenpeace-Protests im Nordmeer auf Patrouille gegangen ist. Russland will im kommenden Jahr umfassende Nutzungsansprüche auf die Arktis vor der zuständigen UN-Behörde geltend machen. Wohl deshalb nahmen die Sicherheitsbehörden diesmal 28 Greenpeacer und zwei Journalisten fest und ermittelten zunächst wegen „bandenmäßiger Piraterie“. Das Schiff wurde nach Murmansk geschleppt. Die Niederlande haben vor dem Internationalen Seegerichtshof in Hamburg auf Herausgabe des Schiffs und Freilassung der 30 Frauen und Männer geklagt. Die Anhörung soll am 6. November stattfinden; allerdings hat Russland bereits angekündigt, die Autorität des Gerichtshofs nicht anzuerkennen und nicht vor Gericht zu erscheinen. Am Donnerstag haben die russischen Anklagebehörden die Anklage auf „Rowdytum“ geändert. Doch auch darauf stehen bis zu sieben Jahre Haft. Bereits in der Sowjetunion wurde der entsprechende Paragraf genutzt, um unerwünschtes Verhalten abzustrafen. Auch die Punk-Musikerinnen von Pussy Riot sind auf der Basis dieses Vorwurfs zu zwei Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Sina Saarela hat am 31. Juli 2012 über den Kurznachrichtendienst Twitter ihre Bewunderung für die jungen Musikerinnen geäußert. Sie schrieb: "Befreit Pussy Riot, zum Teufel mit Putins Stalinismus." Sie verfolgte den Prozess gegen die jungen Frauen genau und kommentierte ihn mehrfach. Da konnte sie noch nicht wissen, dass sie einmal in einer ähnlichen Lage sein würde.

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