zum Hauptinhalt
Sicherheitskräfte aus dem ganzen Stadtgebiet mussten zu der Kirche ausrücken.

© AFP/David Gray

Update

Wütender Mob eskaliert vor Kirche: Polizei wertet Angriff während Gottesdiensts in Sydney als Terrorakt

Der Bischof einer christlichen Gemeinde in Sydney wird während einer Messe attackiert. Daraufhin zieht ein wütender Mob zu der Kirche, die Lage eskaliert. Die Regierung warnt vor Selbstjustiz.

| Update:

Der Angriff auf Geistliche einer christlichen Gemeinde in Sydney während eines Gottesdienstes ist von den Ermittlern als Terrorakt eingestuft worden. Das Motiv des mutmaßlichen Täters, der etwa 16 Jahre alt sei, liege offenkundig im Bereich des „religiös motivierten Extremismus“, sagte Karen Webb, die Polizeichefin des australischen Bundesstaats New South Wales, bei einer Pressekonferenz am Dienstagmorgen (Ortszeit).

Zu den verletzten Opfern gehören demnach der Bischof der Assyrer-Gemeinde in Sydneys westlichem Vorort Wakeley und mindestens ein Priester. Sie seien operiert worden und hätten nur durch Glück überlebt, sagte Webb. Der Bischof hatte am Montagabend eine Messe in der Kirche der örtlichen Assyrer-Gemeinde abgehalten.

Im Internet veröffentlichte Aufnahmen von der Live-Übertragung des Gottesdienstes zeigen, wie der Angreifer während der Messe auf den Geistlichen zugeht und auf ihn einsticht, bevor Augenzeuge herbeieilen, um einzugreifen. Webb zufolge wurde die Tat wohl mit einem Klappmesser verübt. Der Angreifer wurde später festgenommen und war laut Webb schon vorher polizeibekannt, stand aber auf keiner Beobachtungsliste für Terrorverdächtige. Die Ermittler seien im Gespräch mit seinen Eltern, um Näheres über das Motiv des Jugendlichen herauszufinden.

Der australische Sender ABC berichtet, der mutmaßliche Täter sei bereits im November wegen Besitzes eines Klappmessers und unter dem Verdacht festgenommen worden, eine Gewalttat begehen zu wollen. Im Januar sei die Anklage gegen den Teenager wegen guten Verhaltens fallen gelassen worden.

Der Ausschnitt einer Aufnahme der Messe zeigt, wie der Mann den Geistlichen attackiert.

© REUTERS/UGC

Nach der Tat kam es zu chaotischen Szenen vor dem Gotteshaus, wo sich neben Rettungskräften und Polizisten binnen kurzer Zeit eine Menge aus Hunderten wütenden Menschen einfand. Die Situation eskalierte rasch, es kam zu Ausschreitungen, laut Webb wurden Polizeieinheiten aus dem ganzen Stadtgebiet der Millionenmetropole Sydney zur Verstärkung gerufen. Bei den Krawallen wurden demnach mehrere Beamte verletzt und 20 Einsatzfahrzeuge beschädigt, zehn seien nicht mehr nutzbar. Die Einsatzkräfte wurden mit Ziegelsteinen und Zaunpfählen attackiert, ein Polizist erlitt einen Kieferbruch. Selbst Sanitäter mussten sich über Stunden hinweg in der Kirche verschanzen, weil sie von der aufgebrachten Menschenmenge bedroht wurden.

Täter wurden offenbar mehrere Finger abgeschnitten

Der Täter selbst wurde nach Polizeiangaben ebenfalls verletzt - unklar blieb zunächst, wie er die offenbar gravierenden Verletzungen erlitt. Medienberichten zufolge sollen ihm mehrere Finger abgeschnitten worden sein. Auf Fragen von Journalisten, ob der wütende Mob dafür verantwortlich sei, entgegnete Webb, dies sei Teil der Ermittlungen. Insgesamt mussten die Rettungsdienste nach eigenen Angaben 30 Patienten behandeln, sieben Verletzte seien ins Krankenhaus gebracht worden.

Die Polizeichefin kündigte an, dass die Sicherheitsbehörden alle Gewalttäter ermitteln und für die Randale zur Rechenschaft ziehen würden. „Alle, die an diesen Ausschreitungen beteiligt waren, können damit rechnen, dass wir an ihre Tür klopfen werden“, sagte Webb. „Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht morgen, aber wir werden euch finden und wir werden euch festnehmen. Das ist absolut inakzeptabel.“ Der Regierungschef von New South Wales, Chris Minns, richtete einen dringenden Appell an alle Bewohner des Bundesstaats, auf alle Formen der Selbstjustiz zu verzichten: „In Australien wird das Recht nicht in die eigenen Hände genommen“, betonte er auf der Pressekonferenz.

Erst am Wochenende hatte in Sydney ein Mann in einem Einkaufszentrum sechs Menschen erstochen. Nach der Bluttat in einem belebten Einkaufszentrum haben die Eltern des Täters die Familien der Opfer um Vergebung gebeten und Einblicke in das Leben ihres Sohnes gewährt. „Es ist so furchtbar, dass ich es nicht einmal erklären kann“, zitierte das Portal „news.com.au“ Andrew Cauchi.

Der Vater sprach am Montag vor seinem Haus im Ort Rockville zu Journalisten, gut zwei Autostunden westlich von Brisbane entfernt. „Ich bin einfach am Boden zerstört“, sagte der Vater den Berichten zufolge. „Ich liebe ein Monster. Für euch ist er ein Monster, aber für mich war er ein sehr kranker Junge.“

Ranghohe australische Politiker legen Blumen in Gedenken an die Opfer der Messerattacke in Sydney ab.

© AFP/David Gray

Bei seinem Sohn sei im Alter von 17 Jahren Schizophrenie diagnostiziert worden und er habe beschlossen, seine Medikamente abzusetzen, als es ihm besser ging. „Es gibt nichts, was ich sagen kann, um den Schmerz zu lindern, den mein Sohn verursacht hat“, zitierte der Sender ABC News den Vater. Sein 40 Jahre alter Sohn hatte bei einer Messerattacke in einem Einkaufscenter in Sydney am Samstag sechs Menschen getötet und mindestens 17 verletzt. Er wurde daraufhin von der Polizei erschossen.

Alle sechs Todesopfer sind inzwischen identifiziert. Am Montag wurden weitere Details zu den Opfern bekannt. Unter den Toten ist Medienberichten zufolge die 38-jährige Mutter eines neun Monate alten Babys, das schwer verletzt wurde, sowie die 25-jährige Tochter eines in Australien bekannten Geschäftsmannes.

Außerdem wurde eine 27 Jahre alte Studentin aus China getötet, eine 47-jährige zweifache Mutter, eine 55-jährige Frau sowie ein Sicherheitsmann (30), der erst vor einem Jahr aus Pakistan kommend Zuflucht in Australien gefunden hatte. Er sei das einzige männliche Todesopfer.

Täter griff offenbar gezielt Frauen an

Auch unter den mindestens 17 Verletzten seien vor allem Frauen. Acht Menschen waren australischen Medien zufolge am Montag noch in Behandlung in Kliniken. Früher hatte er viele Freunde, sagt seine Mutter. Auf die Frage, warum sein Sohn vor allem Frauen angegriffen habe, sagte Cauchi, er verstehe, dass die Polizei diese Tatsache in die Ermittlungen einbeziehe. „Er wollte eine Freundin und er hat keine sozialen Fähigkeiten und war völlig frustriert“, zitierte das Portal den Vater.

Die Polizeipräsidentin des Bundesstaats New South Wales, Webb, hatte am Montag dem Fernsehsender ABC gesagt, dass der Täter sich „auf Frauen konzentriert und Männer gemieden“ habe. Grund für diese Annahme, auf die sich nun auch die Ermittlungen konzentrierten, seien Aufnahmen von dem Angriff.

Überwachungsvideos zeigten, wie der Angreifer mit einem langen Messer durch das Einkaufszentrum lief und dabei überwiegend weibliche Opfer verfolgte. Die Videos sprächen „für sich selbst“, sagte Webb.

Trotz seiner psychischen Erkrankung passe die Tat nicht zu ihrem Sohn, sagte die Mutter, Michele Cauchi, laut den Berichten. „Wir wissen nicht, warum er tat, was er tat.“ Etwa 18 Jahre lang sei ihr Sohn in Behandlung gewesen. Mit 35 Jahren zog er dann von zu Hause aus, ging nach Brisbane und habe aufgehört, seinen Arzt regelmäßig aufzusuchen. Vor seiner Diagnose habe ihr Sohn Freunde gehabt, sei ein guter Schüler gewesen.

Was nun geschehen sei, sei ein „absoluter Albtraum“ für Eltern von Kindern mit psychischen Erkrankungen. Auch sie bat um Vergebung. (dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false